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Rechtsextremismus in HalleWo Hass gesät und Gewalt geerntet wird

10. Oktober 2019, 19:28 Uhr

Nach dem Anschlag in Halle stellt sich die Frage, wo und wie sich der Täter radikalisiert hat. Seit mehr als 20 Jahren gibt es in Halle und dem südlichen Sachsen-Anhalt rechtsextreme Gruppierungen. Ein Gastbeitrag.

von Christian Dennhardt, Gastautor

Nach einem Angriff auf die Synagoge in Halle und der Ermordung zweier Menschen an Jom Kippur ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen einen 27-Jährigen, der allen vorhandenen Hinweisen nach aus rechtsextremer Motivation handelte. Als die Nachricht von der Attacke mich Mittwochnachmittag erreichte war ich, wie wohl die meisten Menschen geschockt.

Den Attentäter in voller Kampfmontur vor dem Imbiss zu sehen, in dem ich einige Male meinen abendlichen Hunger stillte. Die Erkenntnis, dass nur eine stabile Eingangstür der Synagoge schlimmeres verhinderte, ließ mich erschaudern. Doch als Beobachter der hallischen, der deutschen, der globalen Nazi-Szene weiß ich auch, dass diese Tat leider nicht einzigartig ist. Die beiden Opfer waren auch nicht die ersten Todesopfer rechter Gewalt in Halle und Umgebung:

Rechte Gewalt in den 1990ern

Am 24. April 1993 wurde der Wehrpflichtige Matthias Lüders bei einem Überfall von 40 rechten Skinheads auf eine Diskothek in Obhausen (Saalekreis) getötet. Es war der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Gewalttaten neonazistischer Skinheads, die in Halle und Umgebung in den 90er Jahren rassistische Brandanschläge und politisch motivierte Überfälle verübten. 1999 ermordeten Neonazi-Skinheads in Löbejün (Saalekreis) Hans-Werner Gärtner (8. Oktober) und in Halle-Neustadt Jörg Danek (29. Dezember). Beide wurden ermordet, weil sie in den Augen ihrer Angreifer leichte Opfer waren, die am Rand der Gesellschaft lebten.

Seit diesen Morden wurde es langsam ruhiger um die extreme Rechte in Halle und Umgebung, doch verschwunden waren weder die Neonazis, noch ihre Gewaltbereitschaft. In den 2000ern wechselten Neonazi-Kameradschaften mehrfach den Namen, aber ob sie sich nun "Selbstschutz Sachsen-Anhalt", "Weiße Offensive Halle/Saale" oder "Brigade Halle" nannten, die Gruppen blieben weitgehend die Gleichen. Die Szene blieb auch nach wie vor gewaltbereit und bewies das immer wieder auf Demonstrationen und bei Angriffen in Halle und im Umland.

Internationale, gewaltbereite Netzwerke

Doch längst dominieren die Skinheads nicht mehr die rechte Szene. Sie wurden abgelöst von verschiedensten Gruppen, die teils offen Gewalt propagieren, das martialische Kriegertum feiern oder antisemitische Verschwörungstheorien spinnen. Aus der Kameradschaftsszene rekrutierten sich in den 2000ern international agierende gewaltbereite Netzwerke, die nicht nur neonazistische Ideologie verbreiten, sondern auch ihre Mitglieder im Kampf ausbilden. Das aus Großbritannien stammende, aber international tätige Netzwerk "Blood and Honor" ist seit den 90er Jahren in Sachsen-Anhalt und Sachsen aktiv, organisiert Konzerte neofaschistischer Bands und sein militanter Arm, Combat 18, hält Schießübungen im Deutsch-Tschechischen Grenzgebiet ab.

Mahnwachen antisemitischer Aktivisten

Nicht mit Waffen, aber mit Worten agierten hingegen die Montagmahnwachen in Halle. Angemeldet und geleitet durch einen ehemaligen "Blood and Honor"-Aktivisten, besucht von Mitgliedern der zerfallenden Kameradschaftsszene entwickelten sich diese Veranstaltungen schnell zu Halles Version von PEGIDA. Während an den meisten Orten Deutschlands die Montagsmahnwachen 2015 stoppten, blieben sie in Halle ein wöchentlicher Treffpunkt für antisemitische, flüchtlingsfeindliche und antidemokratische Rednerinnen und Redner, die von offenem Antisemitismus nur die Nutzung von Codewörtern für Jüdinnen und Juden trennte. Wöchentlich wurde so in nationalsozialistischer Tradition Jüdinnen und Juden alle Schuld am Elend der Welt gegeben und wilde Verschwörungstheorien gesponnen.

Die Identitären in Halle

Neben den in Halle selbst gewachsenen Strukturen gesellte sich 2017 das neurechte Hausprojekt in der Adam-Kuchhoff-Straße. Hier hat auch AfD-Landtagsabgeordneter Hans-Thomas Tillschneider sein Abgeordnetenbüro. Dieses Haus sollte zum Zentrum der neuen Rechten in Halle werden und einen Raum für Veranstaltungen und zur Organisation der europaweit organisierten Identitären Bewegung werden. Hier sollten nationalistische Burschenschaftler, identitäre Aktivsten und rechte Politiker aufeinander treffen und ein Netzwerk bilden.

Das Haus ist in der Vergangenheit immer wieder mit Farbbeuteln beworfen worden. Bildrechte: MDR/Tanita Steckel

Von hier aus versuchte die Identitäre Bewegung auch ideologisch auf den Campus der Universität und in die Stadt hinein zu wirken. Auch wenn sie für sich selbst beansprucht, eine friedliche Bewegung zu sein, machten die Identitären in Halle durch Bedrohung von Studierenden in der Mensa und dem Angriff auf Zivilpolizisten auf sich aufmerksam. Auch wenn sie nicht zuschlagen, geben sich die Identitären kriegerisch, wähnen sich im Abwehrkampf, in dem jedes Mittel recht ist.

Gleichgesinnte zur Gewalt im Internet anstacheln

Während Strukturen vor Ort weiterhin wichtig sind, spielt das Internet eine zentrale Rolle bei dieser Welle des Rechtsterrorismus. Das Internet erlaubt die rasante Verbreitung von Taten und Propaganda in Echtzeit. Der Attentäter von Halle streamte seine Tat live über einen populären Streamingdienst, er kommentierte sein eigenes Versagen beim Eindringen in die Synagoge und seinen Mord an den beiden Opfern. Seine Taten erinnern an die Attentate von Christchurch, El Paso, Bærum und besonders auf die Synagoge in Powey. Attentate, die von den jeweiligen Tätern gestreamt wurden, um damit andere, Gleichgesinnte zu weiteren Gewalttaten anzustacheln. In neonazistischen Online-Gruppen werden diese Attentäter als Helden und Heilige verehrt.

Dem Hass entgegentreten

Leider ist dieser Terror nun nach Halle gekommen. Zwei Menschen, die in Halle zu Hause waren, haben ihr Leben verloren, weil ein Rechtsterrorist sich im Abwehrkampf wähnte, weil ihn Menschen anstachelten und er Gewalt als Lösung empfand. Was bleibt uns nun, die geschockt, traurig und wütend zurückgelassen wurden? Wir können den Familien der Opfer unser Mitgefühl und unsere Solidarität zeigen. Wir können antisemitischem und rassistischem Gedankengut im privaten Umfeld und in der Öffentlichkeit entgegen treten und uns immer wieder klar machen, dass Hass keine Lösung ist.

Über den GastautorChristian Dennhardt studierte in Halle (Saale) zwischen 2015 und 2019 Politikwissenschaften und schloss sein Studium mit einem Master of Arts ab. Er beschäftigt sich insbesondere mit der neuen Rechten, Sozialpolitik und der Europäischen Union. Als Mitglied der Partei Die LINKE war er in Halle kommunalpolitisch aktiv. Er twittert als @YoungArkas über Persönliches, Politik und Gesellschaft.

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Quelle: MDR/sp

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir | 10. Oktober 2019 | 19:00 Uhr

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