Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

KommentarGoodbye Geier: Was nach vier Jahren an der Spitze in Halle bleibt

27. März 2025, 17:02 Uhr

Nachdem der Stadtrat ihm die Ernennungsurkunde überreicht hat, ist Alexander Vogt nun neuer Oberbürgermeister von Halle. Mit dem Amtsantritt Vogts tritt ein anderer zurück ins zweite Glied: Egbert Geier, der vier Jahre lang den suspendierten und schließlich pensionierten Ex-OB Bernd Wiegand vertrat. Er wollte auch Oberbürgermeister werden, unterlag Vogt am Ende knapp in einer Stichwahl. Was bleibt vom Quasi-OB Geier? Ein Kommentar von Marc Weyrich, Leiter des MDR-Regionalstudios Halle.

Was man hatte, weiß man erst, wenn man es verloren hat. So lautet ein altes Sprichwort. Egbert Geier (SPD), Bürgermeister und Finanzbeigeordneter der Stadt Halle, ist noch da – aber nun eben nicht mehr in der Position als Interims-OB, die er länger als eine halbe Oberbürgermeister-Legislatur innehatte.

Mit der Suspendierung Bernd Wiegands wurde Geier, ein Mann der zweiten Reihe, in die erste geschubst. Viele unterstellten ihm, zu wenig eigene Impulse gesetzt zu haben – doch das greift zu kurz: Fast dreieinhalb Jahre lang konnte er nur verwalten und kaum gestalten, war doch unklar, ob und wann der als autoritär geltende Wiegand zurückkommen und womöglich zurückziehen würde, was Geier anstieß.

Zum Ende seiner vierjährigen Interims-OB-Zeit bekam Egbert Geier eine Würdigung des Stadtrats und viel Applaus. Bildrechte: MDR/ Cornelia Müller

Zukunftszentrum verhilft Geier zum Durchbruch

Dass Geier konnte, wenn er durfte, zeigt der Erfolg beim Zukunftszentrum, bei dem sich Halle gegen strahlende Städtenamen wie Frankfurt (Oder) und Leipzig durchsetzte. Es war das wohl sichtbarste Zeichen seines Vermächtnisses und sein Befreiungsschlag im Schwebezustand während der Suspendierung Wiegands. Geier lieferte ab, nachdem Wiegand pensioniert war und noch bevor er sich zur OB-Kandidatur durchgerungen hatte. Einfach, weil er einer ist, der zupackt, der was reißen will für die Stadt, die seit 20 Jahren seine Wahlheimat ist, auch wenn einige in ihm immer noch den "Besserwessi" sehen.  

Zerstrittenen Stadtrat geeint

Von Geier bleibt aber mehr als das Zukunftszentrum. In schwierigen Zeiten ohne gewähltes Stadtoberhaupt hat er seinen zerstrittenen Stadtrat geeint. So weit, dass abgesehen von der AfD und der Ex-Wiegand-Truppe "Hauptsache Halle" alle Fraktionen bei der Oberbürgermeisterwahl hinter ihm standen. Er zeigte, dass die Stadtverwaltung von Halle geräuschlos und skandalfrei zu führen ist.

Er selbst trat stets bescheiden auf, erarbeitete sich unter widrigen Bedingungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene einen hervorragenden Ruf, da er einen eher ungewöhnlichen Politikstil prägte, der sich womöglich an diesem Beispiel zeigt: Als vor einigen Monaten Kritik an der Arbeit des Landes nötig schien, war es Geier wichtig erst dann vor die Presse zu treten, nachdem er mit Ministerpräsident Haseloff (CDU) telefoniert und die kommende Kritik avisiert und erklärt hatte. Wo andere Ellenbogen ausfuhren, verteilte Geier Umarmungen – und auch mal Gummibärchen, hielt sich mit Ansage Türen offen. Menschlichkeit und Fairness mit Vorbildcharakter.

Egbert Geier schüttelt dem neuen OB von Halle, Alexander Vogt, die Hände Bildrechte: MDR

"Ein ganz feiner Kerl"

Wer mit ihm unterwegs ist, muss damit rechnen, dass er Fragen stellt, Meinungen abfragt, lang zuhört, abwägt. Das tut er so sorgfältig, dass es manchmal schon zögerlich wirkt. Obwohl es eine Stärke ist, erst zu denken, dann zu reden, ist diese Eigenart Geiers sicherlich ein Mosaikstein seiner Niederlage in der Stichwahl. Geier war zu ruhig, zu nett, etwas blass. Nüchterne Kompetenz strahlt weniger als populistische Phrasen. Wer ist schon der perfekte Kandidat?

Dennoch: Jetzt nach der Wahl fällt aus Mündern mannigfacher Mandatsträger jeder Couleur und politischer Ebene die Formulierung, der SPD-Mann sei "ein ganz feiner Kerl". Worte, die das Herz des 60-Jährigen wärmen dürften, dem viele allein menschlich den Wahlsieg gegönnt hätten als Lohn der Mühen der langen Vertretungszeit, fachlich wegen seiner zweifelsfreien Expertise etwa in Finanzfragen, die selbst Kontrahent Vogt wertschätzt. Knapp 52-Prozent der Wähler allerdings votierten für Vogt.

Halles Oberbürgermeister Vogt baut auch in Zukunft auf die expertise von Egbert Geier (l.). Bildrechte: MDR/Fabian Brenner

Die Macht der Wahlkreuze und ihre Strahlkraft

So ist Halle nun eine gespaltene Stadt. Vogt sollte sich hüten, als großer Gewinner aufzutreten, Geier hat Anlass den Kopf nicht allzu tief hängen zu lassen. Für beide ist die Situation unglücklich. Alexander Vogt muss sein Versprechen einlösen, Brücken zu seinen Nicht-Wählern zu bauen und verdient seine Chance.

Spreche ich in diesen Tagen mit Vogts Wählern, höre ich neben viel Rückendeckung auffällig oft kritische Töne. Etwa von einem Mann, der sagt, er hätte mit seiner Stimme pro Vogt nur den erwarteten haushohen Sieg für Geier etwas minimieren wollen, um ihm zu zeigen, dass nicht alles gut sei in Halle. Eine junge Mutter sagt, sie wisse eigentlich gar nicht mehr, warum sie Vogt gewählt habe. Jetzt, nachdem er obsiegte und sie sich mit der Berichterstattung über ihn auseinandersetze, hege sie Zweifel und Reue.

Was man hatte, weiß man erst, wenn man es verloren hat. Diese mögliche Erkenntnis zeigt die Macht der Wahlkreuze – und hat Strahlkraft weit über die Kommunalpolitik hinaus.

Mehr zum Thema

MDR (Marc Weyrich, Oliver Leiste)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 26. März 2025 | 17:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen