Junge Menschen im Ehrenamt "Es sind keine leichten Zeiten – aber die Jugendlichen geben nicht auf"

12. März 2023, 17:15 Uhr

In Sachsen-Anhalt engagieren sich viele junge Menschen für die Gesellschaft und ihr persönliches Lebensumfeld. Allerdings stehen freiwillige Projekte häufig auch vor großen Hürden. Die Initiative "Freistil" der Freiwilligen-Agentur Halle bietet Unterstützung und verleiht jährlich den Jugendengagementpreis. Manchmal können sich aus freiwilliger Arbeit sogar berufliche Möglichkeiten entwickeln.

Kindern mehr Selbstvertrauen geben – das möchte die 17-jährige Marlene Lang. Fast zwei Jahre lang hat sie deshalb im Hort "August-Hermann-Francke" in Halle ehrenamtlich eine Arbeitsgemeinschaft für Viertklässler geleitet. Ihre Idee: besonders ruhigeren Kindern Tipps und Tricks an die Hand geben, um aus sich herauszukommen. Neben Erwärmungsspielen und kommunikativen Ansätzen lehrte Marlene als Schwarzgürtel-Trägerin auch Taekwondo-Übungen, die die Koordination stärken und den Rund-Um-Blick der Kinder weiten sollen.

Ehrenamt spendet Selbstvertrauen

"Für die Schülerinnen und Schüler war das Angebot mal was anderes, was nicht so Alltägliches", erzählt Marlene. Das Projekt entstand in einem Wahlfach an ihrem Gymnasium, in dem sie sich mit dem Thema Engagement auseinandergesetzt haben. Für Marlene war schnell klar, dass sie etwas mit Kindern machen möchte. Weil sie selbst noch keine ausgebildete Lehrerin ist, hat sie den Unterricht auf ihre ganz eigene Art gestaltet und die Wünsche ihrer Schüler aktiv einbezogen. "Ich habe mehr von den Kindern gelernt, als die Kinder von mir", sagt sie jetzt rückblickend. "Darüber, was meine Stärken und Schwächen sind." Das Feedback der Erzieher aus dem Hort habe dann auch ihr Selbstvertrauen gegeben.

Projekt "Freistil" verleiht jährlichen Jugendengagementpreis

Doch nicht nur die Hortkinder waren von Marlenes AG begeistert. 2022 gewann sie mit ihrer Idee den Jugendengagementpreis von "Freistil - Jugend engagiert in Sachsen-Anhalt", ein Projekt der Freiwilligen-Agentur Halle. Er zeichnet junge Menschen aus, die sich gemeinnützig für andere einsetzen. 1.000 Euro gibt es für den Preis, außerdem schafft er Aufmerksamkeit für die Gewinnerprojekte und stärkt die Vernetzung mit Akteuren in der Region.

Bewerbung für den Jugendengagementpreis 2023 Die Bewerbung für 2023 ist noch bis zum 2. April möglich. Mitmachen können Schüler, Studierende, Auszubildende, Freiwillige und alle engagierten jungen Menschen im Alter von 14 bis 27 Jahren, egal ob allein, in der Gruppe oder mit einem Verein oder einer Initiative. Über die Preisträger entscheidet eine unabhängige Jury, bestehend aus engagierten Jugendlichen und Erwachsenen.

Oft sei der Jugendengagementpreis eine gute Starthilfe, um ein Projekt weiterzuverfolgen und bringe zudem Motivation, erzählt Stefanie List von "Freistil". In den vergangenen Jahren sind auf diese Weise schon viele Initiativen den nächsten Schritt gegangen. Ein Paradebeispiel, wie sich ehrenamtliches Engagement entwickeln kann, ist der Verein "Kinderklinikkonzerte". 2014 wurde das Magdeburger Projekt, das Musiker auf die Kinderstationen in Krankenhäusern bringt, mit dem Preis ausgezeichnet. Daraufhin haben die beiden Gründerinnen Nicole John und Nadja Benndorf Bands wie Revolverheld und Silbermond für sich gewonnen. Nicole John ist mittlerweile hauptberuflich für den Verein tätig.

Jugendliche in Sachsen-Anhalt engagieren sich sozial und politisch

Der Jugendengagementpreis wird seit 2003 verliehen. Auch die allerersten Preisträger schafften den Schritt zur Vereinsgründung. Das Projekt "IDEAL - Integration durch ein aktives Leben" setzte sich in Halle noch zehn Jahre für die langfristige Integration geistig behinderter Menschen ein. Unterstützung erhielten sie auch langfristig von "Freistil" und der Freiwilligen-Agentur.

Was ist "Freistil"?

"Freistil – Jugend engagiert in Sachsen-Anhalt" berät, fördert und unterstützt engagierte und interessierte Jugendliche bei der Umsetzung ihrer Ideen, Projekte und Aktivitäten im Bereich des gesellschaftlichen Engagements. Freistil ist Ansprechpartner beim Beantragen von Fördergeldern und bringt Vereine und Jugendinitiativen mit Unterstützern zusammen. Träger von "Freistil" ist die Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis.

In den vergangenen 20 Jahren gingen etwa 1.200 Bewerbungen von rund 16.000 Jugendlichen aus dem ganzen Land für den Preis ein. Wie viele junge Menschen sich in Sachsen-Anhalt insgesamt engagieren, darüber gibt es allerdings keine genauen Zahlen. Deutschlandweit gehen jedoch etwa 42 Prozent der 14- bis 29-Jährigen einer freiwilligen Tätigkeit nach. Das ist das Ergebnis der Freiwilligen-Survey des Bundesministeriums für Frauen, Senioren und Jugend aus dem Jahr 2019. Etwa 28,8 Millionen Menschen engagieren sich demnach über alle Altersgruppen hinweg für gemeinnützige Zwecke.

Das Engagement von Jugendlichen in Sachsen-Anhalt ist sehr vielfältig, bestätigt auch Stefanie List von "Freistil". Die Interessenlagen reichen von Politik über Klimaschutz bis hin zu gesellschaftlichem Engagement. Oft würden junge Menschen auch schauen, wie sie ihr Umfeld besser gestalten können, sei es in der Schule oder der Uni. "Die Jugendlichen in Sachsen-Anhalt wissen ganz genau, was sie tun müssen, damit es ihnen gut geht."

Die Jugendlichen in Sachsen-Anhalt wissen ganz genau, was sie tun müssen, damit es ihnen gut geht.

Stefanie List Projekt "Freistil"

Engagement ist auch abhänging von Wohnort

Die Möglichkeiten der Teilhabe variieren jedoch abhänging vom Wohnort, meint Uwe Lummitsch von der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen Sachsen-Anhalt. Während Menschen in Städten nachweislich häufiger ehrenamtlich tätig sind als in ländlichen Regionen, unterscheiden sich auch die Projekte. "Das Engagement findet im ländlichen Bereich dann vielleicht eher in der Jugendfeuerwehr, im Sportverein oder in einer regionalen Umweltgruppe statt, während in der Stadt beispielsweise Studierende als Mentoren tätig werden. Mobilität ist ein begrenzender Faktor im Engagement", so Lummitsch. Gleichzeichtig biete der digitale Raum aber auch neue Möglichkeiten für Engagement, das dann auch ortsunabhänging umgesetzt werden könne.

All das durch Beratung und Information unterstützen zu können, ist Stefanie List von "Freistil" eine Herzensangelegenheit. "Ich liebe die Arbeit mit dem Jugendengagementpreis, weil ich da sehe, wie engagiert junge Menschen wirklich sind. Es sind keine leichten Zeiten, aber ich sehe, dass die Jugendlichen nicht aufgeben, nicht verdrossen sind, keine Nullbockeinstellung haben. Dass sie wissen, dass ihnen die Zukunft gehört und sie diese gestalten müssen."

Es sind keine leichten Zeiten, aber ich sehe, dass die Jugendlichen nicht aufgeben. Dass sie wissen, dass ihnen die Zukunft gehört und sie diese gestalten müssen.

Stefanie List Projekt "Freistil"

Ehrenamtliche Projekte scheitern oft an Zeit und Geld

Trotz Herzblut für ehrenamtliche Zwecke kommt es nicht selten vor, dass Projekte scheitern oder irgendwann eingestellt werden. So existieren auch Initiativen vieler ehemaliger Preisträger heute nicht mehr. Das kann verschiedene Gründe haben. "Man darf nicht vergessen, dass das Ganze immer ehrenamtlich gemacht wird, also neben der Arbeit, der Ausbildung oder der Schule. Manchmal fehlt dann einfach die Zeit, das weiterzuführen", meint Stefanie List. Ein ganz großes Thema sei zudem das Geld. Auch wenn Ehrenamtliche für ihre Arbeit nicht bezahlt werden, haben Projekte laufende Kosten, die nicht immer gedeckt werden können.

Auch Marlene Lang weiß, dass ein ehrenamtliches Engagement nicht immer einfach ist. Für sie war es oft stressig, ihre AG mit Schule und Alltag zu vereinen. Mit dem Wechsel in die Oberstufe musste sie ihr Projekt deshalb vorerst einstellen. Doch der Gedanke, sich für Kinder zu engagieren, ist damit nicht vom Tisch. Auch wenn es noch nicht konkret ist, denkt Marlene darüber nach, ein Freiwilliges Soziales Jahr im Hort zu machen und die AG so wieder aufleben zu lassen. Auch in den Sommerferien wäre es möglich, wieder etwas zu organisieren.

Und auch für ihre berufliche Zukunft hat sie schon ein paar Ideen: Grundschullehrerin zu werden, wäre etwas, das sie sich durchaus vorstellen könnte.

Eine junge Frau lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Über Sarah-Maria Köpf Sarah-Maria Köpf arbeitet seit Mai 2021 für MDR SACHSEN-ANHALT. Sie ist in Leipzig aufgewachsen und hat dort Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert, bevor es sie für den Master in "Multimedia & Autorschaft" nach Halle zog.

Neben dem Studium arbeitete sie für den Radiosender Mephisto 97.6, die Leipziger Volkszeitung und das Grazia Magazin. Ihr Schwerpunkt liegt im Bereich Social Media.

MDR San Mitarbeiter Engin Haupt
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Über Engin Haupt Engin Haupt arbeitet seit Februar 2021 im Politikressort von MDR SACHSEN-ANHALT. Geboren und aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, hat ihn das Journalismus-Studium nach Magdeburg gebracht.

In seiner Freizeit spielt er unter anderem American Football und kommentiert die Fußballspiele des 1. FC Magdeburg für blinde Menschen.

MDR (Sarah-Maria Köpf)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 13. März 2023 | 19:00 Uhr

1 Kommentar

geradeaus am 13.03.2023

Es überrascht mich positiv das sich so viele, vor allem junge Menschen, freiwillig engagieren. Ne richtig tolle News zum Montag ^^

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