Das Laternenfest 1989 in Halle: Bei dem Bootskorso machen Aktivistinnen und Aktivisten auf den Umweltschutz aufmerksam.
Beim Bootskorso auf dem Laternenfest 1989 in Halle machten Aktivistinnen und Aktivisten auf den Umweltschutz aufmerksam. Das galt damals auch als Kritik am System der DDR. Bildrechte: Wieland Berg

Zeitzeuge im Interview Als die Frösche in der Saale wieder quakten: Umweltschutz in der DDR

24. Januar 2023, 12:39 Uhr

Eine Umweltbewegung in Halle hat schon zu DDR-Zeiten existiert. Die "Ökologische Arbeitsgruppe" (ÖAG) setzte sich gegen die Verschmutzung der Saale, der Luft und des Bodens sowie gegen den Kohleabbau ein. Ihre Kritik am Handeln des Staates stieß oft auf Repressionen durch die Staatssicherheit. Matthias Waschitschka war Mitglied der Gruppe. Im Interview erklärt er, welche Rolle sie für die Umwelt gespielt hat – und für die DDR-Opposition.

Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.

Laura Klar: Herr Waschitschka, Sie waren zu DDR-Zeiten im Umweltschutz in Halle aktiv. Was hat Sie dazu bewegt? 

Matthias Waschitschka: Bei mir entstand früh der Wunsch, Veterinärmedizin beziehungsweise später Biologie zu studieren. Eine gewisse Affinität und Sensibilität für Natur und Umwelt war also schon gegeben. Wenn man so ein Interesse mitbringt, kam es unter den Bedingungen der DDR, insbesondere im Chemiebezirk Halle, zwangsläufig dazu, sich für Umweltschutz einzusetzen.

Wer seine Nase, Ohren und Augen nicht verschlossen hat, wurde täglich auf die katastrophale Umweltproblematik hingewiesen. Sei es die Luftverschmutzung oder der biologisch tote Fluss Saale, der es mir damals als Angler nie vergönnt hat, dort Fische zu fangen. Diese stinkende Giftbrühe immer wieder durch die Stadt fließen zu sehen, hat mich für die Umweltproblematik sensibilisiert.

Wer seine Nase, Ohren und Augen nicht verschlossen hat, wurde täglich auf die katastrophale Umweltproblematik hingewiesen.

Matthias Waschitschka DDR-Umweltaktivist

Über Matthias Waschitschka Matthias Waschitschka wurde 1964 in Weimar geboren und lebt seit 1966 in Halle. Nach seinem Abitur ließ er sich an der Leopoldina zum Bibliotheksfachsarbeiter ausbilden und arbeitete dort bis 1990. Nach der Wende war er bis 1994 Abgeordneter und Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtparlament. Es folgten längere Auslandsaufenthalte, Mitarbeit an internationalen Artenschutzprojekten sowie archäologischen Ausgrabungen. Heute ist Matthias Waschitschka als Fraktionsreferent in der CDU-Stadtfraktion in Halle tätig.

Sie haben sich bei der "Ökologischen Arbeitsgruppe" (ÖAG) in Halle aktiv für den lokalen Umweltschutz eingesetzt. Wie entstand der Kontakt zur Gruppe?

Anfang der 80er, mit ungefähr 17 Jahren, bin ich in die Kirchengruppen in Halle hineingewachsen. Vor allem in Halle-Neustadt, in der sogenannten offenen Jugendarbeit bei dem Jugenddiakon Lothar Rochau. Der wurde später inhaftiert und ausgewiesen.

Ich und einige andere waren dann auf der Suche nach einer neuen Heimat innerhalb der Kirche. So haben wir Zuflucht bei Siegfried Neher, dem berühmten Punk-Pfarrer in der Christus Gemeinde gefunden und zum Teil waren wir auch in der Petrus-Gemeinde in Kröllwitz. Dort hat sich die ÖAG getroffen, bei der ich mich schnell aufgehoben gefühlt habe. Ich war für das Thema Umwelt schon sensibilisiert und hatte viele offene Fragen dazu.

Auf einen Blick: Die "Ökologische Arbeitsgruppe" in Halle

Die "Ökologische Arbeitsgruppe" hat sich Anfang der 1980er Jahre in Halle innerhalb kirchlicher Strukturen gegründet. Zunächst trafen sich die sieben bis 30 Engagierten in Räumen der Petruskirche in Halle-Kröllwitz, später in der zentral gelegenen Georgenkirche. Um Aufmerksamkeit auf die Umweltverschmutzung zu richten, pflanzten sie illegal Bäume, druckten Flugblätter oder veranstalteten sogenannte Spaziergänge, um zu demonstrieren. Die Stasi stufte die Gruppe als "feindlich negativ" ein und überwachte sie.

Offiziell war Umweltschutz in der DDR in der Verfassung verankert. Woran haben Sie gemerkt, dass sich der Staat nicht an dieses Versprechen hält und Sie selbst aktiv werden müssen?

Wenn man die katastrophale Umweltsituation wahrgenommen hat, musste man Fragen stellen. Als ich damit anfing, stieß ich schnell auf das Problem, dass Umweltdaten geheim gehalten werden. Mir ist also ziemlich schnell klar geworden, dass die Probleme, die mit gesundem Menschenverstand wahrnehmbar waren, deutlich größer sein mussten. Warum sollte man sonst Umweltdaten unter Verschluss nehmen?

Bei dem Versuch, der Sache tiefer nachzugehen oder an Umweltdaten zu kommen, ist man schnell auf Widerstand gestoßen. Nach unseren Aktionen gab es oft Vernehmungen und immer, wenn wir versucht haben, auf Umweltprobleme hinzuweisen, folgte sofort die Mission des Staates.

Können Sie genauer erläutern, warum die Umweltbewegung als oppositionell eingestuft und dementsprechend geahndet wurde, obwohl Umweltschutz gesetzlich verankert war?

Es war eine Kritik am System. Mit den Fragen über die Umweltproblematik stellte man das damalige System schon in Frage, weil man die Art des Wirtschaftens, den Ressourcenverbrauch und die Vernichtung unserer natürlichen Grundlagen kritisierte. Somit unterstellten wir dem System, dass sie die wirtschaftlichen Belange bevorzugten.

Darüber hinaus hätten ökologische Alternativen in der Industrie auch entsprechende Investitionen gebraucht. Nehmen wir mal das Beispiel der Kraftwerke: Besondere Filteranlagen hätten einer Investition bedurft und die hätte wiederum die Wirtschaft der DDR belastet, welche im Wirtschaftskampf zum Westen bestehen wollte. Es ist mir sehr schnell bewusst geworden, dass wir mit der Nachfrage zur Umwelt das System angefragt und kritisiert haben.

Mit den Fragen über die Umweltproblematik zog man das System schon in Frage, weil man die Art des Wirtschaftens, den Ressourcenverbrauch und die Vernichtung unserer natürlichen Grundlagen kritisiert.

Matthias Waschitschka DDR-Umweltaktivist

Umweltschutz als Staatsziel der DDR

Die DDR hatte Umweltschutz in der Verfassung von 1968 als Staatsziel verankert und gründete 1972 (sechs Jahre früher als die BRD) ein Umweltministerium. In der Verfassung von 1974 hieß es: "Der Boden der Deutschen Demokratischen Republik gehört zu ihren kostbarsten Naturreichtümern. Er muß geschützt und rationell genutzt werden. [...] Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur." Dieser Umweltgedanke war jedoch lediglich ein theoretisches Versprechen, das nicht eingehalten wurde. 

Hat sich bei Ihnen durch das Handeln in der ÖAG auch allgemein eine staatskritischere Haltung entwickelt?

Ich hatte bereits Zweifel am System, die durch die Umweltproblematik nochmal verstärkt wurden. Wir haben die Umweltproblematik auch genutzt, um das politische System anzugreifen. Auf uns konnten sie nicht so gut zugreifen, da wir in der Kirche agierten, mit der Begründung, die Schöpfung zu bewahren. So konnten Stasi- oder Partei-Mitarbeiter kaum gegen uns argumentieren, wenn wir mit der Umweltproblematik gekommen sind. Die biologisch tote Saale und die damit verbundenen Umweltprobleme waren selbst für diese Leute nicht von der Hand zu weisen. Aufgrund dieser Sachlage war es einfacher, den Staat anzugreifen, weil es viel schwer war, dem etwas argumentativ entgegenzusetzen.

Das Dach der Kirche war ja für viele Gruppen aus der Opposition ein Zufluchtsort. Wie wirkte sich dieser Schutz auf diese Gruppen aus?

Die Strukturen der Oppositionsbewegung in Halle wurden auch in der Umweltbibliothek in der Georgengemeinde gelegt. Diese Umweltbibliothek war dann der Ausgangspunkt und Schutzraum für viele oppositionelle Aktivitäten, nicht nur im Umweltbereich, sondern auch anderen staatskritischen Bereichen.

Hier haben wir Ende der 80er Jahre die Beobachtung, Überwachung, die Zusammenfassung und die Planung für den Beweis der Wahlfälschung im Mai 1989 organisiert. Aus der Umweltbibliothek heraus haben wir unsere spektakulärsten und wirksamsten Umweltaktionen geplant. Damit wurde dieser Bereich der Oppositionsbewegung und die damit aufgebauten Strukturen zu einem der wichtigsten Träger der Opposition in Halle.

Ich würde sagen, dass die Umweltbewegung möglicherweise den bedeutendsten Teil zur Friedlichen Bewegung beigetragen hat, zumindest in Halle.

Matthias Waschitschka DDR-Umweltaktivist

Welche Bedeutung messen Sie der Umweltbewegung in Bezug auf die Opposition und damit auch auf die Friedliche Revolution bei?

Als ich Anfang der 80er Jahre zur Oppositionsbewegung gekommen bin, lag der Schwerpunkt noch nicht im Umweltschutz. Jedoch gewann das Thema über die Jahre immer mehr an Bedeutung. Zum Ende der 80er Jahre entwickelte sich die Wertigkeit der Umweltbewegung für die Oppositionsbewegung enorm.

Über die Umweltproblematik konnten wir verstärkt das System angreifen, weil es ihnen wesentlich schwerer fiel, etwas dagegen zu halten. Ich würde sagen, dass die Umweltbewegung möglicherweise den bedeutendsten Teil zur Friedlichen Bewegung beigetragen hat, zumindest in Halle.

Wenn Sie heute auf Ihren Aktivismus und damit verbundene Forderungen zurückblicken: Würden Sie sagen, es hat sich alles erfüllt, wofür Sie sich damals eingesetzt haben?

Das kriege ich nicht mehr alles zusammen, was wir uns erträumt und gewünscht haben. Aber die fundamentalen Probleme in Halle – die saubere Saale, das Luftholen, ohne Kohlestaub in der Lunge zu haben, die sind umgesetzt. Der Fluss ist für mich das entscheidende Bild, dass sich die Arbeit gelohnt hat und ich nichts anders gemacht hätte. Und damit ist für alles andere auch gesprochen.

Ich kann mich noch genau an eine Situation erinnern. 1991 oder 1992 habe ich im "Café NÖÖ" gearbeitet. An einem frühen Morgen, nach einer durchzechten Nacht, laufe ich an der Klausbrücke vorbei – und höre plötzlich quakende Frösche. Das klingt vielleicht banal, aber das hat für mich alles gesagt. Der quakende Frosch in der ehemals stinkenden Kloake. Auch wieder in der Saale schwimmen zu können, hat für mich den Kreis geschlossen.  

Das Interview mit Matthias Waschitschka entstand innerhalb des Projekts "Grüne Generationen" im Studiengang "Multimedia und Autorschaft" der Universität Halle. Das generationsübergreifende Interviewformat, in dem Umweltaktivistinnen und -aktivisten aus der DDR und heute ins Gespräch kommen, können Sie auf der Website des Projekts weiter verfolgen.

Laura Klar studiert den Master Multimedia und Autorschaft in Halle.
Bildrechte: Laura Klar

Über die Autorin Laura Klar studiert den Master "Multimedia und Autorschaft" an der Universität Halle-Wittenberg. Ihren Bachelor in Germanistik und Soziologie schloss sie zuvor in Hamburg ab und zog 2019 nach Leipzig. Nach Praktika im Musikjournalismus war sie als Autorin für die Ahoi, 365fe:male MCs und als Projektleiterin einer Imagekampagne tätig. Neben ihrem Studium arbeitet sie aktuell in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Musiker.

MDR (Maren Wilczek)

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