SAH - Review Gewalt 7 min
Mehr als 120 Mal wurden 2023 in Sachsen-Anhalt Rettungskräfte im Dienst angegriffen. Mehr dazu im Video. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Schläge und Beleidigungen Gewalt gegen Einsatzkräfte: "Der Rettungsdienst ist ein Ventil für den Frust"

29. Juli 2024, 11:44 Uhr

Wenn Helfer bedroht werden, sorgt das immer wieder für Aufregung. Ein Beispiel ist der Angriff auf einen Notarzt kurz vor Weihnachten 2022 in Wernigerode. MDR SACHSEN-ANHALT hat seinerzeit darüber berichtet. Wie hat sich die Situation in Sachsen-Anhalt seither entwickelt? Steigt die Zahl der Rettungskräfte weiterhin? Und was wird unternommen, um Einsatzkräfte zu schützen?

Der Pieper ertönt. Ein Notruf geht ein in der Rettungswache der Johanniter in Naumburg. Sven Siebert und seine Kollegin gehen schnellen Schrittes zum Einsatzwagen. Ein eingespieltes Team. Wenige Sekunden später sitzen beide im Rettungswagen. Blaulicht und Martinshorn werden eingeschaltet, während das Fahrzeug sich bereits in Bewegung setzt. Das Alarm-Signal ist ohrenbetäubend.

Beleidigungen, Faustschläge, Messerangriffe

"Angst fährt nicht mit", sagt der Leiter der Rettungswache, Sven Siebert. "Aber Respekt, vor dem, was einen erwartet und vor dem, wie sich Patienten verhalten." Er stellt fest: Die Gewalt gegenüber Rettungssanitätern habe in den vergangenen Jahren zugenommen, während die Wertschätzung für ihre Arbeit weniger werde. Der 58-Jährige hatte bisher Glück. Aber er kennt Kollegen, die im Einsatz angegriffen wurden. "Das fängt an", erzählt Siebert, "mit Faustschlägen in den Bauchraum, mit Angreifern, die mit einem Messer vor einem stehen und endet schließlich in alltäglichen verbalen Angriffen, Beleidigungen. Das komplette Repertoire."

Das fängt an mit Faustschlägen in den Bauchraum, mit Angreifern, die mit einem Messer vor einem stehen und endet schließlich in alltäglichen verbalen Angriffen, Beleidigungen. Das komplette Repertoire.

Sven Siebert Rettungswache Naumburg

Ursachen für Gewalt gegen Rettungskräfte sind unterschiedlich

Die Gründe für Übergriffe sind verschieden: Drogen- oder Alkoholsucht. Psychische Erkrankungen, aber auch Demenz. Und dann kommt noch ein neuer Faktor hinzu: "Wir haben es zunehmend mit Menschen zu tun, die einfach mit sich selbst beziehungsweise mit der Gesellschaft, mit dem Staat nicht zufrieden sind. Diese Menschen sehen den Rettungsdienst als Organ des Staates. Sie lassen an uns ihren Unmut aus, obwohl der Rettungsdienst nichts mit den Staat zu tun hat."

Der Rettungsdienst fungiere als Frust-Ventil, so Sven Siebert.

Wie ist die aktuelle Situation?

Seit Jahren nimmt bundesweit die Zahl der Gewalttaten auf Rettungskräfte zu. Wie sieht die Situation in Sachsen-Anhalt aus? Aktuelle Zahlen des Landeskriminalamts zeigen: Die Zahl der Angriffe auf Rettungsdienste und Feuerwehren ist zwar noch hoch – im vergangenen Jahr ist sie aber leicht gesunken – auf 121. Und auch für das erste Halbjahr 2024 hält der rückläufige Trend an, zeigt die Recherche von MDR SACHSEN-ANHALT.

Bundesjustizministerium will Strafrecht verschärfen

Das Bundesjustizministerium will das Strafrecht verschärfen, um Einsatz- und Rettungskräfte besser vor Anfeindungen und Gewalt zu schützen. Im Juli wurde ein Referentenentwurf veröffentlicht und an Länder und Verbände übermittelt. Diese können bis zum 2. August dazu Stellung nehmen. Dann wird aus dem Entwurf ein Regierungsentwurf erarbeitet, der im Bundeskabinett beraten wird. Der Entwurf sieht unter anderem bei besonders schweren Taten eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis maximal fünf Jahren vor.

Der Leiter der Rettungswache Naumburg, Sven Siebert, findet den Entwurf grundsätzlich gut, aber: "Wenn Gesetze verschärft werden, dann muss auch konsequent kontrolliert und geahndet werden. Aber dazu fehlt Personal." Hinzu komme, dass die Dunkelziffer sehr hoch sei. Viele Rettungssanitäter würden Vorfälle gar nicht anzeigen, weil sie sie zum Teil verdrängen, also mit sich allein ausmachen.

Wie sollten sich Rettungskräfte in kritischen Situationen verhalten?

In einem steril eingerichteten Zimmer mit weißen Wänden stehen ein normales Bett und ein Krankenbett, in dem eine Puppe liegt.
Um die richtige Reaktion auf Angriffe gegen Rettungskräfte zu üben, gibt es in der Landesrettungsschule in Halle eine nachgebaute Übungswohnung. Bildrechte: MDR/Beatrix Heykeroth

Wenn es riskant wird – wie sollen sich die Helfer verhalten? Genau darauf werden zukünftige Rettungs- und Notfallsanitäter in Halle in der Landesrettungsschule vorbereitet. Dafür wurde sogar eine eigene Übungswohnung im Keller eingerichtet. Es gibt ein nachgebautes Bad, einen Wohnraum mit Schränken und einer Sofagruppe. Leere Bierflaschen stehen auf dem Tisch. Im Schlafraum liegt in einem Schulungsbett eine lebensgroße Puppe.

Andreas Krebs, der Leiter der Rettungsschule, sagt: "Das A und O ist die Prävention. Wir schulen die Auszubildenden von Beginn an. Schwerpunkt: Wie erkenne ich Konfliktpotential? Wie kann ich eine riskante Situation vermeiden?"

Mehrere Männer stehen und sitzen in einem Raum und unterhalten sich.
In der Übungswohnung geht es um die Frage: Wie können Rettungskräfte für sie gefährliche Situationen vermeiden? Bildrechte: MDR/Beatrix Heykeroth

Für die Ausbildung gibt es einen speziellen Deeskalationstrainer. Ken Oesterreich ist einer der ersten in Deutschland, der sich mit dem Thema "Gewalt gegen Einsatzkräfte" befasst hat. Seit 20 Jahren entwickelt er spezielle Verhaltens-Strategien. Dabei verzichtet Ken Oesterreich bewusst auf Rollenspiele.

Praktische Tipps für die Einsatzkräfte

Zwei Männer stehen in einem Büro und unterhalten sich, im Hintergrund ist ein Regal zu sehen.
Andreas Krebs (links) und Ken Oesterreich arbeiten zusammen, um Rettungskräfte auf Gewalt im Alltag vorzubereiten. Bildrechte: MDR/Beatrix Heykeroth

"Wir arbeiten nicht mit erdachten und fiktiven Fallbeispielen, sondern ausschließlich mit Dingen, die anderen Kollegen im nationalen oder internationalen Kontext leider schon passiert sind."

Im Training mit den angehenden Sanitätern gibt er viele praktische Hinweise wie zum Beispiel: "Schaut immer zuerst auf die Hände. Sie zeigen den Grad der Erregtheit. Auf ruckartige Bewegungen achten, denn schnell ist mal ein Messer aus der Hosentasche gezogen."

Der Ratschlag von Ken Oesterreich: "In einer brenzligen Situation, lieber mal einen Schritt zurückgehen, um es nicht eskalieren zu lassen!"

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MDR (Beatrix Heykeroth)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 28. Juli 2024 | 19:00 Uhr

18 Kommentare

Hebamme vor 9 Wochen

Das stimmt, leider kann der rtw nicht immer die norm einhalten. Sorgt sicher für Stress, wenn man aber wirklich auf Hilfe angewiesen ist, womöglich mit rea Pflichtigem Patienten sollte man den eintreffenden Helfern (übrigens Menschen!) die Füße küssen und den roten Teppich ausrollen

faultier vor 9 Wochen

Ich weiss nicht was an der Aussage von Hilflos Rassitisch (verkehrt) sein soll ,gehen sie mal in ein Krankenhaus wo Familienangehörige dem Personal vorschreiben wollen wer wen behandeln darf .

Mediator vor 9 Wochen

Woher wissen sie, die aus meiner Sicht null Ahnung von vielen Dingen hat, dass nichts passiert und das wie immer?

Soll der Rettungsdienst seine Prioritäten umstellen?
1. Pöbler dingfest machen
2. auf die Polizei warten
3. den Tod des Patienten durch einen Arzt feststellen lassen
4. statt ins Krankenhaus direkt die Leichenhalle ansteuer

Hetzen sie doch einfach mal weniger beim MDR, dann können sie auch Rettungskräften mit kühlem Kopf entgegentreten. Meine Hauptsorge wenn ich den Rettungsdienst rufe ist z.B. überall Einweise aufzustellen, damit die schnell zum Patienten gelangen.

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