Menschenunwürdiges Wohnen in Halle-Südpark „Wenn ich eine andere Wohnung bekommen würde, wäre ich weg“
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03. Oktober 2024, 10:12 Uhr
Im Wohngebiet Südpark müssen die Menschen nun vorerst nicht mehr frieren. Die Stadtwerke haben die Fernwärmeversorgung wieder angestellt. Was vor Ort bleibt, sind allerdings die Probleme mit Müll, Schimmel, Ungeziefer – und das Gefühl, dass sich niemand kümmert.
Nachdem die Kamera für das MDR-Interview ausgeschaltet ist, stehen Adelheid Burmeister kurz die Tränen in den Augen. Schnell wischen ihre Hände die nassen Spuren unter der Brille weg. Sie macht sich Sorgen. Eine ihrer Töchter, erzählt sie, habe schon einmal mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus gemusst. Auch ihr Mann sei krank. "Mit denen muss ich vorsichtig machen", sagt sie. Sie hat Angst vor der kommenden Nacht, der zweiten ohne richtige Heizung. "Wir frieren wirklich hier drinnen. Man hat kein warmes Wasser, nichts." Neben ihr summt ein Elektroheizer angestrengt vor sich hin. Auf dem Herd blubbert in zwei Töpfen das Wasser, das einer ihrer Söhne sich zum Baden warm gemacht hat.
Fernwärme bis Dienstag
Wenige Stunden später: eine erlöste Adelheid Burmeister am Telefon. Warmwasser und Heizung funktionieren wieder. Kurz zuvor hatten auch Stadtwerke und Stadtverwaltung die frohe Botschaft in einer gemeinsamen Presseerklärung verkündet. Bis Dienstag ist für die betroffenen Mieterinnen und Mieter die Fernwärmeversorgung sicher. Bis dahin wollen Stadtwerke und Stadtverwaltung weiter nach einer Lösung suchen.
Burmeister wohnt im Wohngebiet "Südpark" in Halle-Neustadt. Am Dienstag hatten die Stadtwerke bei mehreren Blöcken in dem Gebiet die Fernwärmeversorgung abgestellt. Der Grund sei ein "erheblicher Zahlungsrückstand". Das teilten die Stadtwerke MDR SACHSEN-ANHALT auf Anfrage mit. Betroffen waren demnach Wohnblöcke in der Offenbachstraße, der Telemannstraße, der Eduard-Künecke-Straße, der Johann-Sebastian-Bach-Straße, der Ernst-Hermann-Meyer-Straße, der Mendelssohn-Bartholdy-Straße und Wohnhäuser im Ponyweg. Wie viele Menschen genau betroffen waren, ist unklar. In den jeweiligen Gebäuden stehen viele Wohnungen leer.
Langwieriger Mahnprozess
Eine Sprecherin der Stadtwerke sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Dienstag: "Wir bedauern es außerordentlich, die Einstellung der Wärmeversorgung wiederholt androhen zu müssen und wissen, dass die Mieter bereits jetzt unter der Situation massiv leiden." Es sei den Stadtwerken nicht möglich, die Wärmeversorgung aufrecht zu erhalten, wenn die Kosten dafür nicht gezahlt würden. Der Entscheidung sei ein langwieriger Mahnprozess vorausgegangen. Das Unternehmen soll zwar zugesagt haben, die offenen Forderungen kurzfristig auszugleichen. Das sei aber nicht passiert.
Das Unternehmen, um das es geht, ist die Bevo DE Alpha 2a GmbH. Sie ist Kundin der Stadtwerke, hat also einen Versorgungsvertrag mit den Stadtwerken abgeschlossen. Ob diese Firma aber auch Eigentümer der von der Abschaltung betroffenen Häuser ist, ist unklar. Die Einträge im Handelsregister führen in ein Dickicht aus durchnummerierten Schwestergesellschaften, alle mit dem selben Geschäftsführer -- Bernd Klein. Auf eine Anfrage antwortet Klein von der Mail-Adresse eines Mutterunternehmens namens DEGAG Wohnen: Er spricht von Erpressung durch die Stadtwerke, weil diese den Konflikt über die Mieter austrügen, anstatt die Zahlung der Heizkosten vor Gericht einzufordern. Das sei unverhältnismäßig.
Gleichzeitig finden sich Beschwerden von Mietern über ähnliches Vorgehen der DEGAG und ihrer Unterfirmen in anderen Städten. Das Unternehmen spekuliert in ganz Deutschland mit Gebäuden in schlechtem Zustand, über zahllose Untergesellschaften und eine Holding, die in Liechtenstein sitzt.
Bewohner fühlen sich allein gelassen
Die Mieterinnen und Mieter im "Südpark" zahlen nach Angaben einiger Betroffener durchaus Monat für Monat ihre Miete samt Nebenkosten. Bei den Stadtwerken scheint das Geld allerdings nicht anzukommen. Im Haus, in dem Adelheid Burmeister wohnt, hat das Hausverwaltungsunternehmen SIM Property Management einen Zettel ausgehängt mit einer Erklärung für die offenen Rechnungen bei den Stadtwerken: "Der Grund hierfür liegt in den unzureichenden Einnahmen aus den Mietzahlungen, die wegen des hohen Leerstands in den Objekten aktuell nicht ausreichen, um die laufenden Kosten vollständig zu decken."
Christine Liebschwager, die in einem anderen betroffenen Haus wohnt, sagte dazu einem MDR AKTUELL-Reporter: "Wir zahlen regelmäßig unsere Miete. Und irgendwo muss die da hingehen. Der Leerstand, da können wir ja nichts dafür." Die leeren Wohnungen, ergänzt sie, verbrauchten ja nichts. Die Probleme könne sie nicht verstehen. So geht es auch Klaus Starke, der mit Adelheid Burmeister in einem Haus wohnt: "Wir haben kein heißes Wasser, keine Heizung. Da können wir uns auch gleich unter die Brücke setzen. Das ist genau dasselbe." Auch andere Mieter sagen: Sie fühlen sich im Stich gelassen. Von der Hausverwaltung, von dem Eigentümer, von der Stadt.
Kummer sind die Menschen in den betroffenen Häusern im "Südpark" gewohnt. Schon seit Jahren gibt es immer wieder Probleme. Am Dienstag ist es zum ersten Mal passiert, dass die Stadtwerke den angedrohten Fernwärmestopp umgesetzt haben. Im Raum stand ein solches Risiko allerdings schon mehrere Male. Mehrere Mieterinnen und Mieter erzählen, dass in ihren Häusern seit Jahren nicht geputzt wurde. Auf den Grünflächen rund um die betroffenen Gebäude stapelt sich der Müll. Und das auf Flächen, auf denen eigentlich die Kinder spielen sollen, die zahlreich im Viertel wohnen. Seit Anfang September hat die Hausverwaltung ein zusätzliches Unternehmen eingesetzt, um Hausmeisterdienste wie die Hausreinigung und Grünflächenpflege in den betroffenen Häusern zu erledigen, die Künne Immobilien Gruppe. In Burmeisters Haus hat das Unternehmen einen Zettel ausgehängt, auf dem steht: "Wir werden versuchen, jedes Objekt in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen. Bitte sehen Sie es uns nach, wenn dafür etwas Zeit benötigt wird."
Schimmel und Schädlinge in der Wohnung
Auch mit Schimmel und Ungeziefer gibt es in den betroffenen Wohneinheiten Probleme. Burmeister kann davon ein Lied singen. In einem Raum ihrer Wohnung ist die ganze obere Kante übersät mit schwarzen Schimmelflecken. Ihre Tochter will in dem Raum nicht mehr schlafen, sagt Burmeister. Deswegen haben sie seit einiger Zeit zusätzliche Betten in einem anderen Raum aufgebaut. Immer wieder tauchten in den Wohnungen auch Kakerlaken auf. Die Schädlingsbekämpfung sei früher regelmäßig alle vier Wochen dagewesen, erzählt die 51-Jährige. Mittlerweile komme auch das Unternehmen nur noch, wenn per Vorkasse gezahlt würde. Der Vermieter sei überall dafür bekannt, seine Rechnungen nicht zu zahlen.
Offenbar auch bei den Notdiensten. Während das MDR-Kamerateam vor Ort ist, informiert ein Nachbar Adelheid Burmeister: Im Keller sei ein Rohr geplatzt. Das Wasser laufe nun ungehindert in den Keller. Ein Blick in den Keller zeigt: Über einige Abteile hinweg hat sich schon eine deutliche Pfütze gebildet. Bei der Hausverwaltung SIM Property Management habe er telefonisch nur den Anrufbeantworter erreicht, erzählt Edgar Vogel, der den Schaden im Keller entdeckt hat. Ein Notdienst habe am Telefon abgelehnt, sich um den Schaden zu kümmern. "Die Firma hier wäre zahlungsunfähig, sie kommen nicht mehr her", fasst der ältere Herr den Anruf zusammen. Die Nachbarn beraten, wer ihnen nun helfen könnte. Die Feuerwehr? Auch Stunden später hat sich nichts getan.
Stadt könnte eingreifen
Immerhin: Frieren müssen die betroffenen Mieterinnen und Mieter im Südpark vorerst nun nicht mehr. Auch, wenn der Vermieter die fehlende Summe noch nicht gezahlt zu haben scheint. Die Stadtwerke teilen in ihrer Presseerklärung mit, sie wollen ihm nochmals Zeit geben, um die Rechnung zu begleichen. Halles Bürgermeister Egbert Geier betonte, die Stadt sei sich ihrer Verantwortung in der Situation bewusst. Nach Angaben der Stadt strebt die Energieversorgung Halle eine einvernehmliche Lösung mit dem Vermieter der Wohnblöcke an. Gleichzeitig arbeite die Stadt aber auch an alternativen Lösungen auf Grundlage des Wohnraumaufsichtsgesetzes. Das Gesetz erlaubt Behörden, im Falle von verwahrlosten Wohnungen und Häusern einzugreifen.
Adelheid Burmeister und ihre Familie müssen sich mit den Problemen in ihrem aktuellen Wohnhaus nicht mehr lange herumschlagen. Bald ziehen sie in eine andere Wohnung. Das Jobcenter hat dem Umzug zugestimmt. Andere hatten nicht so viel Glück. So berichtet eine andere betroffene Mieterin von einem Fall, in dem einer Familie der Wegzug vom Jobcenter verwehrt wurde – obwohl die schon gefundene neue Wohnung den strengen Vorgaben für Sozialhilfeempfangende eigentlich entsprach. Das Jobcenter habe allerdings keinen Bedarf für einen Umzug gesehen. Anders die Mieter im "Südpark", von denen viele von Sozialhilfe leben. Im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT sind sich die meisten einig: "Wenn ich eine andere Wohnung bekommen würde, wäre ich weg."
MDR (Alisa Sonntag, Christian Erll, Sebastian Gall)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 02. Oktober 2024 | 17:00 Uhr
Ralf G vor 28 Wochen
mattotaupa - Ja, es können Baumängel ursächlich für Schimmel sein, aber Ungeziefer und Müll haben meist andere Gründe.
Auch unter den Hausverwaltungsunternehmen gibt's natürlich schwarze Schafe. Verstehe bis heute nicht, warum nicht durch gesetzliche Regelung bei unzumutbaren Zuständen kurzfristig eine Zwangsverwaltung aktiv werden kann, die zumindest für Heizung, Warmwasser und ggf. Strom sorgt. In diesem Staat, der sich für supersozial hält.
Klar, dass am Ende das Unternehmen die Kosten zu tragen hat, nicht der Steuerzahler.
augu vor 28 Wochen
Was ist eigentlich das Geschäftsmodell der DEGAG Wohnen ? Es gibt offenbar viel Leerstand in den Blöcken: Von den belegten Wohnungen Miete incl. Heizkosten- Vorauszahlung zu beziehen, aber keine Rechnungen für die Wärmelieferung zu begleichen, ist doch kein Modell das auf Dauer Gewinn abwirft. Gab es irgendwelche staatliche Zuschüsse bei Übernahme der maroden Blocks, wenn versprochen wurde, nur sehr begrenzte Mieterhöhungen bei Sanierungen vorzunehmen. Oder lag schlichtweg Fehlspekulation vor, weil die erhoffet Wertsteigerung trotz fehlender Sanierung nicht eintrat und so der erhoffte Weiterkauf mit Gewinn nicht möglich wurde.
mattotaupa vor 28 Wochen
schimmel ist nicht generell vom mieter zu verantworten. undichte fenster bzw. schäden am mauerwerk können das eindringen von wasser zulassen und feuchtes mauerwerk kann der mieter nicht allein mit lüften und heizen bekämpfen, zumal dadurch auch kosten entstehen, die die betroffenen hier wohl nicht tragen können. hatte selbst ne wohnung, wo es dem vermieter trotz durchgezogener mietminderung egal war, daß fenster allesamt undicht waren, die mauer zur dusche nicht ordentlich abgedichtet war und sich an der innenseite der außenwand durch salpeterbildung aufgrund des quasi nassen mauerwerkes die tapete auflöste. die wand an der dusche war auf der rückseite dauerhaft fühlbar nass. der vermieter scheint hier ähnlich desinteressiert zu sein. hatte auch schon fliesend wasser im wohnzimmer ... die wand runter ... weil eine regenwasserabfluß in der oberen etage verstopft war und das gesammelte wasser sich nen anderen weg suchte. zuvorkam dort schimmel durch langsam einsickerndes wasser.