Verhandlungsbeginn in MagdeburgAnschlag von Halle: Letzte Fragen vor dem Prozess
Am Dienstag beginnt in Magdeburg der Prozess gegen den Attentäter von Halle. Ein Prozess, wie ihn Sachsen-Anhalt so noch nicht erlebt hat. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch, das Interesse der Öffentlichkeit groß. Zahlreiche nationale wie internationale Medien werden vor allem für die ersten Prozesstage erwartet. Wir blicken voraus auf das, was in den kommenden Wochen passiert.
Kurz vor Beginn des Prozesses des Halle-Attentäters Stephan B. steigt in Sachsen-Anhalt die Anspannung. Denn mit diesem Prozess blickt nicht nur Deutschland, sondern die Welt auf Sachsen-Anhalt. Auf Pannen können Land und Gericht dabei gut verzichten. Bereits vom Vorfeld sorgten Kritik an der Arbeit der Polizei oder der Skandal um den Ausbruchsversuch des Angeklagte aus der JVA Halle für negative Schlagzeilen. Allein deshalb werden die Verhandlungstage zu einer logistischen Herausforderung. Der Prozess findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen und Corona-Schutzmaßnahmen statt. Gleichzeitig sollen ab morgen im größten Gerichtssaal Sachsen-Anhalts 170 Personen Platz nehmen – darunter Zuschauer, Medienvertreter, Nebenkläger, der Angeklagte samt Pflichtverteidiger, die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens und weitere Mitarbeitende des Gerichts.
Wie wird der erste Prozesstag ablaufen?
Sicher ist, dass der erste genau wie die kommenden Verhandlungstage für alle Beteiligten zeitig starten wird. Ab 7.00 Uhr morgens wird das Landgericht seine Türen für Zuschauer, Nebenkläger und akkreditierte Medienvertreter öffnen. Zwei Sicherheitskontrollen müssen sie durchlaufen. Um 10.00 Uhr soll dann die Verhandlung beginnen – mit offenem Ende.
Die Hauptverhandlung eines Strafprozesses beginnt dabei immer mit dem Verlesen der Anklageschrift. Allein diese ist mehrere Seiten lang. Anschließend geht es mit der Vernehmung des Angeklagten weiter – sowie nachfolgend die der Zeugen. Angesichts der Vielzahl von Nebenklägern, geladenen Zeugen sowieso Sachverständigen ist tendenziell von eher langen Tagen auszugehen. Doch können diese auch überraschend beendet werden, beispielsweise wenn ein Befangenheitsantrag gestellt wird.
Anders als Medienvertreter können Zuschauer ohne Akkreditierung den Prozess verfolgen. Allerdings stehen ihnen nur 50 Sitzplätze zur Verfügung. Wer einen dieser Plätze beanspruchen möchte, sollte rechtzeitig am Landgericht Magdeburg sein. Eine Maske ist im Gerichtssaal für alle Pflicht. Anders als Medienvertreter müssen Zuschauer ihre Taschen abgeben. Sie dürfen keine Lebensmittel und elektronische Geräte wie Mobiltelefone, Tablets, Laptops oder Film- und Fotoapparate mitnehmen.
Wird der Angeklagte aussagen?
Ob sich der Angeklagte zu den erhobenen Vorwürfen äußern wird, ist derzeit unklar. Zu dieser und weiteren Fragen wollte sich Pflichtverteidiger Hans-Dieter Weber bisher nicht äußern. Fest steht: Für Angeklagte besteht keine Pflicht, vor Gericht auszusagen.
Ist der Angeklagte schuldfähig?
Bereits vor Monaten ließ die Bundesanwaltschaft ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag geben. Das Ergebnis wird eine große Rolle für den Ausgang des Prozesses spielen. Erste Informationen darüber sind bereits an die Öffentlichkeit gedrungen. So soll beim Angeklagten nach Informationen der Wochenzeitung DIE ZEIT eine Persönlichkeitsstörung festgestellt worden sein. Im Wahn habe er jedoch nicht gehandelt. Der Angeklagte sei damit schuldfähig. Das deckt sich auch mit Informationen und Eindrücken, die aus Recherchen von MDR SACHSEN-ANHALT hervorgehen. Der Angeklagte ging bei seinen Vorbereitungen sehr strukturiert vor. Selbst die Fehler, die ihm am 9. Oktober 2019 unterliefen, waren in seinem vorab veröffentlichten Manifest einkalkuliert.
Wie positioniert sich die Öffentlichkeit?
Kurz vor dem Start des NSU-Prozesses hatten 2013 in München knapp 5.000 Menschen demonstriert. Eine Aktion in dieser Größenordung ist für Magdeburg derzeit nicht geplant. Allerdings hat ein breit aufgestelltes Bündnis für die ersten beiden Prozesstage zu einer Mahnwache von 8.00 bis 18.00 Uhr aufgerufen. Dazu gehören unter anderem die Seebrücke Magdeburg, Regina – Ravende Europäer gegen Intoleranz, das Aktionsbündnis "NSU-Komplex auflöse Halle" sowie die neu gegründete Initiative 9. Oktober Halle. Derzeit wird mit 200 bis 300 Teilnehmenden gerechnet.
Laut dem Bündnis geht es bei der Mahnwache darum, "die Perspektive der Nebenkläger*innen und anderer Betroffener solidarisch zu stärken und ihnen Raum zu bieten." Auch soll es bei der Mahnwache darum gehen, wie rechter Gewalt entgegen gewirkt werden kann. Die Mahnwache soll eine Plattform für Diskussionen und Redebeiträge sei. Neben Personen, die als Nebenkläger und Zeugen im Prozess auftreten werden, sind auch bekannte Persönlichkeiten aus Kultur und Politik angekündigt worden. Darunter der Lyriker Max Czollek und die Theater- und Hörbuchautorin Esther Dischereit, aber auch die Landtagsabgeordnete Henriette Quade (Die Linke) oder Heike Kleffner vom Verband für Betroffene rechtsextremer und antisemitischer Gewalt.
Ist eine Verhandlung wie beim NSU-Prozess zu erwarten?
Ein Vergleich zum NSU-Prozess ist bereits öfter gezogen wurden. Der Prozess vor dem Oberlandesgericht München dauerte mehrere Jahre. Anders als damals hat der jetzt Angeklagte aber bereits ein Geständnis abgelegt. Außerdem hat er seine Tat im Internet live gestreamt. In dem Video ist nicht nur seine Stimme zu hören, auch sein Gesicht ist zu erkennen. Die Beweislage ist also deutlich anders. Mit mehreren Monaten Verhandlung ist trotzdem zu rechnen. Stand jetzt sind 18 Verhandlungstage angesetzt. Es gibt Stimmen, die allerdings von wesentlich mehr ausgehen. Ein Prozess, der sich über Jahre zieht, ist derzeit aber nicht zu erwarten.
Welche Strafe droht dem Angeklagten?
Dem Angeklagten werden mehrere Straftaten zur Last gegelegt. Am schwerwiegendsten wiegt in der Anklageschrift der Vorwurf des zweifachen Mordes. Ihm droht damit eine lebenslange Haft von mindestens 15 Jahren. Eine der spannenden Fragen wird im Verlauf des Prozesses sein, ob eine "besondere Schwere der Schuld" festgestellt wird. Ausschlaggebed hierfür wird vor allem das psychiatrische Gutachten und die Einschätzung der Sachverständigen sein. Sollte eine "besondere Schwere der Schuld" festgestellt werde, so gibt es keine Möglichkeit, nach 15 Jahren Haft auf Bewährung frei zu kommen.
Darüber hinaus steht eine anschließende Sicherungsverwahrung im Raum. Diese kann bereits im Urteil, aber auch im Nachhinein angeordnet werden. Abhängig ist das davon, dass von einem verurteilten Täter auch nach Entlassung aus der Haft eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.
Quelle: MDR/mkl
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 21. Juli 2020 | 05:00 Uhr
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