Landesweite Proteste Warum Arztpraxen am Mittwoch früher geschlossen hatten
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Patienten standen am Mittwoch teilweise vor geschlossenen Praxen. Grund war ein landesweiter Protest gegen ein neues Gesetz, durch das Sachsen-Anhalts Ärztinnen und Ärzte eine schlechtere Betreuung ihrer Patienten befürchten.

- Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will künftig Geld sparen, in dem er unter anderem die Neu-Patienten-Regelung abschafft.
- In einer Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf fordert der Verband der Krankenkassen den Gesetzgeber zum Beispiel dazu auf, niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten einen Inflationsausgleich für die Jahre 2023 und 2024 vorzuenthalten.
- Kritik an Lauterbachs Plänen äußerten etwa der Hausärzteverband Sachsen-Anhalt, der fachärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt und der Ärztekammer Sachsen-Anhalt.
In Sachsen-Anhalt standen Patientinnen und Patienten am Mittwochmittag teilweise vor geschlossenen Arztpraxen. Grund war eine Protestaktion der Kassenärztlichen Vereinigung (KVSA) gegen die Sparpolitik der Bundesregierung. Neben der KVSA riefen auch der Hausärzteverband Sachsen-Anhalt und die fachärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt zu der landesweiten Protestaktion auf. Daran sollten sich am Mittwoch ab 11 Uhr alle Praxen beteiligen. So hatte beispielsweise die Poliklinik Poli Reil in Halle bereits im Vorfeld angekündigt, sich dem Aufruf anschließen zu wollen.
Sprecher Udo Israel sagte MDR SACHSEN-ANHALT, die Praxen aller 14 medizinischen Fachrichtungen würden deswegen ab Mittwochvormittag geschlossen bleiben. Rund 80 medizinische Mitarbeitende, darunter 25 Ärztinnen und Ärzte seien betroffen. Er riet den Patienten sich vorab zu informieren, ob ihre Praxis geöffnet habe.
Finanzstabilisierungsgesetz: Neue Regeln für neue Patientinnen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will unter anderem die Neu-Patienten-Regelung abschaffen, um Geld zu sparen. Die Krankenkassen erwarten im kommenden Jahr ein Minus von 17 Milliarden Euro. Die Neu-Patienten-Regelung war erst vor wenigen Jahren eingeführt worden und sah beispielsweise Extra-Honorare für neue Patienten und zusätzliche Termine vor. Die Folge einer Abschaffung wäre laut Israel, "dass man weniger Patienten behandeln kann". Patienten müssten dann möglicherweise wieder länger auf Termine bei Hausärzten, Fachärzten und Psychotherapeuten warten.
Jörg Böhme, Vorstandsvorsitzender der KVSA, sagte, die aktuellen Entwicklungen für die ambulante Versorgung sei in Sachsen-Anhalt ohnehin schon angespannt und sehr besorgniserregend. Die Attraktivität einer ambulanten Tätigkeit werde für den ärztlichen Nachwuchs sinken. Das müsse vermieden werden.
Inflationsausgleich soll gestrichen werden
In seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf forderte der Verband der Krankenkassen den Gesetzgeber unter anderem dazu auf, niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten einen Inflationsausgleich für die Jahre 2023 und 2024 vorzuenthalten. Zudem sollen die Orientierungs-Werte und Punkt-Wert-Zuschläge zur Abrechnung von Leistungen für die kommenden zwei Jahre eingefroren werden.
Kritik an Lauterbachs Plänen
Poli Reil-Sprecher Udo Israel erklärte, mit diesen Vorschlägen würden nicht nur Gehälter stagnieren, sondern in der aktuellen Situation von steigenden Energiekosten und allgemeiner Inflation vor allem Investitionen unmöglich gemacht. Israel sprach bei MDR SACHSEN-ANHALT von einer Nullrunde, die am Ende dazu führe, dass weniger Geld für die Behandlung der Patienten bleibe.
Ähnlich äußerte sich Torsten Kudela, Facharzt für Allgemeinmedizin und Rheumatologie aus Magdeburg und Vorsitzender des Hausärzteverbandes Sachsen-Anhalt: "Wir brauchen Verlässlichkeit. Wir können nicht aufgrund von Gesetzlichkeiten heute unseren Praxis-Alltag umorganisieren, und morgen soll alles wieder hinfällig sein."
Petra Bubel, Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde aus der Lutherstadt Eisleben und Landesvorsitzende der Fachärztlichen Vereinigung sagte dazu: "Es ist eine Zumutung, wie mit uns und damit unseren Patienten umgegangen wird. Erst haben wir im Vertrauen auf die Neupatientenregelung unsere Sprechzeiten ausgeweitet und Praxisabläufe umgestaltet, um mehr Patienten schneller mit Terminen versorgen zu können. Nun soll an genau dieser Stelle auf Kosten der Patienten gespart werden, um das Finanzloch der gesetzlichen Krankenversicherung zu stopfen."
Auch die Ärztekammer Sachsen-Anhalt hat zahlreiche geplante Änderungen in der Gesundheitspolitik kritisiert. "Von der Politik wünsche ich mir Verlässlichkeit", sagte der Vorstand der Ärztekammer, Thomas Dörrer, MDR SACHSEN-ANHALT. Unter anderem richtet sich seine Kritik gegen den Plan der Bundesregierung, die sogenannte Neupatienten-Regelung wieder abzuschaffen, um Geld zu sparen. "Es kann nicht sein, dass ein Gesetz nur drei Jahre Bestand hat und je nach Wetterlage wieder umgemodelt wird", so Dörrer.
MDR (Oliver Leiste, Cornelia Winkler, Annekathrin Queck)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 12. Oktober 2022 | 07:30 Uhr
D.L. vor 50 Wochen
@salzbrot: ich gehe Mal davon aus, das sie keinen Einblick in die Abläufe in einer Arztpraxis haben oder auch nur eine Stunde dort gearbeitet haben...
THOMAS H vor 50 Wochen
salzbrot: Nach dem Lesen Ihrer Zeilen, kann nur gehofft werden, daß die Ärzteschaft (vor allem die Hausärzte) nicht mal Dienst nach Vorgabe macht und bei erreichen der monatlichen Budgetierung die Praxen schließt. Dann wird wahrscheinlich nicht mehr davon geredet, das Mittwoch Nachmittag die Praxen eher geschlossen sind, wobei es ja auch um eine Gesetzesänderung zum Nachteil (z. B. längere Wartezeiten bei Terminen) der Patienten geht.
salzbrot vor 50 Wochen
Unangenehm, wenn die Berufsgruppe mit den höchsten Einkommen hier so eine Gerechtigkeits- und Armutsdebatte vom Zaun bricht. Was sie damit erreichen ist, dass die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung für die Versicherten noch stärker als bislang angekündigt steigen. Ist die ärztliche Tätigkeit wirklich so viel mehr wert als andere Berufe?