"Der Hass muss weggehen"Nach Anschlag: Wie der Dönerladen-Besitzer das Miteinander in Halle stärken will
Nach einer Trauerzeit will der Döner-Imbiss in Halle, in dem beim Anschlag am 9. Oktober ein Mann erschossen wurde, wieder öffnen. Inhaber Cagac erzählt, wie es dann mit dem Laden und den Mitarbeiten weitergehen soll und welche Veränderung er in Halle beobachtet.
Auch zwei Wochen nach dem Anschlag in Halle ist an der Ludwig-Wucherer-Straße noch längst nicht an Normalität zu denken. Tausende Kerzen und Blumen erinnern vor dem Kiez-Döner daran, dass in dem Laden ein junger Mann starb. Wenige hundert Meter weiter wurde eine Frau erschossen. Auch dort erinnern Kerzen an die schreckliche Tat.
Die Menschen, die an diesem Dienstagvormittag vorbeikommen, haben sich noch längst nicht an dieses Bild gewöhnt. Viele bleiben stehen, halten innen. Fassungslos versuchen sie nachzuvollziehen, wo der Täter stand und was an jenem 9. Oktober passiert ist. Immer wieder werden neue Kerzen aufgestellt.
40 Tage Trauer
Gerade abends versammeln sich sehr viele Menschen an dem Imbiss, erzählt Izzet Cagac, der Inhaber des Ladens, der selbst regelmäßig bis spät in der Nacht dort steht. Er ist dankbar für die Anteilnahme, die er und vor allem seine Mitarbeiter erfahren, sagt er. Denn zwei von ihnen haben den Anschlag aus nächster Nähe miterlebt. Cagac selbst war zu dem Zeitpunkt in der Türkei, um sich um seinen Vater zu kümmern, der einen Autounfall hatte. Doch natürlich trägt auch Cagac Trauer. 40 Tage lang – so, wie es im Islam üblich ist. Der 41-Jährige kleidet sich deshalb schwarz und verzichtet auf Schmuck. "Auch Frisörbesuche sind in dieser Zeit tabu", erzählt er im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.
40 Tage nach der Tat – am 16. November – wird der Imbiss dann wieder eröffnen, wenn auch zunächst nur für zwei Tage. Mit einem großen Fest und Essen soll an die Opfer des Anschlags erinnert werden. Schon zuvor möchte Cagac den Laden renovieren. "Damit die Jungs nicht dauernd an die Tat erinnert werden", erklärt er.
Eigener Laden für die Mitarbeiter?
Doch wie geht es danach weiter? Izzet Cagac, der in Halle noch drei weitere Imbissläden betreibt, weiß es nicht. Am liebsten möchte er den Laden nach dem Umbau den beiden Mitarbeitern überschreiben, die den Anschlag persönlich erlebten. Er hofft, dass ihnen die zusätzliche Verantwortung hilft, das Geschehene zu verarbeiten. Und ist sich sicher, dass die Menschen in Halle dem Imbiss auch in Zukunft treu bleiben würden. "Ganz Halle steht hinter uns. Davon bin ich nach der Unterstützung der vergangenen Tage fest überzeugt."
Aktuell ist daran nicht zu denken. Einer der beiden Mitarbeiter steht nach wie vor unter Schock. Er wird, genau wie sein Kollege, von Notfallseelsorge und Opferhilfe betreut. Trauma-Experten stünden rund um die Uhr bereit – den beiden Mitarbeitern genauso wie allen anderen Betroffenen des Anschlags, sagt Ragnar Wenzel vom Landesverwaltungsamt. "In den Trauma-Ambulanzen, mit denen wir jetzt zusammenarbeiten, können Betroffene unmittelbar und sofort vorsprechen und werden ärztlich begutachtet."
Gesetz regelt Opferentschädigung
Wenzel ist auch für die Opferentschädigung zuständig, die durch ein spezielles Gesetz geregelt wird. "Anspruch auf staatliche Hilfen haben Hinterbliebene, Verletzte oder Zeugen. Denen können Kosten für Bestattungen erstattet werden. Aber auch Verdienstausfall kann entschädigt werden. Der fällt vor allem bei traumatisierten Menschen wegen der langwierigen Therapien an", so Wenzel.
Auch der wirtschaftliche Verlust des Ladens, der seit dem Anschlag geschlossen ist, wird wohl kompensiert. Sowohl Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hätten unkomplizierte Hilfe versprochen, erzählt Cagac. Falls seine Mitarbeiter, die schon seit vielen Jahren für ihn arbeiten, den Imbiss nicht übernehmen wollen, betont er: "Die Jungs müssen sich keine Sorgen machen. Sie können auch sofort in einem meiner anderen Läden anfangen, wenn sie wollen. Wir lassen sie niemals hängen."
"Woher kommt all der Hass?"
Für den Fall einer Absage hat der 41-Jährige auch schon eine andere Idee, wie der Döner-Laden künftig genutzt werden kann: "Ich würde dort dann gerne einen Gebetsraum einrichten, der offen für alle Religionen ist und wo Menschen zusammenkommen können." Zusammenhalt und das Miteinander stärken, das sind Dinge, über die Cagac sehr viel spricht. "Warum hasst der Christ den Moslem? Und warum hasst der Moslem den Juden?", fragt er.
"Der Hass muss weggehen", fordert der Inhaber. Dafür setzt er sich seit dem Anschlag ein. In zahlreichen Posts tauscht er sich bei Facebook mit anderen Nutzern aus, wirbt für mehr Liebe. Immer wieder erinnert er an die beiden Opfer und bekommt viel Zuspruch.
Anschlag bringt Veränderung in Halle
Doch auch in Gesprächen auf der Straße weist Cagac immer wieder darauf hin. Er betont Gemeinsamkeiten, wo andere Unterschiede sehen. Er überlegt, wie man Menschen zusammenbringen und Begegnungsorte schaffen kann. Und er hat in den vergangenen Tagen eine Veränderung bemerkt. Obwohl Cagac nie Probleme mit Rassismus in Halle hatte, seit er 1999 aus Berlin in die Saalestadt kam, weiß er, dass in der Stadt und im Umland viele Sympathien für rechtes Gedankengut gibt. Das zeigen nicht nur die Wahlerfolge der AfD.
Doch seit dem Anschlag sei die Stimmung eine andere, glaubt er. "Viele, auch Leute, die die AfD wählen, haben verstanden, dass bestimmte Denkweisen und Abgrenzung mit dazu beigetragen haben, dass so etwas passieren konnte", hat er beobachtet. "Niemand möchte so etwas nochmal erleben."
Vielleicht trägt der Schmerz in unserer Stadt dazu bei, dass Menschen mehr aufeinander zugehen und der Hass weniger wird.
Izzet Cagac, Inhaber des Kiez-Döner
Izzet Cagac will sich deshalb auch dann weiter engagieren, wenn die Zukunft seines Ladens und seiner Mitarbeiter längst geklärt ist. Für mehr Zusammenhalt, mehr Miteinander und mehr Liebe. Damit der Anschlag und der Tod der beiden Opfer niemals in Vergessenheit geraten.
Über den AutorOliver Leiste arbeitet seit Anfang 2015 bei MDR SACHSEN-ANHALT – mit dem Schwerpunkt Sport. Dabei begleitet er den Halleschen FC, den 1. FC Magdeburg und den SC Magdeburg durch alle Höhen und Tiefen. Zudem ist er immer auf der Suche nach spannenden Geschichten aus dem Süden Sachsen-Anhalts. Während seines Anglistikstudiums in Leipzig und auch danach war er für die Mitteldeutsche Zeitung in Halle und Radio Mephisto 97,6 am Ball. Als gebürtiger Bernburger hat er in Sachsen-Anhalt schon vieles gesehen und noch lange nicht genug davon.
Quelle: MDR/olei
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 22. Oktober 2019 | 17:30 Uhr
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