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Interview zur Cannabis-Legalisierung"Meine große Sorge sind die Jugendlichen und Heranwachsenden"

02. Dezember 2022, 18:31 Uhr

Sabine Ahrens-Eipper ist Psychotherapeutin in Halle. Hier erklärt sie, welche Risiken von Cannabis für junge Menschen ausgehen – und unter welchen Voraussetzungen sie eine Legalisierung der Droge für vertretbar hält.

MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Ahrens-Eipper, wie blicken Sie als Psychotherapeutin auf die Cannabis-Legalisierungsdebatte?

Sabine Ahrens-Eipper: Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Entkriminalisierung von Cannabis. Gerade suchtkranken Erwachsenen hilft es in der Regel nicht, wenn ihre Sucht auch noch mit Straffälligkeit einhergeht. Meine große Sorge sind aber die Jugendlichen und Heranwachsenden. Wenn es ab 18 einen freien Zugang zu Cannabis gibt, ist ja klar, dass der Zugang vereinfacht ist, selbst wenn er über lizenzierte Geschäfte erfolgt. Als Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer machen wir uns deshalb vor allem Sorgen um die 12- bis 18-jährigen und um die 18- bis 25-jährigen.

Zur Person: Sabine Ahrens-Eipper

Sabine Ahrens-Eipper ist promovierte Psychologin und Psychotherapeutin. Viele Patienten in ihrer Praxis in Halle sind Kinder und Jugendliche. Sabine Ahrens-Eipper ist zudem im Vorstand der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer.

Warum?

Es herrscht die Vorstellung, dass eine Entkriminalisierung von Cannabis zu weniger Konsum und zu weniger starkem Cannabis führen würde. Davon sind wir nicht überzeugt. Wir glauben, dass der Zugang gerade für die Unter-18-jährigen deutlich leichter wird. Das kennt man ja vom Alkohol. Da kann man jeden Samstag vorm Supermarkt sehen, wie die Unter-18-Jährigen warten, bis der 18-Jährige den Alkohol rausschleppt. Ähnlich wäre das mit legalisiertem Cannabiszugang.

Und im Zeitraum zwischen 18 und 25 ist die Hirnentwicklung besonders empfindlich. Da bringt Cannabiskonsum ein sehr großes Risiko mit sich, schwere Schäden zu verursachen.

Welche Schäden kann Cannabis bei jungen Menschen denn verursachen?

Cannabis hat ein Suchtpotenzial. Jugendliche, die regelmäßig konsumieren, begegnen uns jetzt schon in den Praxen. Sie können sich nicht konzentrieren, können sich nicht aufraffen. Der Schulbesuch wird schwierig, auch eine depressive Stimmungslage ist sehr wahrscheinlich. Und in seltenen Fällen werden cannabisinduzierte Psychosen ausgelöst, die bleiben. Man hat dann mit einer der schwersten psychischen Erkrankungen zu kämpfen, die es gibt.

Der Großteil der jungen Konsumierenden lässt es zum Glück schnell wieder. Aber als Psychotherapeutenkammer haben wir eine Verantwortung für die Patientenversorgung, und es gibt eine kleine Gruppe der Konsumierenden, die sich sehr negativ entwickeln kann. Das macht uns Sorge.

Sie kritisieren auch die psychologische Wirkung einer Cannabisfreigabe ab 18. Warum?

Wenn wir sagen, ab 18 darfst du Cannabis konsumieren, dann machen wir das dadurch attraktiv. Viele Dinge, die etwas mit Erwachsensein und Freiheit zu tun haben, erlauben wir ab 18, zum Beispiel harten Alkohol zu trinken oder allein Auto zu fahren. Jetzt ordnen wir hier plötzlich Cannabis mit ein. Wir sagen also, hier ist etwas, das darfst du nehmen, wenn du 18 bist, das steht für reif und erwachsen sein. Das ist, finde ich, eine ganz problematische Botschaft. Was lösen wir damit für eine Debatte in den Familien aus?

Unter welchen Voraussetzungen hielten Sie eine Cannabis-Legalisierung für verantwortbar?

Wenn überhaupt, müsste die Altersgrenze aus entwicklungspsychologischer Sicht bei 25 sein. Darüber sind sich die Experten einig. Ich hielte außerdem für selbstverständlich, dass es ein Werbeverbot für Cannabis gibt. Und Cannabis in Apotheken zu verkaufen, halte ich für keine gute Idee. Das gleichzusetzen mit einem Medikament, ist eine fragliche Botschaft.

Das Thema ist leider so komplex, dass es nicht die eine gute Lösung gibt. Ich verstehe sowohl die Idee der Entkriminalisierung im Erwachsenenalter, damit Menschen mit einer Sucht nicht zusätzlich in einen Kriminalitätssog gezogen werden, aus dem sich weitere Probleme ergeben. Auf der anderen Seite haben wir die Jugendlichen und Heranwachsenden, deren Schutz im Vordergrund stehen muss.

Wird Ihrer Meinung nach in den Schulen genug für die Drogenprävention getan?

Ich würde mir wünschen, dass Prävention in allen Bundesländern fest zu den Lehrplänen gehört. Wie geht man mit Stimmungstiefs, Stress und Leistungsdruck um, ohne zu Suchtmitteln zu greifen – das gehört in die 7. und 8. Klasse, und zwar nicht nur mit einem Stündchen, damit die Schülerinnen und Schüler Strategien an die Hand bekommen, wie man mit belastenden Situationen umgeht. So könnten wir den Anteil derer vermindern, die zu Suchtmitteln greifen.

Es gibt immer wieder einzelne tolle Projekte, die sich wissenschaftlich als wirksam erweisen, aber dann wieder in der Mottenkiste verschwinden, weil es nicht gelingt, sie dauerhaft in die Lehrpläne zu implementieren.

Wären die Psychotherapie-Praxen für einen möglichen Ansturm junger Patientinnen und Patienten gewappnet, falls es diesen nach einer Cannabis-Legalisierung geben sollte?

Was die Versorgungslage angeht, sind wir gerade im Bereich der Kinder- und Jugendpsychotherapie in den ostdeutschen Bundesländern und insbesondere in den ländlichen Bereichen schon jetzt am Limit. Gesetzt den Fall, es käme plötzlich ein Schwung süchtiger Jugendlicher dazu, wären wir darauf nicht vorbereitet.

Die Fragen stellte Lucas Riemer.

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MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 03. Dezember 2022 | 12:00 Uhr

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