Missstände in den Kliniken Warum sich junge Menschen aus Halle für bessere Bedingungen in der Pflege einsetzen

30. Januar 2022, 16:36 Uhr

Zu wenig Personal, zu schlechte Bezahlung: Junge Pflegekräfte und Studierende aus Halle prangern die Missstände in ihrer Branche an und fordern von der Politik weitreichende Reformen in den Krankenhäusern. Darüber, wie diese konkret aussehen könnten, gibt es verschiedene Auffassungen.

MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Lucas Riemer
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An den 12. Mai 2021 kann sich Hans-Peter Metzner noch gut erinnern. Wochenlang hatte der Krankenpflege-Azubi aus Halle mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern von "Walk of Care" auf diesen Tag hingearbeitet. Sie hatten Plakate bemalt mit Slogans wie "Pflege: Weil wir es lieben" und in den sozialen Medien Werbung gemacht, damit möglichst viele Menschen sie in ihrem Anliegen unterstützen. Sie wollten demonstrieren: Für bessere Bedingungen für Pflegende und Patienten in den Kliniken. Und dann schüttete es ausgerechnet an diesem Mittwoch im Mai wie aus Eimern.

Doch Metzner und seine Mitstreitenden ließen sich davon nicht entmutigen. Eingepackt in Regenjacken zogen sie zur Ziegelwiese in Halle, hingen ihre Transparente auf, stellten sich ans Mikrofon und verlasen ihre Forderungen: mehr Personal in der Pflege, Reform von Aus- und Fortbildung, bessere Bezahlung und politisches Mitspracherecht für Pflegende.

Mehr als 150 Menschen kamen trotz des ungemütlichen Wetters und hörten zu, darunter auch die Grünen-Politikerin Susan Sziborra-Seidlitz. Sie ist selbst ausgebildete Krankenpflegerin und inzwischen Landtagsabgeordnete. Es war ein guter Anfang für die Initiative, findet Hans-Peter Metzner.

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Guter Job, weniger gute Bedingungen

Metzner ist 21 Jahre alt. Seit drei Jahren arbeitet er an der Uniklinik in Halle, erst als FSJler, inzwischen als Auszubildender zur Pflegefachkraft. In dieser Zeit hat er seinen Beruf lieben gelernt. "Eigentlich wollte ich das FSJ nur zur Überbrückung bis zum Studium machen. Aber dann habe ich gemerkt, dass mir dieser Beruf so viel Spaß macht, dass ich gar nichts anderes anfangen brauche", sagt Metzner.

Weniger gut gefallen ihm allerdings die Rahmenbedingungen, unter denen er den Job ausübt. "Als Azubi", sagt er, "hat man zwar eine Art Welpenschutz. Man wird nicht so verheizt wie die ausgelernten Fachkräfte." Doch auch er spüre, dass mit dem System etwas nicht stimme: Etwa, wenn Pflegekräfte acht Tage am Stück arbeiten und selbst im Urlaub jederzeit mit einem Anruf rechnen müssen, ob sie kurzfristig einspringen könnten. Wenn bisweilen pflegerische Tätigkeiten auf der Strecke bleiben, weil der Dienstplan zu dünn besetzt ist, wenn immer mehr Pflegekräfte die Kliniken verlassen oder ihre Stundenzahl reduzieren. Und wenn die, die noch da sind, "sich den Hintern aufreißen und dafür eine Bezahlung kriegen, die ein Unding ist", wie es Metzner formuliert.

Pflegekräfte reißen sich den Hintern auf und kriegen dafür eine Bezahlung, die ein Unding ist.

Hans-Peter Metzner, Walk of Care Halle

Weil er daran etwas ändern will, engagiert sich Metzner bei "Walk of Care", einer ursprünglich aus Berlin stammenden Initiative junger Pflegender und Studierender, die sich für bessere Bedingungen in der Pflege starkmachen wollen. Die Ortsgruppe in Halle schloss sich Ende 2020 zusammen und hat rund 20 Mitglieder.

Pandemie verschärft Probleme

Die Probleme, die Metzner und seine Mitstreitenden anprangern, werden durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschärft. So berichtete vor Kurzem eine Krankenschwester einer Magdeburger Klinik bei MDR SACHSEN-ANHALT, dass allein auf ihrer Station seit Pandemiebeginn sechs Pflegende gekündigt hätten. Ein Pfleger aus einer großen halleschen Klinik sagte, dass vor allem die Nachtschichten immer mehr zu einer personellen Herausforderung werden.

Ein Blick auf die Zahlen bestätigt den zunehmenden Fachkräftemangel: Landesweit waren nach Angaben der Agentur für Arbeit im Jahr 2020 rund 55.000 Menschen in der Alten- und Krankenpflege beschäftigt. Das waren zwar mehr als ein Jahr zuvor, allerdings stieg die Dauer von der Ausschreibung einer Stelle im Rettungsdienst und der Krankenpflege bis zu ihrer Besetzung innerhalb eines Jahres von 108 auf 146 Tage. Gleichzeitig kamen auf 100 offene Stellen nur 69 arbeitslose Menschen. Es mangelt also auch statistisch gesehen an Pflegekräften.

Kliniken im Land setzen auf fachfremde Helferinnen und Helfer

Manche Kliniken in Sachsen-Anhalt setzen deshalb inzwischen auf die Unterstützung fachfremder Helferinnen und Helfer. Das ist das Ergebnis einer Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT bei einigen zufällig ausgewählten Krankenhäusern des Landes.

Das Universitätsklinikum Halle.
Die Uniklinik Halle ist eines von 45 Krankenhäusern in Sachsen-Anhalt. Bildrechte: picture alliance / Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

So teilt die Uniklinik Halle mit, derzeit rund 30 ungelernte Aushilfen im Einsatz zu haben. "Diese übernehmen einfache organisatorische Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Durchführung von Covid-19-Testungen bei Patienten und Beschäftigten sowie hauswirtschaftliche Tätigkeiten, Botengänge, Transferbegleitungen von Patientinnen und Patienten zu Untersuchungen, Sitzwachen und unterstützende Zuarbeiten in den stationären (Covid-19-) Versorgungsbereichen", schreibt eine Pressesprecherin der Uniklinik. Wie viele Stellen für gelernte Pflegekräfte in der Uniklinik derzeit unbesetzt sind, sagt sie nicht.

Auch die Bundeswehr unterstützt

Im Altmark-Klinikum Salzwedel und Gardelegen sind momentan acht Stellen für Pflegende ausgeschrieben. Am Standort Salzwedel unterstützen sechs Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die nach Angaben des Krankenhauses vor allem für Botengänge sowie den Transport von Patientinnen und Patienten verantwortlich sind.

An den drei Standorten des Harzklinikums in Blankenburg, Quedlinburg und Wernigerode sind momentan 51 Pflegestellen unbesetzt. Um Engpässe auszugleichen, setzt das Klinikum auf "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Funktions- und dem medizinisch-technischen Dienst, die auf freiwilliger Basis in den Pflegebereichen auf den Stationen tätig sind", teilt der Pressesprecher mit.

Die Uniklinik Magdeburg und das Evangelische Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Wittenberg wollten sich auf die Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT zur Pflegepersonalsituation nicht äußern. Klar ist: Eine dauerhafte Lösung der Personalprobleme sind Hilfskräfte nicht, auch wenn etwa die Uniklinik Halle berichtet, dass einige Helfende inzwischen eine Ausbildung in der Klinik begonnen hätten.

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Problemfall Politik

"Die einzelnen Kliniken können an der Lage nicht viel ändern. Das Problem liegt eine Ebene darüber, in der Politik", sagt Pflege-Azubi Metzner. Nicht nur, dass es derzeit weder Gesetze noch Berechnungsgrundlagen gebe, die eine Mindestzahl an Pflegenden verbindlich vorgeben. Eine Hauptursache sieht er auch in dem sogenannten DRG-System, das Kliniken zu effizientem Arbeiten verpflichten soll.

Das DRG-System regelt, dass Krankenhäuser in Deutschland anhand von Fallpauschalen bezahlt werden. Kliniken bekommen dabei für die Behandlung einer bestimmten Diagnose in der Regel immer den gleichen, vorher festgelegten Vergütungssatz, unabhängig etwa von der tatsächlichen Behandlungsdauer des Einzelfalls. "Das führt zu einer Massenabfertigung statt zu einer optimalen, bedürfnisorientierten Versorgung", sagt Metzner. "Patientinnen und Patienten werden entlassen, wenn ihre vorgesehene Aufenthaltsdauer erreicht ist. Wenn es dann Rückschläge gibt und die Patienten erneut ins Krankenhaus müssen, kann man wieder eine Fallpauschale stellen und daran verdienen. Das ist Quatsch." Die Abschaffung des DRG-Systems gehört zu den Forderungen der "Walk of Care"-Initiative.

Derzeitige Vergütung der Krankenhäuser hat Schwächen

Dass dieses System Schwächen hat, bestätigt Peter Rudolph, Professor für Gesundheitsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal: "Alle in dem System sind verdammt zu Effizienzsteigerung, sonst kriegen sie von dem Vergütungskuchen zu wenig ab." Eine komplette Abschaffung des Systems der Fallpauschalen hält der Experte aber auch nicht für die richtige Lösung, da das System die Krankenhäuser dazu anhalte, mit ihren Mitteln optimal zu wirtschaften.

Reform statt Revolution?

Rudolph plädiert stattdessen für Reformen, vor allem in der Krankenhauslandschaft. Es müsse ein ausgewogenes Verhältnis aus Grundversorgung und spezialisierten Hochleistungszentren gefunden werden, so der Professor für Gesundheitsmanagement. Die Zahl der Krankenhäuser insgesamt müsse sich jedoch um bis zu 15 Prozent reduzieren. Weniger, aber dafür größere Kliniken könnten dann nicht nur bessere Behandlungen, sondern auch bessere Arbeitsbedingungen bieten, sagt Rudolph.

Eine Frau hält bei der Aktion «Der Pflege geht die Luft aus» der Bundespflegekammer und des Berliner Walk of Care ein Plakat mit der Aufschrift "Klatschen reicht nicht. Wir wollen Anerkennung".
Ihre Ursprünge hat die "Walk of Care"-Initiative in Berlin. Bildrechte: picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Seit einem guten Jahr gibt es die hallesche "Walk of Care"-Gruppe inzwischen. Metzner und seine Mitstreitenden haben seitdem nicht nur verschiedene Aktionen und Demos in Halle gestartet. Sie sind auch dorthin gefahren, wo entschieden wird, wie die Missstände in den Krankenhäusern tatsächlich angegangen werden sollen: nach Berlin. Zusammen mit der "Walk of Care"-Gruppe aus der Hauptstadt und anderen Ortsgruppen haben sie vor dem Bundesgesundheitsministerium demonstriert.

Hoffnung auf Veränderung

Nachdem die Hallenser ihre Aktivitäten pandemie- und winterbedingt in den vergangenen Monaten etwas zurückgefahren hatten, wollen sie nun wieder loslegen. Gerade planen sie eine Podiumsveranstaltung, bei der darüber diskutiert werden soll, wie eine politische Beteiligung der Pflegenden künftig aussehen könnte.

Wieder gibt es viel zu tun. Teilnehmende müssen gefunden, Technik und Location organisiert werden, während Schichtdienst und Ausbildung parallel weiterlaufen und sich die Krankenhäuser in der Omikron-Welle langsam aber sicher füllen. Doch fragt man Metzner, warum er all die Mühen auf sich nimmt, hat er eine einfache Antwort: "Ich bin mir sehr sicher, dass wir mit unserer Bewegung etwas verändern können – und ich bin mir sehr sicher, dass sich in den nächsten Jahren etwas ändern wird."

MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Lucas Riemer
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Über den Autor Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 29. Januar 2022 | 21:00 Uhr

2 Kommentare

Uwe K am 30.01.2022

Es sind nicht nur die Kräfte in den Krankenhäusern, auch in der Alten Pflege fehlt Personal.
Leider von allen Parteien verschuldet. Es müssen ja Gewinne gemacht werden.
Da hilft kein Klatschen auf dem Balkon da hilft nur bessere Bezahlung und ein besseres Image, weg vom Scheiße schieben hin zur Menschlichkeit

Steffen 1978 am 30.01.2022

Nicht nur in der Pflege herrscht Personalmangel in so ziemlich jeder Berufsgruppe gibt es dieses Problem was durch die politisch 30 Jahre geförderte Abwanderung rückzuführen ist dazu kommt schlechte Bezahlung Arbeitsbedingungen und die ewige Diskussion Mindestlohn wer das zahlt und unterstützt kann auch nur ein Minimum an Leistung verlangen und muss sich nicht über Personalmangel wundern

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