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Die Nordverlängerung der A14 zerschneidet die Natur und zertrennt so Lebensräume. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

FlächennutzungWo Naturfläche verschwindet – und wieder entsteht

29. Mai 2022, 20:02 Uhr

In den vergangenen Jahren war der Weiterbau der A14 eines der größte Bauprojekte in Sachsen-Anhalt. Umgesetzt wird es auch zu Lasten der Tier- und Pflanzenwelt. Das zeigt eine Datenanalyse des MDR. Was das für Folgen hat und wo an anderer Stelle Natur wiederhergestellt und der Flächenverbrauch damit verringert werden kann.

Plötzkau im Salzlandkreis, Colbitz und Burgstall in der Börde: Überall musste in den vergangenen Jahren auffällig viel Naturfläche weichen. Das zeigen Daten des Statistischen Landesamts, die MDR SACHSEN-ANHALT analysiert hat. Die bebaute Fläche in den drei Gemeinden hat von 2016 bis 2020 um jeweils mehr als zehn Prozent zugenommen. Was alle drei Gemeinden gemeinsam haben: Sie liegen an der Autobahn 14 (A14), für die besonders viel Naturfläche verbraucht wurde und wird. In Colbitz und Burgstall hängt die Zunahme der verbrauchten Flächen laut den Gemeinden sogar ausschließlich mit der gerade im Bau befindlichen Nordverlängerung der A14 zusammen.

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Wenn Vegetations- und Naturflächen dem Menschen und seinen Siedlungs- und Verkehrsflächen weichen müssen, spricht man von "Flächenverbrauch". Als Siedlungsfläche gelten zum einen Wohnbauflächen und öffentliche Einrichtungen, aber auch Industrie- und Gewerbeflächen, Erholungsflächen und Friedhöfe zählen dazu. Verkehrsfläche schließt neben Straßen- und Wegeverkehr auch den Bahn-, Flug- und Schiffsverkehr mit ein. In Sachsen-Anhalt wird etwa 11,5 Prozent der Gesamtfläche vom Menschen zum Leben genutzt und somit verbraucht.

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Hoher Flächenverbrauch durch die Nordverlängerung der A14

Die Siedlungs- und Verkehrsfläche Sachsen-Anhalts hat sich in den Jahren 2016 bis 2020 minimal verringert. Auf Gemeindeebene sind allerdings deutliche Unterschiede zu sehen. Besonders die Gemeinden, die an der Nordverlängerung der A 14 liegen, weisen auffällig große Veränderungen auf. Hier wird Verkehrsfläche erschlossen, die laut Umweltbundesamt wiederum zu 50 bis 70 Prozent versiegelt ist.

Unterschied zwischen Flächenverbrauch und Versiegelung

Flächenverbrauch ist nicht gleich Bodenversiegelung. Nur ein Teil der Siedlungs- und Verkehrsfläche wird auch versiegelt, im Mittel schätzungsweise 45 Prozent. Bei der Versiegelung des Bodens wird dieser luft- und wasserdicht abgedeckt. Das passiert, wenn er bebaut, asphaltiert, gepflastert oder anderweitig befestigt wird. Rückgängig machen lässt sich eine Versiegelung nur schwer und kostenintensiv. Die natürliche Struktur des Bodens bleibt nachhaltig gestört.

Siedlungs- und Verkehrsfläche schließt auch unbebaute, also nicht versiegelte Flächen mit ein, wie beispielsweise Stadtparks, Gärten und Sportplätze.

Die Nordverlängerung der A14 ist laut Naturschutzbund (Nabu) Sachsen-Anhalt das größte flächenverbrauchende Bauprojekt der vergangenen Jahre in Sachsen-Anhalt. Die Versiegelung ist aber nicht das einzige Problem:

Das Hauptproblem ist, das die Natur komplett zerschnitten wird. Die Trennung der Lebensräume ist eine ziemlich starke Barriere für alle Wanderbewegungen von Tieren.

Marcel Otte, Naturschutzreferent beim NABU Sachsen-Anhalt

Das betrifft Amphibien und Säugetiere, aber auch Vögel und Fledermäuse. Zum Ausbau der A14 selbst kommen Querungen wie Brücken oder Unterführungen, die zusätzlichen Flächenverbrauch bedeuten. Laut Nabu wäre der Ausbau des Schienennetzes deutlich sinnvoller, als Straßenverkehrsfläche zu verbrauchen. Zum einen sei dies für den Klimaschutz sinnvoller, aber auch die dafür notwendige Versiegelung falle geringer aus.

Was gegen zu hohen Flächenverbrauch hilft

Zu hoher Flächenverbrauch zieht viele negative Folgen mit sich, weshalb die Bundesregierung bis 2050 eine sogenannte Flächenkreislaufwirtschaft erreichen will. Das bedeutet: Die ausgewiesene Fläche soll mit wieder freigegebener Fläche bzw. umgewandelter Naturfläche ausgeglichen werden, sodass der Netto-Flächenverbrauch am Ende Null ist. Der Naturschutzbund bezweifelt, dass Sachsen-Anhalt dieses Ziel erreichen wird. Dazu seien zu viele Straßen, Autobahnen oder Umgehungsstraßen geplant oder schon im Bau, heißt es.

In der Community des Meinungsbarometers MDRfragt spricht sich diesbezüglich eine Mehrheit unter anderem dafür aus, dass staatliches Eingreifen bei künftigen Bauvorhaben nötig sein könnte, wenn zu viele Naturflächen auf dem Spiel stünden:

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Es geht jedoch auch anders: In einigen Gemeinden Sachsen-Anhalts ist der Flächenverbrauch in der vergangenen Jahren gesunken. Hier spielen häufig sogenannte Renaturierungsprozesse eine Rolle. Als Renaturierung bezeichnet man die Wiederherstellung von Natur. So können beispielsweise bereits genutzte Industrie- und Gewerbeflächen wieder einer natürlichen Nutzung zugeführt werden. Dabei muss es sich nicht um die Wiederherstellung der zuvor bestandenen Natur handeln, es kann am selben Standort auch ein neues Stück Natur entstehen.

Wie zeit- und kostenaufwendig dieser Prozess ist, hängt vor mehreren Faktoren ab. Eine einzelne Blumenwiese beispielsweise entsteht deutlich schneller als ein ganzer Wald oder ein Gewässer. Zudem spielen der jeweilige Standort und mögliche Bodenkontaminationen eine Rolle. Die Landesregierung Sachsen-Anhalts glaubt, dass Renaturierung ein zielführendes Instrument sein kann, um den Flächenverbrauch zu reduzieren.

Renaturierung in Harbke: Der Lappwaldsee

Die Gemeinde Harbke im Landkreis Börde an der Grenze zu Niedersachsen hat ihre Siedlungs- und Verkehrsfläche von 2016 bis 2020 um rund 7,6 Prozent reduziert. Dort sind 36 Hektar einer Tagebaufläche zu einem Gewässer geworden. Konkret wurden und werden die ehemaligen Tagebaue Helmstedt und Wulfersdorf durch Flutung zum Lappwaldsee, der dann zwischen der Gemeinde Harbke in Sachsen-Anhalt und der Stadt Helmstedt in Niedersachsen liegt. Dieses Projekt soll zukünftig große touristische Bedeutung für die Region haben, wenn der 420 Hektar große See als Bade- und Freizeitgewässer genutzt werden kann.

Dass der See touristisch genutzt wird, da können noch einige Jahre oder Jahrzehnte vergehen. Das ist das Problem an der ganzen Geschichte. 2032 sollte der See fertig sein, da steht aktuell ein Fragezeichen dahinter.

Werner Müller, Bürgermeister von Harkbe und stellv. Vorsitzender des Planungsverbands Lappwaldsee

In Harbke ist der Boden durch die frühere industrielle Nutzung noch sauer und wird das noch länger bleiben. Aktuell beträgt der für die Freigabe wichtige pH-Wert 4. Bis das Wasser für Badegäste gut genug und damit auch für die Tier- und Pflanzenwelt wieder ausreichend ist, sollte es einen Wert von 7 erreichen.

Tagebau-Seen können Umwelt belasten

Die Flutung als Renaturierungmittel ist laut NABU nur stellenweise sinnvoll und hängt davon ab, wie wasserreich die Region ist. So können Tagebauseen die Umwelt sogar belasten. Gerade im Süden Sachsen-Anhalts ist die Wassermenge im Oberflächen- und Grundwasser zu gering, um dort Tagebaue zu fluten. In trockenen Regionen bedeutet ein Tagebausee, so Naturschutzreferent Otte vom Naturschutzbund, weitere Wasserverluste.

In der Region um Harbke sei genug Wasser vorhanden, sodass ein Tagebausee nicht zusätzlich umweltbelastend wäre. Durch die Zufuhr von Wasser aus anderen Gewässern steigt im zukünftigen Lappwaldsee gerade der Wasserpegel. Dadurch wird laut Bürgermeister Müller auch die Wasserqualität reguliert und verbessert. Wenn der See fertig ist, seien Ruhezonen für die Tierwelt geplant, so Müller. Auch der Landkreis Börde hofft, dass der See sich zu einem überregionalen Rastplatz für Zugvögel entwickelt.

Sinnvoller als Flutung: Stillgelegte Tagebaubiotope

Stillgelegte Tagebauen, die nicht geflutet werden, sind aus Naturschutzsicht allerdings oftmals noch deutlich wertvoller und schützenswerter.

Tagebauseen können stellenweise gut sein auch für die Erholungsfunktion, aber sind naturschutzfachlich gesehen meistens nicht so interessant.

Marcel Otte, Naturschutzreferent beim NABU Sachsen-Anhalt

Viele Arten sind auf offene Sandflächen angewiesen. Bei natürlich verlaufenden Flüssen würde durch Hochwasser am Uferbereich offener Boden frei werden und damit ein solches Biotop entstehen. Die meisten Flüsse werden allerdings begradigt, weshalb solche Lebensräume in Deutschland natürlicherweise kaum noch vorhanden sind. In alten Tagebauflächen sind durch menschlichen Einfluss vielerorts solche Biotope entstanden, in denen jetzt bedrohte Insektenarten leben.

Bildrechte: Susen Heyder

Über die AutorinJulia Bartsch arbeitet seit November 2021 als Datenjournalistin bei MDR SACHSEN-ANHALT in Magdeburg. Seit 2020 studiert sie an der Universität Leipzig Journalismus.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT recherchiert und analysiert sie Daten, aus denen Geschichten für Online, Radio und Fernsehen entstehen.

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MDR (Julia Bartsch)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Mai 2022 | 17:00 Uhr