"Gas-Krise" Verschärfte Querdenker-Demos? Verfassungsschutz beobachtet Szene

28. Juli 2022, 07:52 Uhr

Thüringens Verfassungsschutz warnt vor deutlich verschärften Querdenker-Protesten als Reaktion auf die aktuellen Krisen. In Sachsen-Anhalt gibt es dafür aktuell keine Anzeichen. Doch die Sicherheitsinstitutionen beobachten das Geschehen, weil sie wissen, wie schnell sich die Situation verändern kann.

Es waren dramatische Worte, die Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer vergangene Woche wählte, als er vor neuen, noch heftigeren Querdenkerprotesten warnte. Kramer sagte dem Handelsblatt, es sei "realistisch", dass die Demonstrationen der Querdenker in den von der Corona-Krise geprägten Jahren 2020 und 2021 "ein Kindergeburtstag waren im Vergleich zum kommenden Herbst und Winter".

Bedrohlich für die Sicherheitslage könnten laut Kramer insbesondere die Folgen eines Gasnotstands werden, bei dem auch die Industrieproduktion zusammenbrechen könne und dadurch die Arbeitslosigkeit dramatisch ansteige. 

Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt "wachsam"

Auch in Sachsen-Anhalt gab es in beiden Jahren zahlreiche Demonstrationen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen richteten. Begleitet waren diese zum Teil von Ausschreitungen und Gewalttaten. Doch derzeit gibt es keine konkreten Anzeichen für eine erneute Protestwelle im Land. Und demzufolge auch keine entsprechenden Vorkehrungen. Das teilte das Innenministerium MDR SACHSEN-ANHALT mit.

Trotzdem werde natürlich weiterhin beobachtet und die Gefährdungslage permanent angepasst, hieß es. Dazu tausche sich Sachsen-Anhalt auch mit den Sicherheitsbehörden anderer Bundesländer aus.

Jochen Hollmann, Chef des Verfassungsschutzes im Land, erklärte: "Wir sind da, wir sind wachsam – und wir bleiben wachsam. Im realen Alltag wie im virtuellen Raum. Gerade in den vergangenen Jahren haben wir erlebt, dass das aktuelle Geschehen dynamisch ist und wir kurzfristig auf Entwicklungen reagieren müssen."

Verfassungsschutz schafft eigene Kategorie für Corona-Protestler

Dem trage der Verfassungsschutz Rechnung, indem für die Gruppe der sogenannten Delegitimierer ein neuer sogenannter Phänomenbereich geschaffen wurde. Bei diesen Menschen handelt es sich nach Angaben des Innenministeriums um Personen, die sich nicht den klassischen Extremismusspektren, etwa Rechtsextremismus oder Reichsbürgern, zuordnen lassen.

Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates

Der Verfassungsschutzverbund hat bundesweit die Tendenz festgestellt, dass sich Teile der Protestbewegung im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zunehmend radikalisieren. Diese radikalisierten Teile können keinem der bisherigen Extremismusbereiche (insbesondere Rechtsextremismus oder sogenannte Reichsbürgerszene) zugeordnet werden.

Der betreffende Personenkreis versucht, den Staat und seine Repräsentanten zu delegitimieren, verächtlich zu machen und damit das politische System zu destabilisieren. Der Verfassungsschutzverbund betrachtet dies unter dem Stichwort "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ seit März 2021 als eigenen Phänomenbereich.

Quelle: Innenministerium

Das Innenministerium verwies auch darauf, dass bei den derzeitigen Protesten mittlerweile verschiedene Themen eine Rolle spielen würden. Zwar seien pandemiebedingte Positionen nach wie vor wichtig, allerdings würden auch Themen im Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Krieg und der aktuellen Energie- und Finanzpolitik aufgegriffen.

Hinzu kommt, dass bei mehreren Versammlungen Rechtsextremisten sowie Vertreterinnen und Vertreter der sogenannten Reichsbürgerszene versucht hätten, die Proteste für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Das sei ihnen zwar nur in Einzelfällen gelungen, könne aber auch in Zukunft wieder passieren, hieß es. Verfassungsschutz-Chef Hollmann sagt deshalb: "Es wäre daher unseriös, jetzt schon vorherzusagen, wie sich das Protestgeschehen und die Beteiligung von Extremistinnen und Extremisten daran entwickeln wird."

Claudia Reiser - MDRfragt-Redaktionsteam, im Studiogespräch 3 min
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Sicherheitsfirmen spüren Unruhe in der Gesellschaft

Vermehrte Proteste haben auch Auswirkungen auf Sicherheitsfirmen im Land, die die Demonstrationen oft absichern müssen. Die Unternehmen registrieren ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis, ist zu hören. Vor Ort merkt man die Unruhe in der Gesellschaft, erklärte der Chef einer Security-Firma. Bei den Buchungen äußert sich das jedoch noch nicht. Da laufe das normale Sommergeschäft, teilten verschiedene Unternehmen mit. Doch aus der Erfahrung wissen sie, dass Buchungen für Demonstrationen dann mitunter sehr kurzfristig kommen können – falls es tatsächlich zu einer neuen Protestwelle kommen sollte.

MDR (Cynthia Seidel, Oliver Leiste)

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