Fotos von verurteilten Juristen in der NS-Zeit, in der Ausstellung 3 min
In diesem Video erhalten Sie einen Einblick in die neue Ausstellung in Halle. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gedenkstätte Roter Ochse Reichskriegsgericht: Neue Ausstellung in Halle will Lücke in Erinnerungskultur schließen

29. August 2024, 05:00 Uhr

Die "Rote Kapelle" war ein Widerstandsnetzwerk gegen die Nazi-Diktatur. Mehr als 50 ihrer Mitglieder wurden hingerichtet. Was weniger bekannt ist: Die Urteile erließ das Reichskriegsgericht. Es war das militärische Pendant zum Volksgerichtshof. Die Gedenkstätte Roter Ochse in Halle – damals selbst Hinrichtungsstätte – zeigt nun die bundesweit erste große Ausstellung zu dem Thema. Am Donnerstag wird die Ausstellung feierlich eröffnet.

Erste Etage im Stadtmuseum von Halle, noch sind ein paar Handgriffe zu erledigen. An diesem Nachmittag soll alles passen – für die Premiere, für die erste Station der Wanderausstellung über das Reichskriegsgericht von 1936 bis 1945. Seit 2019 arbeitet das Team der Gedenkstätte "Roter Ochse" in Halle an dem Thema. Es ist Pionierarbeit.

Ausstellungsraum der Ausstellung "Das Reichskriegsgericht 1936-1945" mit vielen Zeitdokumenten des Wiederstands.
Ausstellungsraum der Ausstellung "Das Reichskriegsgericht 1936-1945" Bildrechte: picture alliance/dpa | Heiko Rebsch

Kai Langer, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, erzählt, wie es dazu kam: "Das Thema ist uns einfach in den Schoß gefallen: Wir haben bei der Gründung der Gedenkstätte Roter Ochse die Fundamente einer ehemaligen Hinrichtungsstätte der Nazis gefunden. Wir haben dann festgestellt, dass dort sehr viele ausländische Zivilisten hingerichtet wurden, die zuvor vom Reichskriegsgericht verurteilt worden waren."

Reichskriegsgericht – eine Lücke in der Erinnerungskultur

Während der Volksgerichtshof in der Öffentlichkeit recht bekannt ist, verhält es sich beim militärischen Pendant ganz anders. Nicht einmal größere wissenschaftliche Arbeiten gibt es über das Reichskriegsgericht. Trotz der mehr als 1.200 Todesurteile, trotz der vielen Haftstrafen in Zuchthäusern oder Konzentrationslagern.

Diese Lücke in der Erinnerungskultur wollen die Ausstellungsmacher jetzt schließen – mit Fakten über Struktur, Funktion und Arbeitsweise des Gerichts. "Es war Unrecht in die Form von Recht verkleidet", fasst Kurator Lars Skowronski zusammen. Die Urteile dienten vor allem der Disziplin und dem Zusammenhalt nach innen, aber auch in den besetzten Ländern insbesondere gegen Widerstandsbewegungen, um das eigene Herrschaftssystem und seinen eigenen Herrschaftsanspruch durchzusetzen.

Jahrelange Recherchearbeit

In diese Länder reiste Skowronski: nach Norwegen, Frankreich, Belgien und Polen etwa – auf der Suche nach Hinterbliebenen der Menschen, die durch das Reichskriegsgericht verurteilt wurden, auf der Suche nach ihren Erinnerungen und Geschichten. Denn im Mittelpunkt der Ausstellung sollten diejenigen stehen, die sich der NS-Diktatur widersetzt haben.

Skowronski war auch auf der Suche nach Gegenständen aus dieser Zeit: "Wir haben in ganz wenigen Fällen ein Nein bekommen. Meistens sind die Familien sehr offen und sehr dankbar, dass sich jemand darum kümmert und nehmen es sehr wohl zur Kenntnis, dass da jemand aus Deutschland kommt."

Das gibt es in der Ausstellung zu sehen

Ein Koffer von Jan Bukowski in dem er seine Habseligkeiten während seiner Haft bis zu seiner Hinrichtung im Zuchthaus Halle aufbewahrte.
Der Koffer des hingerichteten Jan Bukowski. Bildrechte: picture alliance/dpa | Heiko Rebsch

So ist in der Ausstellung ein Koffer zu sehen, recht klein aus Holz und Leder. Es ist der Koffer, in dem der Witwe des in Halle hingerichteten Jan Bukowski die letzten Habseligkeiten ihres Mannes überstellt wurden. Verschiedene Dinge sind zusammengekommen. Der Kurator spricht von emotionalen Prozessen: "Der Fall aus Belgien, da hat ein Bruder seiner Schwester etwas in die Hand gedrückt bei seiner Verhaftung und gesagt: Du hebst diesen Schlüsselanhänger auf, bis ich wieder da bin. Er ist nie wiedergekommen, sondern in Halle erschossen worden. Die Frau sagte, den gebe ich nicht her, der wandert mit mir ins Grab."

Die Ausstellungsmacher verstehen sich nicht nur als Erklärer von Zusammenhängen aus der Vergangenheit. Sie wollen auch den Blick ins Heute weiten: "Man kann natürlich sehen, wie die Justiz in einer Diktatur so umgeformt werden kann, dass sie letztlich menschenverachtende Urteile spricht. Vor solch einer Entwicklung muss man dauerhaft warnen. Erst recht in einer Zeit, in der Kriegsgefahr auch wieder greifbar ist." Die Wanderausstellung besteht aus einer Kombination von informativen Tafeln, interaktiven Modulen und Erinnerungsstücken. Zur Eröffnung wird Kulturstaatsministerin Claudia Roth in Halle erwartet – und etwa 100 Nachfahren von Menschen, die wegen ihres Widerstands gegen das NS-Regime vom Reichskriegsgericht verurteilt wurden.

Steine mit Namen liegen auf dem Erdboden. 23 min
Bildrechte: MDR/Sven Kochale

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 29. August 2024 | 06:48 Uhr

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