Ein kleiner Hörsaal, gefüllt nur mit Frauen.
Diese jungen Frauen sind der erste Jahrgang, der in Sachsen-Anhalt "Hebammenwissenschaft" studiert. Bildrechte: MDR/Luise Kotulla

Fragen und Antworten Warum Hebammen studieren müssen und was das den Schwangeren bringt

19. November 2022, 17:59 Uhr

Seit einem Jahr können angehende Hebammen in Sachsen-Anhalt ihren Beruf nicht mehr an Schulen lernen, sondern müssen studieren. Den Bachelor "Hebammenwissenschaft" gibt es hier jedoch nur an einer einzigen Universität. Die Ausbildungszeit ist von drei auf vier Jahre gestiegen. Welche Vorteile die Umstellung hat, ob genügend Hebammen ausgebildet werden können und was schwangere Frauen davon haben – MDR SACHSEN-ANHALT beantwortet die wichtigsten Fragen.

Luise Kotulla
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Warum durchläuft eine Hebamme keine klassische Ausbildung mehr?

Die Hebammenausbildung in ganz Deutschland wurde per Gesetz zum 1. Januar 2020 verändert. Sie soll dadurch laut Bundesministerium für Gesundheit attraktiver und moderner werden. Vorgeschrieben ist nun ein Studium, wie in allen anderen Ländern der Europäischen Union auch. Schon 2013 hatte die Staatengemeinschaft festgelegt, dass der Hebammen-Beruf akademisiert werden soll. Die Angleichung der Hebammenausbildung soll den Hebammen ermöglichen, in allen EU-Ländern arbeiten zu können, was so bisher nicht gegeben war.

Noch gibt es in Deutschland eine Übergangsfrist: Bis 31. Dezember 2022 kann die Ausbildung theoretisch noch begonnen werden – in Sachsen-Anhalt ist das aber schon seit dem Jahr 2021 nicht mehr möglich. Die beiden Hebammenschulen in Halle und Magdeburg nahmen schon da keinen neuen Jahrgang mehr auf.

Wo in Sachsen-Anhalt kann eine angehende Hebamme ihr Studium beginnen?

Lediglich in Halle können sich künftige Hebammen seit dem Wintersemester 2021 im neuen Bachelorstudiengang "Hebammenwissenschaft" einschreiben. Das duale Studium ist an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angesiedelt. Die Studierenden sind bei den Universitätskliniken Halle bzw. Magdeburg angestellt und erhalten eine Vergütung. Nach vier Jahren – und damit einem Jahr mehr als für ein Bachelor-Studium üblich – können sie ihren Abschluss machen – und haben dann einen Berufs- und einen Studienabschluss.

So viel Gehalt bekommt eine Hebamme in Ausbildung und Studium

Die Ausbildungsvergütung beträgt im ersten Studienjahr 1.160 Euro brutto, im zweiten Studienjahr 1.226 Euro und im dritten und vierten Studienjahr 1.333 Euro. Damit entspricht die Ausbildungsvergütung in etwa der bisherigen Vergütung der Hebammenschülerinnen an den Hebammenschulen.

Wie viel Praxis gibt es im Studium?

Für die vier Studienjahre erhalten die Studierenden einen Ausbildungsvertrag mit der Universitätsklinik Halle bzw. der Universitätsklinik Magdeburg. Beide Unikliniken sind Kooperationspartner der Martin-Luther-Universität und für die praktische Ausbildung der Hebammenstudierenden verantwortlich, so Dr. Gertrud Ayerle. Die gelernte Hebamme leitet den Studiengang in Halle. Die beiden Unikliniken schlössen wiederum Kooperationsverträge mit anderen Kliniken, mit hebammengeleiteten Einrichtungen und freiberuflich arbeitenden Hebammen ab. Dadurch bekommen die Studierenden Einblick in die verschiedensten Arbeitsbereiche.

Der praktische Ausbildungsteil umfasst im Studium in etwa 2.300 Stunden, an den Hebammenschulen waren es 3.000 Stunden. "Allerdings zählten hierbei auch mehrere hundert Stunden Praxis auf der chirurgischen und inneren Station einer Klinik mit, die jetzt im Hebammenstudiengang wegfallen", so Dr. Ayerle. Jetzt sei die Praxis auf die Geburtshilfe fokussiert, die praktische Ausbildung generell stärker strukturiert.

Die Studierenden werden beispielsweise in Fertigkeitstrainings vor ihrem Einsatz im Kreißsaal geschult – wie sie die Lage des Kindes im Bauch ertasten, wie sie Herztöne abhören, wie sie die erste Untersuchung des Neugeborenen durchführen und vieles mehr. Im Kreißsaal bzw. auf der Wochenstation werden sie von einer Hebamme oder einer Pflegekraft angeleitet. Um ihr jeweiliges Modul zu bestehen, müssen die Studierenden praktische Aufgaben erfüllen. Auch das hebammenwissenschaftliche Team der Uni begleitet sie immer wieder vor Ort.

Wie viele Hebammen werden in Halle ausgebildet? Deckt das den Bedarf?

Im ersten Jahrgang wurden 24 Studienplätze bereitgestellt und vergeben, im zweiten 23 Studienplätze. Die ersten Abschlüsse sind im Jahr 2025 zu erwarten. Den Bedarf an Hebammen deckt das "sicherlich nicht", so die Studiengangsleiterin der "Hebammenwissenschaft" in Halle, Dr. Gertrud Ayerle. Das Gesundheitsministerium in Sachsen-Anhalt sei sich darüber bewusst. Denn es können sich Bewerber aus ganz Deutschland um einen Studienplatz bemühen. Fertig ausgebildet, blieben sie möglicherweise nicht in Sachsen-Anhalt. Weitere Studienplätze zur Verfügung zu stellen sei eine finanzielle Frage, über die das Land entscheidet.

Eine Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, ob die Zahl der Studienplätze erhöht wird, ließ das Gesundheitsministerium unbeantwortet. In der Vergangenheit war immer wieder beklagt worden, dass es zu wenige Hebammen in Sachsen-Anhalt gibt. Bei jeder Geburt muss eine Hebamme anwesend sein, im Idealfall gibt es eine 1:1 Betreuung der Gebärenden. Das empfiehlt auch dringend eine Leitlinie zur Geburtshilfe in Deutschland. Die Realität sieht in den Kreißsälen so aus, dass eine Hebamme im besten Fall für eine Gebärende, im allerschlimmsten und seltenen Fall für vier Gebärende gleichzeitig zuständig ist – u.a. eine Folge des Hebammenmangels.

Derzeit scheint laut Dr. Ayerle die Zahl der Hebammen, die im Bundesland ausgebildet werden, stabil zu sein – weil im nächsten Jahr noch Hebammenschülerinnen im 3. Ausbildungsjahr ihre Ausbildung beenden werden. An den beiden Schulen in Sachsen-Anhalt hatten pro Kurs etwa 12 bis 15 Schülerinnen ihren Abschluss gemacht. Die Jahrgänge begannen normalerweise versetzt – ein Jahr an der Schule in Halle, im nächsten in Magdeburg. Nur in den letzten beiden Jahrgängen wurden je zwei Klassen aufgenommen, um das eine Jahr auszugleichen, in dem es keine Absolventinnen geben wird (also das Jahr 2024).

Welche Vorteile haben Schwangere von der neuen Art der Ausbildung?

Die angehenden Hebammen werden ein noch breiteres Wissen haben als die bisher an Schulen ausgebildeten Hebammen. Einer der wichtigsten Punkte: Sie lernen, wie sie Forschungserkenntnisse im Bereich der Geburtshilfe einschätzen und ggf. anwenden können. Schlagwort ist hier "evidenzbasiert". Sie sollen verstärkt anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse arbeiten und weniger aus Traditionen heraus, die von Generation zu Generation überliefert wurden.

Ein Beispiel: Früher wurde bei fast jeder Gebärenden ein Dammschnitt gemacht, weil man davon ausging, dass das das Gewebe schont. Durch die Forschung ist dies wiederlegt worden. Routinemäßig soll ein Dammschnitt nun nicht mehr gesetzt werden.

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Von der wissenschaftlichen Arbeitsweise, die im Studium vermittelt wird, sollen die Studierenden ihr Arbeitsleben lang profitieren. Das soll es ihnen erleichtern, dauerhaft dazu zu lernen und immer wieder die aktuellsten Forschungserkenntnisse in ihre Arbeit aufzunehmen.

Haben angehende Hebammen Vorteile davon?

Für die Hebammen sollen mit dem Studium Karrieremöglichkeiten eröffnet werden. Nach dem Bachelor können Master, Promotion, Habilitation folgen. Doch auch bereits mit dem Bachelor-Studium sind die Arbeitsgebiete vielfältig. Die Hebammen können in der Praxis oder in der Qualitätssicherung einer Klinik arbeiten, können Praxisanleiterin für zukünftige Studierende werden oder in die Beratung schwangerer Frauen bzw. junger Mütter gehen. "Da gibt es jetzt viel mehr Möglichkeiten, die die Hebammen-Studierenden haben werden im Vergleich zu Hebammenschülerinnen, die nicht akademisch ausgebildet wurden", so die Studiengangsleiterin an der Universität in Halle.

Was halten erfahrene Hebammen vom Studium?

Die Vorsitzende des Landeshebammenverbands Sachsen-Anhalt sagte auf Nachfrage, dass sie sehr froh sei über die Akademisierung des Berufs. "Es ist eine große Chance", so Hebamme Undine Bielau. Das Studium werte den Beruf auf und eröffne Karrierechancen, zudem könne endlich Hebammenforschung stattfinden. Sie hofft, dass sich auch das "Machtgefüge" zwischen Ärzten und Hebammen nun noch mehr aufweicht. Das sei in den vergangenen Jahren schon bemerkbar durch junge Kollegen.

Problematisch sei, dass es junge Menschen ohne Abitur nun sehr schwer hätten, den Beruf zu lernen – denn die Studienplätze gingen fast immer an Abiturienten. Außerdem wünscht sich Bielau, dass es für bereits schulisch ausgebildete Hebammen einfacher wird, nachträglich einen Studienabschluss zu machen. Für sie verkürzt sich die Studiendauer zwar auf die Hälfte. "Aber zwei Jahre Vollzeitstudium braucht es dann noch für den nachträglichen Titelerwerb. Das ist nur wenigen möglich", so die Vorsitzende des Landeshebammenverbands.

Wer darf sich für den Studiengang in Sachsen-Anhalt bewerben?

Wer Abitur hat, kann sich bewerben. Außerdem dürfen Menschen mit Berufsausbildung in der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege "Hebammenwissenschaft" studieren, auch wenn sie nicht am Gymnasium waren. Ein vierwöchiges Vorpraktikum ist Pflicht. Außerdem muss eine ärztliche Bestätigung der gesundheitlichen Eignung zur Absolvierung des Hebammenstudiums eingereicht werden sowie ein erweitertes Führungszeugnis. Voraussetzung für einen der wenigen Studienplätze ist ein vorläufiger Ausbildungsvertrag (Vorvertrag) mit dem Universitätsklinikum Halle (Saale) oder dem Universitätsklinikum Magdeburg.

Luise Kotulla
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Über die Autorin Luise Kotulla arbeitet seit 2016 als freie Mitarbeiterin bei MDR SACHSEN-ANHALT. Schwerpunkte der gebürtigen Hallenserin sind Themen aus dem Süden Sachsen-Anhalts, rund um engagierte Menschen und Probleme vor Ort. Außerdem ist sie für MDR um 4 als Fernsehredakteurin unterwegs.

Bevor sie zum MDR kam, hat sie beim Stadtfernsehen TV Halle gearbeitet. Sie studierte Geschichte, Medienwissenschaft und Online-Journalismus in Halle und Großbritannien. Ihre Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt liegen in und um Halle, im Burgenlandkreis und im Harz.

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MDR (Luise Kotulla)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. November 2022 | 09:00 Uhr

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