Integration Sexualkunde für Geflüchtete im Burgenlandkreis
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16. April 2019, 14:54 Uhr
Zum Thema Sex hat wohl jeder eine eigene Vorstellung. Auch eine andere Kultur kann in die Wahrnehmung hineinspielen. Der Burgenlandkreis schult daher Fachkräfte darin, mit Geflüchteten über Sexualität zu sprechen. Zusammen mit der Hochschule Merseburg hat der Burgenlandkreis dazu auch eine Broschüre entwickelt.
Spielarten, Verhütung, Risiken: Zum Thema Sex hat wohl jeder Fragen – das gilt auch für Geflüchtete. Damit diese adäquat beantwortet werden können, haben sich der Burgenlandkreis und die Hochschule Merseburg spezifisch mit der Sexualbildung von Flüchtlingen auseinander gesetzt. Nun haben sie ein entsprechendes Handbuch herausgegeben. Die Broschüre "Sexuelle Bildung in Einrichtungen" richtet sich vor allem an Personen, die mit Geflüchteten arbeiten: Bei ihnen sollen Ängste und Vorurteile bei der interkulturellen Vermittlung von Sexualität abgebaut werden. Der Landkreis ist bei dem Thema bundesweit federführend.
Mittlerweile wurden mehr als 80 Fachkräfte in Fortbildungen geschult. Der Burgenlandkreis organisiert außerdem Veranstaltungen zur Sexualbildung für Geflüchtete. Das Projekt erhielt vom Bundesinnenministerium einen Förderpreis in Höhe von 10.000 Euro.
Sex: junge Geflüchtete und Deutsche haben ähnliche Fragen
Bei Workshops zur Sexualbildung sprechen junge Geflüchtete und deutsche Jugendliche im Burgenlandkreis gemeinsam zum Beispiel über solche Fragen: Wie spreche ich jemanden respektvoll an? Wie funktioniert das mit der Verhütung? Eine Frage, die auch auftaucht: Warum wollen Mädchen mit Ausländern zusammen sein, obwohl sie was gegen Ausländer haben?
Große Differenzen gebe es zwischen den beiden Gruppen gar nicht, sagt der Professor für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung der Hochschule Merseburg, Heinz-Jürgen Voß: "Junge Leute haben immer ähnliche Fragen."
Unterschiede in der Sexualbildung lägen darin, dass Traumata oder Gewalterfahrungen bei der Flucht sowie unterschiedliche Religionen eine Rolle spielten. Außerdem sei der Bildungskontext ein anderer. In Deutschland übernehme vielfach die Schule die sexuelle Aufklärung, in anderen Ländern vermehrt die Moscheegemeinde oder Familie. "Auch nicht schlechter als hier – aber anders", fasst es Voß zusammen.
Spagat zwischen religiösen Regeln und Freiheit
Nancy Damm betreut als Mitarbeiterin des Jugendamts des Burgenlandkreises etwa 40 junge Geflüchtete. Sie spricht mit ihren Klienten auch über Sex. Jugendliche Flüchtlinge müssten den Spagat schaffen zwischen der Vorstellung "Hier darf ich alles" und "Meine Religion verbietet das", erzählt sie. Manche hätten deshalb gar keinen Sex. Andere wiederum fragten, wo in Deutschland überhaupt die Grenzen seien – da vermeintlich alles erlaubt sei.
Manche würden beispielsweise glauben, dass sie die Frauen, die in ihren Augen leicht bekleidet durch die Straßen laufen, einfach haben könnten, sagt Damm. Sie beginnt dann damit, die Männer über die Rechtslage in Deutschland aufzuklären. Wie viel dieser Ansatz bringe, sei jedoch schwer messbar. Bei manchen gebe es Situationen, wo man merke, dass ein Umdenken stattgefunden habe, sagt sie. "Das wusste ich nicht, das mache ich jetzt anders, ich will keinen Ärger haben, ich möchte mich hier anpassen", sagen laut Damm viele. Es werde aber auch Personen geben, wo die Erklärung abpralle.
Geflüchtete Männer würden über die Rolle der Frau in Deutschland aufgeklärt, sagt auch die Integrationspädagogin des Burgenlandkreises, Zeliha Civrilli. Sie erklärt, dass die jungen Männer lernen würden, bei Annäherungsversuchen auf die Körpersprache der Frauen zu achten, ein "Nein" zu akzeptieren und dann rücksichtsvoll auf Abstand zu gehen. Das sei allerdings ein Lernprozess.
Eltern haben Angst vor Sexualkundeunterricht der Kinder
Typische Probleme bei der sexuellen Bildung Geflüchteter seien oft ganz banal, sagt Civrilli. Beispielsweise ließen die Eltern ihre Kinder nicht zum Sexualkundeunterricht – aus Angst vor dem Unbekannten. So gebe es etwa die Vorstellung, dass sich die Kinder im Unterricht ausziehen müssten.
Ein zentrales Thema sei zudem die Verhütung. Verhütung sei im muslimischen Glauben nicht gewollt, sagt Civrilli. Aber zur heutigen Zeit gehöre es dazu. Auch dabei komme die Angst vor dem Fremden ins Spiel, sagt sie. Diese Ängste sollen durch die Bildung der Flüchtlinge abgebaut werden.
Quelle: MDR/mh
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 15. April 2019 | 17:00 Uhr