Anschlag in Halle Achter Prozesstag: Zeugen aus der jüdischen Gemeinde befragt

01. September 2020, 17:59 Uhr

Am achten Prozesstag zum Halle-Attentat kamen erstmals Zeugen der jüdischen Gemeinde zu Wort. Sie berichteten, wie sie den Anschlag aus nächster Nähe erlebten. Der Kantor der Gemeinde richtete einen Appell an den Angeklagten.

Im Landgericht Magdeburg wurde am Dienstag der Prozess gegen den Attentäter von Halle fortgeführt. Am achten Prozesstag waren zum ersten Mal Zeuginnen und Zeugen geladen, die sich am Tag des Anschlags in der Synagoge befunden haben.

Zuerst wurde eine Zeugin befragt, die – wie einige Synagogenbesucher – für die Jom-Kippur-Feier extra aus Berlin angereist war. Wenige Augenblicke bevor der Attentäter eintraf, verließ sie die Synagoge für einen Spaziergang. Ihr Fehlen wurde bald bemerkt und besorgte die Anwesenden. Später sei sie mithilfe der Polizei in die Synagoge zurückgekehrt. Vom Anschlag selbst hatte sie außer ein paar Geräuschen zunächst nichts mitbekommen.

Anschlag wirkt bis heute nach

Anschließend schildert eine weitere Zeugin, wie sie den Anschlag im Inneren der Synagoge erlebte. Laute Geräusche, das Zurückziehen in einen hinteren Raum und auch den anschließenden Polizeieinsatz bis hin zur Evakuierung. Ihr Eindruck: Manchen Polizisten habe das Verständnis dafür gefehlt, dass sie es gerade mit Jüdinnen und Juden zu tun hatten. Beide Zeuginnen berichten auch, wie sie den Anschlag in den Folgemonaten verarbeitet haben.

Später schilderte der Rabbiner das Erlebte aus seiner Sicht. Auch er wunderte sich am Tattag fortlaufend über das Vorgehen der Polizei. Während ihrer Befragung versuchten die drei auch, die Bedeutung des Feiertages Jom Kippur und dessen Ablauf darzustellen. Als vierter Zeuge kam der Kantor der Gemeinde zu Wort. Zum Abschluss seiner Ausführungen richtete er einen eindringlichen Appell an den Angeklagten und erklärte, dass dessen Wirken das Gegenteil seines Ziels bewirkt hätte. Die Menschen in Halle seien durch den Anschlag näher zusammengerückt, sagte der Kantor.

Die Befragung einer Polizeibeamtin, die die Spuren am Tatort ausgewertet hatte, brachte nur wenig neue Erkenntnisse. Zum Abschluss des Tages wurde das Video aus der Überwachungskamera der Synagoge gezeigt.

Angeklagter hat Taten gestanden

Am 9. Oktober 2019 hatte der Angeklagte aus einer antisemitischen und fremdenfeindlichen Motivation heraus einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt und auf seiner Flucht zwei Menschen erschossen und weitere verletzt. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 28-Jährigem zweifachen Mord und 68-fachen Mordversuch vor.

Die Taten hat der Angeklagte zu Beginn des Prozesses bereits gestanden. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen sollen auch die Hintergründe der Tat aufgeklärt und die Frage, wie sich der Mann radikalisiert hat, beantwortet werden. Das Urteil in dem Prozess, bei dem 45 Nebenkläger zugelassen sind, soll voraussichtlich am 18. November verkündet werden.

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Grafik: Die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens kommt in den Verhandlungssaal ins Landgericht Magdeburg
Bildrechte: dpa/Max Schörm

Quelle: MDR/olei

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 26. August 2020 | 19:00 Uhr

12 Kommentare

Haller am 02.09.2020

"Es reicht also nicht, dass der Täter irgend etwas behauptet, eine Schuld zugibt und alle können nach Hause gehen."

Da stimme ich Ihnen zu 120% zu.
Nur in den notwendigen Schlussfolgerungen da dürften wir wieder absolut diametral liegen.

Ines W. am 01.09.2020

Liebe Maria, es ist in einem Prozess üblich, dass das Tatgeschehen vor Gericht in allen Aspekten aufgearbeitet wird. Es reicht also nicht, dass der Täter irgend etwas behauptet, eine Schuld zugibt und alle können nach Hause gehen. Auch die Opfer werden gehört und zu den Opfern gehören die in der Synagoge verbarrikadierten jüdischen Mitbürger, die der Täter ermorden wollte sicherlich.

Um die Schuld des Täters angemessen beurteilen und bestrafen zu können ist es eben wichtig die Verletzungen der Opfer durch Zeugenbefragungen herauszuarbeiten.

Es ist schon klar, dass manche hier im Forum den Vorfall gerne totschweigen oder möglichst schnell abgehandelt haben wollen, zeigt er doch auf, das menschenverachtende Reden und antisemitische Hetze durch Parteien und rechtsextremistische Stichwortgeber durchaus bei manchen Menschen auf fruchtbaren Boden fallen und eine mörderische Ernte daraus hervorgeht. Das passiert halt wenn man auf Anstand scheißt und Notwehrrechte herbeifantasiert.

Harka2 am 01.09.2020

Sie könnten berichten, wie man sich so fühlt, wenn vor der Tür Sprengsätze detonieren und geschossen wird, gerade mit der Erinnerung an das Ergebnis aus Neuseeland, wo ähnliches mit unfassbaren Folgen stattfand. Jeden Moment hätte der Täter durch die Tür brechen können! Das ist, als warte man auf seinen Mörder und genau das war es ja auch.

Es gibt ja nun wahrlich nicht nur körperliche Verletzungen, die man einem Menschen zufügen kann. Auch für diese seelischen Verletzungen, die Ängste und die daraus resultierenden Folgen für die Opfer muss der Täter bestraft werden.

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