Drei Rettungsschüler proben in einem Schulungswaagen den Ernstfall
In der Landesrettungsschule von DRK und ASB lernen die Auszubildenden in Rollenspielen, wie sie im Ernstfall reagieren können. Bildrechte: MDR/Sarah-Maria Köpf

Prävention in der Landesrettungsschule So bereiten sich Rettungskräfte auf Gewalt im Einsatz vor

29. Januar 2023, 16:15 Uhr

Sie kommen, um zu helfen – und werden immer häufiger selbst verbal oder körperlich attackiert: Die Zahl der Angriffe auf Rettungskräfte steigt. In der Landesrettungsschule von Rotem Kreuz und Samariterbund in Halle werden die Notfallsanitäter von morgen ausgebildet. Das Thema Gewaltprävention ist hier wichtiger Bestandteil des Unterrichtsplans. Wie das in der Praxis aussieht.

50 Schülerinnen und Schüler werden pro Jahrgang an der Landesrettungsschule von Deutschem Roten Kreuz (DRK) und Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) zum Notfallsanitäter ausgebildet. Seit 2021 ist Amos Nahlik einer von ihnen. Schon zu seiner Schulzeit half er bei der Absicherung von Festivals. Durch die Wasserrettung und einen Freiwilligendienst beim DRK entdeckte der junge Mann schließlich das Berufsbild des Sanitäters für sich. Der Schattenseiten seines Jobs ist sich der 19-Jährige bewusst. Bei seinen praktischen Einsätzen, die fest in den Schulungsplan an der Landesrettungsschule integriert sind, hat er bereits sowohl körperliche als auch verbale Gewalt erlebt. "Damit muss man in dem Beruf in gewisser Weise umgehen lernen", sagt er.

"Ich wurde schon von einem alkoholisierten Patienten angegriffen, der dann letztendlich mit erhobenen Fäusten auf mich zugekommen ist. Da ist dann auch für mich schnell klar gewesen: Ich muss die Situation verlassen." In der Kommunikation mit den Kollegen habe das auch sehr gut geklappt, erzählt Nahlik. Man müsse sich dann darauf verlassen, dass die Polizei die Situation erst einmal "sicher macht".

Rettungskräfte sollen Gewaltsituationen meiden

Sich allerdings wirklich auf solche Extremsituationen vorzubereiten sei schwierig, denn jeder Patient ist am Ende anders. In der Rettungsschule lernen sie deshalb, das Blickfeld zu erweitern und die Situation schon im Vorfeld genau zu analysieren. In der dreijährigen Ausbildung fließen allein etwa 100 Stunden nur in die Kommunikation mit dem Team und den Patienten, erzählt Schulleiter Andreas Krebs. Auch bei Fortbildungen für erfahrene Rettungskräfte sei das mittlerweile ein Thema.

"Wir bringen unseren Auszubildenden bei, solche Situation zu vermeiden", so Krebs. "Wir sehen das als Präventionsmaßnahme. Da, wo Gewaltpotenzial ist, sollte für die Rettungskraft die Grenze sein. Das ist dann der Einsatzbereich der Polizei. Ich gehe in keine Massenschlägerei rein. Das ist Arbeitsschutz." Ein sehr wichtiger Teil der Ausbildung sei aber auch die sogenannte Distanz- und Exitkontrolle. Die zukünftigen Rettungskräfte sollen lernen, ihre Situation und mögliche Fluchtwege schon im Vorfeld einzuschätzen. Gegenstände, die gefährlich werden können, sowie der Konsum von Drogen und Alkohol, müssen gleich zu Beginn identifiziert werden.

Da, wo Gewaltpotenzial ist, sollte für die Rettungskraft die Grenze sein. Das ist dann der Einsatzbereich der Polizei.

Andreas Krebs Leiter Landesrettungsschule von DRK und ASB

Alkohol und Drogenkonsum als potenzielle Gefahrenquelle

Das weiß auch Juliane Vogel bereits aus ihren Praxiseinsätzen. Die 28-Jährige ist gelernte Krankenschwester, hat sich dann zur Rettungssanitäterin weiterbilden lassen. Nach vier Jahren im aktiven Dienst setzt sie an der Landesrettungsschule die Notfallsanitäterin oben drauf. "Sehr auffällig sind alkoholisierten Personen oder Personen, die einen hohen Drogenkonsum haben und deshalb auch sehr schwer einschätzbar sind. Das bedeutet für uns, dass man eine gewisse Aufmerksamkeit haben muss, auch nachts um drei. Auch wenn uns das schwerfällt, denn wir sind alle nur Menschen", meint sie. Die Kontrolle des Umfelds sei deshalb umso wichtiger. "Gerade in der Wohnung, wenn man Waffen liegen sieht. Oder es ist offensichtlich, dass hier viele Drogen konsumiert werden. Das ist dann schon etwas, wo wir aufpassen müssen."

Neben praktischen Einsätzen und theoretischen Grundlagen kommen in der Ausbildung zum Notfallsanitäter vor allem Rollenspiele zum Einsatz. Verschiedene Szenarien werden durchgespielt, um zu schauen, bis wohin eine Situation unter Kontrolle ist. Durch Alkohol- und Drogenbrillen können die Schüler eine Gefahrensituation simulieren, erzählt Andreas Krebs. Spezielle Griffe, um einen Patienten zu beruhigen oder gewaltlos festzuhalten, werden in diesem Zuge auch erlernt.

Was ist die Landesrettungsschule? An der Landesrettungsschule des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Halle können Schülerinnen und Schüler die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter absolvieren. Pro Jahr werden zudem 120 bis 150 Personen zum Rettungssanitäter geschult. Die Ausbildung dauert insgesamt etwa drei Monate. Für bereits berufstätige Rettungskräfte werden an der Einrichtung auch Fortbildungen angeboten.

Beschimpfungen und Beleidigungen kommen am häufigsten vor

Andreas Krebs ist selbst bereits 17 Jahre im Rettungsdienst tätig. Obwohl er seit 2014 an der Landesrettungsschule lehrt und sie seit 2021 auch leitet, fährt er noch immer regelmäßig Dienste beim Roten Kreuz im Jerichower Land. Am Wochenende, meist zwei Mal im Monat. "Einmal rote Jacke, immer rote Jacke", meint der 37-Jährige. Als Berufsschullehrer ist es ihm wichtig, nicht aus der Praxis rauszukommen, erzählt er.

Auch er musste in seiner langen Dienstlaufbahn schon Erfahrung mit Gewalt machen. Häufig sind es vor allem verbale Angriffe, Beschimpfungen oder Beleidigungen. Körperliche Übergriffe würden eher selten vorkommen. "Ich hatte aber auch Patienten, die in meinem Rettungswagen randaliert haben. Das ist dann der Moment, wo sich die Einsatzkraft zurückzieht." Damals ging eine Scheibe zu Bruch. Nichts, was man nicht mit Geld ersetzen kann. Ein anderes Mal stand ein Mann mit Messer vor Andreas Krebs. "Die Wohnungstür war offen, wir sind langsam rein und dann stand da ein Patient mit dem Küchenmesser in der Hand. Weiter habe ich nicht geguckt. Ich habe die Tür von außen zugezogen und die Polizei nachgefordert. Als Rettungskraft gehe ich nicht in so eine Situation. Ich will ja selber gesund nach Hause kommen."

Jugendgewalt – Thema bei FAKT IST! aus Magdeburg

Was tun gegen Jugendgewalt? Dieser Frage widmet sich auch der MDR-Polit-Talk FAKT IST! aus Magdeburg. In der Sendung am 30. Januar 2023 diskutieren unter anderem der Direktor der Landespolizei in Sachsen-Anhalt, Mario Schwan, die CDU-Landtagsabgeordnete aus Halle, Kerstin Godenrath, der Magdeburger Psychiater Prof. Bernhard Bogerts und die Professorin für Kinder- und Jugendrecht, Theresia Höynck. Die Sendung wird am 30. Januar ab 20:30 Uhr auf MDR.de gestreamt und ist um 22:10 Uhr im MDR-Fernsehen zu sehen.

So individuell wie der Patient ist, so individuell kann die Lage sein, auf die die Rettungskräfte treffen. "Wir kommen zu Patienten, die wollen Hilfe. Wir kommen aber auch regelmäßig zu Patienten, die wollen keine Hilfe. Dort ruft ein anderer Bürger an, weil in der Öffentlichkeit jemand in einer Notlage ist." Manchmal brauche es auch gar nicht viel, um eine Situation eskalieren zu lassen. Ein falsches Wort reiche oft schon aus. Und nicht immer sind es die Patienten selbst, die die Kontrolle verlieren. Auch von Angehörigen kann Gewaltpotenzial ausgehen.

Toleranzschwelle gegenüber Gewalt sinkt

Obwohl Gewalt gegen Rettungskräfte in den vergangenen Jahren zugenommen hat, gehen die meisten Situationen oft gut aus. Andreas Krebs spricht von einer Einsatzsteigerung von 50 Prozent im Rettungsdienst. Die Gewalt nehme im Verhältnis jedoch nicht im gleichen Maße zu. Trotzdem bemerkt auch er: "In der Bevölkerung sind die Toleranzgrenzen auf beiden Seiten erreicht. Das Rettungsdienstpersonal ist an seiner Leistungsgrenze, die Bevölkerung ist an ihrer Belastungsgrenze mit allem, was so in der Welt passiert. Die Toleranzschwelle sinkt. Die Bevölkerung vergisst manchmal, dass da ein Mensch unter der Uniform steckt – egal, ob es Rettungskräfte sind, Feuerwehr oder Polizei."

Die Bevölkerung vergisst manchmal, dass da ein Mensch unter der Uniform steckt.

Andreas Krebs Schulleiter Landesrettungsschule von DRK und ASB

Wie im gesamten Gesundheitssektor fehlt es auch im Rettungsdienst an Personal. Man arbeite zurzeit an der Belastungsgrenze. Dazu kommt: "Wir sind als Rettungsdienst manchmal die Feuerwehr für alle Situationen, sei es der kassenärztliche Notdienst, der gerade nicht in der Nähe ist oder der Hausarzt, der auf dem Land nicht mehr vorhanden ist. Das Krankenhaus, das den Patienten von A nach B verlegen muss." Das sorge für zusätzliche Belastung und spanne auch auf Seite der Rettungskräfte den Geduldsfaden.

Deshalb brauche es Aufklärung. Darüber, was eigentlich die Aufgaben des Rettungsdienstes sind, aber auch, wo die eigenen Grenzen liegen. "Der Rettungsdienst hat die Einstellung: Wir helfen jedem in jeder Situation und manchmal vernachlässigt man dann den eigenen Schutz", meint Krebs. "Aber eine Situation kann schnell umkippen und das muss einem bewusst sein."

Eine junge Frau lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Über Sarah-Maria Köpf Sarah-Maria Köpf arbeitet seit Mai 2021 für MDR SACHSEN-ANHALT. Sie ist in Leipzig aufgewachsen und hat dort Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert, bevor es sie für den Master in "Multimedia & Autorschaft" nach Halle zog.

Neben dem Studium arbeitete sie für den Radiosender Mephisto 97.6, die Leipziger Volkszeitung und das Grazia Magazin. Ihr Schwerpunkt liegt im Bereich Social Media.

MDR San Mitarbeiter Engin Haupt
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Über Engin Haupt Engin Haupt arbeitet seit Februar 2021 im Politikressort von MDR SACHSEN-ANHALT. Geboren und aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, hat ihn das Journalismus-Studium nach Magdeburg gebracht.

In seiner Freizeit spielt der 23-Jährige unter anderem American Football und kommentiert die Fußballspiele des 1. FC Magdeburg für blinde Menschen.

Mehr zum Thema: Gewalt gegen Rettungskräfte

MDR (Sarah-Maria Köpf, Engin Haupt)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. Januar 2023 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

DanielSBK am 29.01.2023

Ich war selber nach meinem Bundeswehrdienst 2001 noch beim DRK und im Betreuungs- & Fahrdienst, als Kraftfahrer und durch meine Ausbildung als Fernmelder (und Funkamateur) und werde da nie wieder eintreten. Der Schein trügt. Und mir tun auch die Ehrenamtlichen leid, die sich den Ar... da aufreißen. Ich werde nie wieder irgendwas im "Ehrenamt" = oder für "Deutschland" machen. Damit habe ich abgeschlossen.

hansfriederleistner am 30.01.2023

Mit welcher Strafe muß eine Rettungsperson rechnen, wenn sie auch mal kräftig sich wehrt? Heute wird doch der Verursacher geschützt.

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