Vogt gewinnt"Showtime ist vorbei" – Kommentar zur OB-Wahl in Halle
Vier Jahre verharrte und erstarrte die Stadt Halle in einem Schwebezustand ohne gewähltes Stadtoberhaupt im Nachgang der Suspendierung und Pensionierung des umstrittenen Oberbürgermeisters Bernd Wiegand. Nun ist klar: Der neue OB der Saalestadt heißt Alexander Vogt und ist parteilos, wenngleich er im Wahlkampf von der AfD unterstützt wurde. Eine Wundertüte – meint Marc Weyrich, Leiter des MDR-Regionalstudios Halle.
Alexander Vogt konnte seinen Wahlkampf kaum besser machen. Dutzende Bürgerdialoge hat er geführt, bei so gut wie jeder öffentlichen Veranstaltung der Stadt zeigte er Präsenz, produzierte und postete publikumswirksam Bilder für Social Media. Richtig auf dem Zettel hatten ihn die Wenigsten – die Favoriten hießen wegen ihrer Verwaltungserfahrung Egbert Geier (SPD) und Kerstin Godenrath (CDU). Die Wählenden haben entschieden – all das verdient Respekt.
Der 46-jährige Vogt versteht sich aufs große Wort, die große Geste – "stellt was vor", wie man so sagt. Er spricht von eigenen Visionen – kann sein sympathisches Lächeln gefühlt wie auf Knopfdruck anknipsen. Passend, dass er im MDR SACHSEN-ANHALT-Interview bereits nach dem ersten Wahlgang der Oberbürgermeister-Wahl betonte, das angestrebte Amt bestehe zum großen Teil auch aus Repräsentation.
Oberbürgermeisterwahl in Halle: Sind Pläne von Vogt wirklich durchdacht?
Seine Worte, die Stadt brauche an der Spitze mehr einen Botschafter, denn einen Verwaltungsexperten, werfen Fragen auf, offenbaren aber einmal mehr die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen. So kritisierte Vogt einerseits die Verwaltung scharf für ihre derzeitige Performance, andererseits lobte er die Verwaltung, wenn es darum ging, dass diese für ihn in Verwaltungsfragen einstehen muss, wo er bislang wenig Erfahrung habe. In Finanzfragen will er etwa voll auf Stichwahl-Konkurrent Egbert Geier setzen. Man könnte Vogt vorwerfen, er konzentriere sich zu stark auf eine Repräsentanten-Rolle im Amt.
Viele von Vogts Vorschlägen sprachen dem Wahlvolk nach dem Mund, dabei stellt sich die Frage, ob sie auch alle völlig durchdacht waren. Das geplante Islamische Kulturzentrum soll nicht nach Neustadt, sondern an den Stadtrand – nur wohin? Die Stadtspitze habe Schuld an einem unübersichtlichen Wust an Verkehrsschildern und städtisch angestellte Ingenieure sollten mehr für bauplanerische Aktivitäten herangezogen werden, um zu sparen.
Dass der Stadt schon jetzt über 100 Mitarbeiter fehlen und die, die dort arbeiten, nicht selten Überstunden schieben, berücksichtigt er in seinen Ausführungen nicht. Viele seiner Aussagen haben Menschen in Halle begeistert, aber Oberbürgermeister Vogt muss künftig mehr als diese bieten, um die Probleme in Halle zu lösen.
Neuer OB: Erst SPD, dann CDU, nun parteilos
Wie konnte Vogt den Vorsprung Geiers nach dem ersten Wahlgang so sehr ins Gegenteil verkehren? Der Blick in die Kommentarspalten auf Social Media ist sicherlich nicht repräsentativ, aber doch ein Stimmungsmesser. Und die Stimmung dort lässt sich zusammenfassen mit den Worten: Sie hätten offenbar auch einen Besen gewählt, als einen mit SPD-Parteibuch – da half Geier auch die überwältigende Unterstützung – abgesehen von AfD und Hauptsache Halle – quer durch alle Stadtratsfraktionen nicht.
Sie hätten offenbar auch einen Besen gewählt, als einen mit SPD-Parteibuch.
Marc Weyrich, Leiter MDR-Regionalstudio Halle
Dass sich Vogt mindestens in den schriftlichen Stellungnahmen nicht so deutlich von der AfD distanziert, wie es sonst von anderen Politikern gängige Praxis ist, dürfte den Sympathisanten der Partei nicht verschreckt haben, bei Vogt das Kreuz zu machen.
Ohne Zweifel: Alexander Vogt hat in seinem Leben viele Erfahrungen gesammelt. Doch gibt es auch einen roten Faden? Zuerst Mitglied in der SPD, dann in der CDU. Hier der unbedingte Wunsch, zunächst EU-Abgeordneter zu werden, womit er scheiterte. Im Anschluss sein misslungener Griff nach der OB-Kandidatur auf die Karte der Konservativen. Es folgten Streit, Rauswurf aus der Fraktion – und die Klage gegen sie, die er, wenig konsequent, wieder zurückzog. Schließlich verlässt er die Partei und trägt fortan die Parteilosigkeit wie eine Monstranz vor sich her.
In Vogts vom CDU-Kreisvorstand kassierten Versuch, rechtzeitig zum Nominierungsparteitag diverse junge Leute aus der katholischen Kirche zum Eintritt in die CDU zu bewegen und dann direkt für ihn stimmen zu lassen, kann ein fragwürdiges Demokratieverständnis gesehen werden.
Angst vor "Wiegand 2.0"
Im Ratshof wächst dabei die Angst vor "Wiegand 2.0". Ganze Stadtratsfraktionen verdrehen die Augen, wenn der fraktionslose Vogt spricht. Wie Stadtpolitik angesichts der zerrissenen Tischtücher aussehen soll, ist fraglich. Auch diese Facette Vogts verweist Verwaltungsmitarbeiter in die Position von Empfängern einer Wundertüte.
Showtime ist vorbei – jetzt heißt es liefern und versöhnen.
Marc Weyrich, Leiter MDR-Regionalstudio Halle
Die Stadt braucht Vernunft, Verlässlichkeit, Verwaltungskompetenz. Sie braucht an der Spitze eine über Parteigrenzen hinweg geachtete Persönlichkeit, die überparteilich agieren kann, versöhnen kann, unterschiedliche Positionen aushalten und moderieren kann. Sie braucht einen Oberbürgermeister, der geachtet ist in Land und Bund. Dieser Aufgabe kann und muss Vogt gerecht werden. Spannend wird sein, welche Rolle dabei das von ihm für den Wahlkampf berufene "Kompetenzteam" bald im Ratshof spielen wird. Showtime ist vorbei – jetzt heißt es liefern und versöhnen, Herr Vogt.
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MDR (Marc Weyrich, Alisa Sonntag) | Erstmals veröffentlicht am 24.02.2025
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 24. Februar 2025 | 07:00 Uhr
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