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Ungewöhnliche AusbildungGestatten, ich werde Bestatter: Das erleben zwei Bestatter-Azubis aus Halle

31. Juli 2024, 09:16 Uhr

Bestatter haben hierzulande keine Nachwuchssorgen. Es gibt ausreichend junge Menschen, die sich um einen Ausbildungsplatz zur Bestattungsfachkraft bewerben. Was treibt junge Menschen an, diese Ausbildung zu machen? Die Azubis Antonia, 19, und Tim, 18, aus Halle erzählen aus ihrem Alltag in einem Bestattungsunternehmen.

Antonia Gneist und Tim Nagel bugsieren zusammen einen 150 Kilogramm schweren Sarg für eine Erdbestattung aus dem Klimaraum über den Hof zum Versorgungsraum. Der schwere Sarg ruht auf einem Träger mit vier Rädern und rollt leise über den Boden.

Tim, 18 Jahre, trägt dabei seine Dienstkleidung: schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. Antonia, 19 Jahre, arbeitet mit Blazer und dazu passender Hose. Bei den Frauen im Betrieb ist man da nicht ganz so streng, sagt sie. Und Tim fühlt sich wohl, auch wenn der junge Mann mit dem Anzug sehr streng aussieht und das Jackett bei schweren Arbeiten hier und da etwas zwickt.

Ausbildung zur Bestattungsfachraft: Das Warum

Die beiden haben sich direkt nach dem Abschluss der 10. Klasse für den Bestatterberuf entschieden. Bei Antonia waren Sterbefälle in der Familie der Anlass für ihre Berufswahl. "Ich wollte wissen, wie es nach dem Tod weitergeht, was mit dem Verstorbenen passiert, ich fragte mich, was dann kommt", erzählt sie. Nun ist sie am Ende des dritten Ausbildungsjahres und glücklich mit ihrer Berufswahl.

Meine Tante hatte einen Witz gemacht: 'Werd' doch Bestatter!'

Tim Nagel, 2. Lehrjahr

Tim war sich zunächst darüber unschlüssig, was er werden möchte. "Meine Tante hatte einen Witz gemacht: 'Werd' doch Bestatter!'" Die Idee gefiel ihm. Insgesamt machte er drei Praktika im Bestattungsunternehmen Avalon in Halle. Jedes Mal gefiel es ihm besser. Heute ist er im zweiten Lehrjahr und freut sich bereits auf das Dritte.

Bestatter ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Jeder darf sich so nennen. Die Azubis legen Wert darauf, dass sie sich nach ihrem Abschluss Bestattungsfachkraft nennen dürfen. Der kleine Unterschied macht`s und verrät ihre Qualifikation, für die sie eine dreijährige Ausbildungszeit benötigen. Derzeit gibt es bundesweit 543 Azubis im Bestatterwesen, 18 davon lernen in Sachsen-Anhalt.

Zum Aufklappen: Fakten zur Ausbildung als Bestattungsfachkraft

  • Ausbildungsdauer: 3 Jahre
  • Voraussetzung: Realschulabschluss
  • Lernfelder: Hygienische Versorgung von Verstorbenen, Durchführung von Trauergesprächen und Beisetzungen, Abholung und Überführung Verstorbener, Geschäftsdokumentation, Ethik, Englisch und Sport
  • Prüfung: im Bundesausbildungszentrum der Bestatter (Theo-Remmertz-Akademie) in Münnerstadt in Bayern
  • Mehr Infos: www.bestatter.de

Das erste Mal an einem Verstorbenen arbeiten

Antonia und Tim helfen sich beim Umziehen. Sie tragen einen grünen Arbeitskittel, er sieht ein wenig aus wie OP-Kleidung und wird wie diese auf dem Rücken mit Bändern geschlossen. "Das nennt sich Bereichskleidung, nicht Schürze!", klärt Antonia ihren Mitstreiter dabei auf.

Die zwei haben die Aufgabe, einen Verstorbenen für eine Abschiednahme vorzubereiten. Das heißt, dass seine Hinterbliebenen ihn ein letztes Mal sehen möchten. Dafür muss er gut zurechtgemacht werden. Mit den richtigen Griffen und vollem Körpereinsatz heben sie ihn aus dem Sarg und legen ihn auf eine Edelstahlliege. Dort waschen sie den Verstorbenen und ziehen ihm seine Lieblingskleidung an.

Das hier ist eine Massagecreme. Damit wird die Haut weicher und geschmeidiger. Wir setzten sie auch nach einer Rasur ein, damit die Haut nicht gereizt aussieht. Sogar Lippenstift haben wir zum Schminken.

Antonia Gneist, 3. Lehrjahr

Antonia nimmt eine Kopfstütze, im Fachjargon Kalotte, und bettet vorsichtig den Kopf des Verstorbenen darauf. "So liegt er etwas höher, damit wir besser arbeiten können." Dann greift sie zu einer Dose, die auf dem Arbeitstisch zwischen Haarspray, Kämmen, Rasierern und allerlei anderen Utensilien steht. "Das hier ist Kalon, eine Massagecreme. Damit wird die Haut weicher und geschmeidiger. Wir setzten sie auch nach einer Rasur ein, damit die Haut nicht gereizt aussieht. Sogar Lippenstift haben wir zum Schminken."

Bevor die Angehörigen Abschied nehmen, werden die Verstorbenen mit allerlei Hilfsmitteln zurechtgemacht. Bildrechte: MDR/Anja Nititzki

Und wie war es, das erste Mal diese Aufgaben zu erfüllen? Antonia hat diese Frage schon oft gehört. "Für mich war es komisch. Man muss sich daran gewöhnen. Ab und zu kommt es nämlich vor, dass die Verstorbenen noch einmal ausatmen, weil noch Luft in der Lunge ist. Das war im ersten Moment schon erschreckend." Für Tim war das nicht so aufregend, erzählt er. Sein erster Verstorbener hatte viele Hautverletzungen. "Ich wurde ins kalte Wasser geworfen. Für mich war das okay."

Was andere sagen

Manche sind schockiert, erzählt Tim, während er den Verstorbenen zurechtmacht. "Manche machen Witze wie: Gestorben wird immer, Du hast einen krisensicheren Job! Wenn ich junge Leute kennenlerne sind sie oft sehr interessiert. Ältere reagieren oft abweisend, wenn ich erzähle, welchen Job ich mache."

Seine Familie unterstütze ihn aber sehr, erzählt der 18-Jährige. "Meine Mutter, meine Tante und mein Onkel arbeiten als Altenpfleger. Das wiederum könnte ich gar nicht. Ich bin hier im Bestattungsunternehmen genau richtig."

"Hast du heute wieder einen Toten gesehen?"

Antonia und Tim brauchen zusammen eine gute halbe Stunde, bis der Verstorbene bereit ist für die Abschiednahme. Wieder bewegen sie den schweren Sarg durch die Räume im Bestattungshaus, wieder zurück in Anzug und Blazer. Nebenbei erzählt Antonia, dass sie viel Unterstützung von ihrer Familie bekommt und nach der Arbeit zu Hause gern berichtet, was im Betrieb los war. "Wenn ihr etwas nicht hören wollt, dann sagt Bescheid", sagt sie oft, um ihre Familie zu schonen, wenn sie das wünscht.

Ihr elfjähriger Bruder ist immer sehr interessiert und fragt oft: "Hast du heute wieder einen Toten gesehen?" Antonia lacht und schiebt den Sarg weiter in seine Endposition auf dem Katafalk. So heißt die Vorrichtung, auf der er sicher platziert wird, bevor die Angehörigen kommen.

Antonia erzählt ihrer Familie viel von ihrem Beruf. Bildrechte: MDR/Anja Nititzki

Humor beim Bestatter

Tim ist ein ernsthafter junger Mann. Sein Blick geht nach unten auf seine Fußspitzen. Dazu der seriöse schwarze Anzug. Er schaut so ernst aus, dass man kaum wagt, ihn anzusprechen. "Das ist mein 'Bestattergesicht', sagt er auf Nachfrage und grinst sympathisch. "Wenn man nicht lachen kann, sollte man den Job lassen", sagt der 18-Jährige. "Hinter den Kulissen haben wir Spaß, wie in jedem anderen Unternehmen auch. Aber sobald Kunden die Räume betreten, schlüpfen wir in unsere Rollen. Wir behandeln Angehörige natürlich immer mit Respekt. Sie sind in einer Ausnahmesituation."

Ein krisensicherer Job

Antonia sieht das genauso, nur das Bestattergesicht bekommt sie nicht so gut hin wie Tim. Die beiden haben ihren Traumberuf gefunden. Je mehr sie darin arbeiten, desto interessanter wird er, sagen beide. Antonia bleibt nach der Abschlussprüfung in ihrem Ausbildungsbetrieb. Die Festanstellung ist ihr sicher. Und Tim träumt in ferner Zukunft schon von seinem eigenen Bestattungshaus.

Bestattungsfachkraft zu sein ist ein krisensicherer Job. Der Chef der beiden, Bestattermeister Robert Wermann, sagt, dass es in seinem Gewerbe keinen Ausbildungsnotstand gibt. Junge Bewerber um einen Ausbildungsplatz gäbe es genug. Es mangele eher an ausbildungsberechtigten Betrieben.

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MDR (Anja Nititzki, Lucas Riemer) | Erstmals veröffentlicht am 29.07.2024

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 30. Juli 2024 | 19:00 Uhr

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