Valentin Hacken und Rudenz Schramm im Interview Streit um Steimle-Auftritt: Keine Bühne für kontroverse Kunst?

26. Februar 2023, 16:14 Uhr

Nach Auftritten der Kabarettisten Lisa Eckhart und Uwe Steimle im Steintor-Varieté in Halle hat das Bündnis "Halle gegen Rechts" Mitbegründer und Steintor-Chef Rudenz Schramm ausgeschlossen. In einem MDR-Doppelinterview sprechen Valentin Hacken vom Bündnis "Halle gegen Rechts" und Rudenz Schramm über den Fall und darüber, wie weit Kunst gehen darf.

Direkt vor dem Interview am vergangenen Freitag ist die Stimmung gut. Schramm scherzt, er habe zusammen mit Hacken im Foyer des MDR in Halle gewartet "schließlich ist es draußen auch nicht so warm". Weil Hacken noch etwas erkältet ist und wegen der zurückliegenden Pandemie wird auf gegenseitiges Händeschütteln verzichtet. Auf dem langen und verschlungenen Weg ins Radiostudio von MDR SACHSEN-ANHALT befürchtet Hacken kurzzeitig die Orientierung zu verlieren.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Schramm, Sie wurden letzte Woche aus dem Bündnis "Halle gegen Rechts" ausgeschlossen. Warum, glauben Sie, ist es dazu gekommen? Was ist Ihre Perspektive auf die Geschehnisse?

Rudenz Schramm: Ich kann nur sagen, dass mich das in gewisser Weise verletzt und traurig macht, weil ich ja Bündnis-Gründungsmitglied war und die Ziele des Bündnisses vertrete. Wir haben wahrscheinlich unterschiedliche Auffassungen über das, was man da an Toleranz etc. wahrnehmen kann. Darüber bin ich insgesamt nicht glücklich, weil ich sage mal so: Wir haben genug Grund, uns gegenüber bestimmten Strukturen in der Gesellschaft zusammen aufzustellen.

Rudenz Schramm Rudenz Schramm ist der Geschäftsführer des Steintor-Varietés in Halle. Er sitzt seit mehr als 10 Jahren als Parteiloser für die Linke im Stadtrat und ist Mitbegründer des Bündnisses "Halle gegen Rechts". Wegen Auftritten der Kabarettisten Uwe Steimle und Lisa Eckhart im Steintor-Varieté wurde er im Februar 2023 aus dem Bündnis ausgeschlossen. Das Bündnis wirft den Künstlern unter anderem antisemitische und rassistische Ansichten vor.

Valentin Hacken: Also ich glaube, über einen Ausschluss eines Mitglieds ist niemand glücklich. Wir haben jetzt einen sehr konkreten Dissens, der zu diesem Ausschluss geführt hat und der Dissens besteht darin, dass Künstlerinnen und Künstler, die Herr Schramm auf seine Bühne geholt hat, Antisemitismus, Rassismus und extrem rechte Inhalte verbreiten. Indem er ihnen eine Bühne und Auftrittsmöglichkeiten gibt, legitimiert er diese Inhalte und unterstützt sie ganz praktisch, weil sie darüber ihre Botschaften verbreiten können. Und da haben die Bündnis-Mitglieder gesagt: Wenn eines unserer Mitglieder Dinge organisiert, gegen die wir dann gemeinschaftlich auf die Straße gehen – da rede ich jetzt konkret über den Auftritt von Uwe Steimle im Steintor – dann ist hier keine weitere Zusammenarbeit mehr möglich.

Valentin Hacken Valentin Hacken ist seit 2015 Sprecher des Bündnisses "Halle gegen Rechts". Er studiert Rechtswissenschaften in Halle und arbeitet als freier Journalist, unter anderem für die Initiative "Endstation Rechts". Mit Kunstwissenschaftlerin Christina Brinkmann hat er den für den Grimme-Online-Award nominierten Podcast "Halle nach dem Anschlag", produziert.

Schramm und Hacken kennen sich schon lange und kommen menschlich gut miteinander aus. Das ist schnell zu merken.

Herr Schramm, Sie argumentieren – bezogen auf die Auftritte von Uwe Steimle und Lisa Eckhart – dass die Demokratie verschiedene Positionen aushalten muss. Können Sie das bitte noch mal genauer erklären?

Schramm: Na, ich denke eben nicht, dass Lisa Eckhart, Uwe Steimle und vielleicht noch andere Personen diesem rechtsradikalen, antisemitischen, rassistischen Spektrum so zuzuordnen sind, wie es das "Bündnis gegen Rechts" behauptet. Ich erlebe die Künstler während ihres Auftritts im Gesamtkontext. Kabarett ist Überspitzung, Überhöhung, Pointierung. Niedergeschrieben wird das in anderen Kontexten immer anders gelesen werden als es auf der Bühne wahrgenommen wird. Es gibt sehr, sehr viele Bürger, die mir geschrieben haben und auch Künstler, die gesagt haben, dass Sie meine Position verstehen und sie bestärken mich darin, nicht von der Argumentationslinie abzuweichen, die ich vertrete. Und wenn so viele Bürger die Häuser besuchen, dann halte ich das für ein Argument, dass die Demokratie stark genug ist, sich mit solchen Sachen auseinanderzusetzen. Wir zwingen ja niemanden, zu den Veranstaltungen zu gehen und jede Diskussion über diese Veranstaltung wäre mir natürlich lieb und sicherlich auch den Künstlern.

Während Schramm spricht, schaut sich Hacken entspannt im Studio um. Die Beine übergeschlagen, die rechte Hand am Kinn, den Ellenbogen auf den Tisch gestützt verfolgt er die Erklärungen von Schramm. Es macht den Eindruck, als ob er die Argumente von Schramm schon häufiger gehört hat. Als kleine Gedankenstütze hat Schramm ein bedrucktes A4 Blatt vor sich auf den Tisch gelegt.

Hacken: Also bei der Frage "Gibt es antisemitische, rassistische und extrem rechte Aussagen bei Lisa Eckhart und Uwe Steimle?" ist es glaube ich schon gut, kurz auf die Tatsachen zu gucken. Lisa Eckhart sagt zum Beispiel, dass schwarze Männer nicht richtig denken können, weil ihr Blut in ihre sehr großen Genitalien fließt. Das ist ein sehr klassisches Beispiel für eine rassistische Aussage. Sie beschreibt Jüdinnen und Juden als Vergewaltiger. Uwe Steimle spricht darüber, dass die Bundesrepublik ein besetztes Land sei. Er begibt sich da voll in die Reichsbürger-Ideologie. Uwe Steimle arbeitet seit Jahren eng mit rechtsextremen und auch neonazistischen Akteuren zusammen, nimmt ein Lied mit jemandem auf, den man auf einer NPD-Schulhof-CD findet. Das sind alles relativ klare Fälle. 

Im Fall von Lisa Eckart gibt es ja eine ganze Reihe Einschätzungen zu ihren Aussagen, unter anderem durch jüdische Projekte und den Antisemitismusbeauftragten. Und bei Uwe Steimle ist es so: Der MDR hat die Zusammenarbeit mit Uwe Steimle beendet aufgrund seiner rechten Aussagen. Das Gütersloher Verlagshaus hat sich entschieden, seine Bücher nicht mehr zu vertreiben und zu bewerben, aufgrund seiner rechtsextremen Aussagen.

Das einfach beiseite zu wischen und zu sagen "Ich sehe das anders" ist, finde ich, keine redliche Auseinandersetzung mit den Tatsachen. Man muss die beiden als erwachsene Menschen ernst nehmen, die Dinge sagen und tun, weil sie sie so meinen.

Erst mal kurz noch der Einwurf: Sie haben jetzt gesagt, dass der MDR Steimle rausgeworfen hätte wegen seiner rechten Gesinnung. Das ist nicht so.

Schramm: Genau!

Die Begründung war, dass es keine vertrauensvolle Basis mehr gab, weil er sich in Interviews mehrfach gegen den MDR ausgesprochen hat, also zum Beispiel gesagt hat, er wäre staatsnah. Das war der Grund.

Herr Hacken, würden Sie denn sagen, dass solche Vorwürfe rechtfertigen, bestimmte Künstler öffentlich zu ächten und zu boykottieren?

Hacken: Ich glaube, dass es entscheidend ist, bei Antisemitismus, bei Rassismus und extrem rechten Einstellungen klar zu widersprechen. Und das führt auch dazu, dann zu sagen: "Solange ihr diese Positionen vertretet, finden wir nicht, dass euch ein Podium gegeben werden sollte." Das ist im Übrigen ja etwas, das ständig passiert. Also auch Herr Schramm würde sicherlich keine eine Rechts-Rockband auf seine Bühne einladen. Insofern ist das hier ja jetzt auch eine etwas aufgeheizte Diskussion an zwei Einzelbeispielen.

Jetzt fühlt sich Schramm offenbar etwas in der Defensive. Er rutscht vor auf die Kante der Sitzfläche seines Stuhls, wippt mit dem Fuß, streicht sich seine Haare aus dem Gesicht und wartet auf den richtigen Moment zur Erwiderung.

Schramm: Ich denke, es ist einfach differenzierter zu bewerten. Man kann eine Lisa Eckhart nur im Gesamtkontext ihres Bühnenauftritts bewerten. Und da ist es glaube ich sehr schwierig, dieses Argument des Rassismus so aufrechtzuerhalten, wie Sie es jetzt tun. Jedenfalls ist das meine persönliche Auffassung. Sie [Lisa Eckhart] geht sehr weit, sie fordert sehr viel vom Publikum und von den Zuhörern. Aber letztendlich kommt im Gesamtkontext eine sehr klare, für mich deutliche Einstellung heraus. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir unsere Bürger heutzutage nicht in irgendeiner Weise einschränken, bestimmte Sachen wahrzunehmen. Ich glaube, wir unterschätzen sie. Sie können schon sehr genau bewerten und erkennen.

Hacken: Das ist gar nicht der Punkt, an dem unsere Kritik ansetzt. Natürlich können Menschen in einer Veranstaltung dieser Künstler Antisemitismus und Rassismus erkennen. Ich glaube, die Fähigkeit spricht den Leuten niemand ab. Der Punkt der Kritik ist: "Warum muss ich das dann erst auf die Bühne holen?" Das scheint mir kein sehr hilfreicher Beitrag.

Wir haben ja heute das Phänomen der "Cancel Culture", also, dass zum Beispiel auf Social Media dazu aufgerufen wird, die Bücher von einer bestimmten Autorin nicht mehr zu kaufen oder bestimmte Auftritte nicht mehr zu besuchen. Und da ist ja die Frage: Ist das der richtige Weg, damit umzugehen? Oder gibt es auch Alternativen?

Hacken: "Cancel-Culture" ist ja so ein Begriff, der kommt aus einer US-amerikanischen und englischen Debatte. Ich finde, das ist eher so im Bereich von Kampfbegriffen und nicht im Bereich einer präzisen Analyse. Wenn wir auf die letzten Jahrzehnte gucken, dann haben wir ständig Auseinandersetzungen, die genauso laufen. Also das, worüber wir heute reden, ist überhaupt nicht neu. Es hat sich nur die Betrachtung dazu verändert. Und es gibt da, finde ich, auch eine gewisse Wehleidigkeit von Leuten, die Kritik trifft, also, dass sie diese Kritik abwehren wollen, indem sie behaupten "Jetzt werde ich gecancelt, das ist ganz furchtbar." Diese Betrachtung lässt eine Sache auch außen vor, nämlich, dass Lisa Eckhart, Uwe Steimle und andere Künstlerinnen und Künstler, wenn sie gute Künstler*innen sind, mannigfaltige Möglichkeiten haben, ein Programm zu erarbeiten, das unterhaltsam, geistreich, pointiert ist und auch provozieren kann. Wenn Sie dafür Antisemitismus, Rassismus und rechtsextreme Ideologie brauchen, sind Sie vielleicht auch einfach nicht so gute Künstler.

Schramm schaut meist nach vorn, in Richtung der Moderatorin oder an die Wand darüber. Gelegentlich blickt er auch auf seinen Notizzettel. Nur selten geht der Blick zu Hacken. Die Arme hat er meist vor dem Bauch verschränkt. Regelmäßig streicht er sich seine Haare aus dem Gesicht. Jetzt wendet er sich aber direkt an Hacken.

Schramm: Na ja, ich würde den Künstlern schon selber überlassen, In welcher Art und Weise sie ihre Programme entwickeln und auf die Bühne bringen und mit welchen Pointierung und Untersetzung. Ich habe mich mit Lisa Eckhart über diese Vorwürfe unterhalten und sie sagte, dass sie das überhaupt nicht nachvollziehen kann.

Hacken: Das ist vielleicht auch Teil des Problems.

Schramm: Mag ja sein, aber vielleicht ist auch das Teil des Problems, dass das "Bündnis gegen Rechts" sagt: "Das ist antisemitisch oder rassistisch." Es kann ja auch sein, dass es einfach unterschiedliche Auffassungen über diese Thematik gibt. Hier werden zurzeit Scheingefechte geführt und die eigentlichen großen Themen rauschen an uns vorbei.

Insgesamt wirkt Schramm während des Gesprächs beherrschter, Hacken reagiert etwas spontaner. Der hat seinen Körper während des Interviews meist in Richtung Schramm gedreht, ist ihm zugewandt.

Hacken: Also ich kann natürlich als Künstlerin oder Künstler antisemitische Aussagen in meinem Programm aufführen und dann überlegen: "Was mache ich damit?" Ich kann die brechen, ich kann Ihnen widersprechen, ich kann den Irrsinn oder die Obsession daran aufzeigen. Ich kann auch aufzeigen, was daran komisch sein kann. Das ist aber ja nicht das, was Lisa Eckhart macht. Das ist wirklich sehr, sehr weit weg von irgendwas, wo man noch lange diskutieren muss, ob das eine antisemitische Aussage ist.

Herr Schramm, wo ziehen Sie denn da Ihre persönliche Grenze? Was dürfen Kunst und Unterhaltung noch und wo hört es in Ihren Augen auf?

Schramm: Also ganz klar: Rassismus, rechtsradikale Positionen, Strukturen dieser Art haben bei mir, in unserem Hause keinen Platz. Das habe ich bewiesen und da wird mir Herr Hacken sicherlich auch weitestgehend beipflichten. Das ist nicht ganz üblich in anderen solchen Einrichtungen, aber das ist uns bisher gelungen. Und es gab ja auch verdeckte Anmietung und sonst was schon in diesem Rahmen. Da muss man schon sehr genau aufpassen, wer sich da plötzlich unter einer Adresse das Haus anmietet für irgendwelche Parteitage oder sonst was. Das ist nicht passiert und da habe ich auch größtes Interesse, weiterhin mit dem Bündnis "Halle gegen Rechts" zusammenzuarbeiten, um solche Sachen vielleicht im Vorfeld aufzudecken.

Hacken: Ich kann Ihnen leider nicht zustimmen, dass rechtsextreme Positionen im Steintor keinen Platz gefunden haben. Denn genau das ist ja nun die Kritik an dem Auftritt von Uwe Steimle. Das nimmt nichts von den Verdiensten, die Sie und Ihr Haus in den letzten Jahren in vielen anderen Fragen hatten. Das muss man klar auseinanderhalten.

Aber könnte man bei kontroversen Künstlern nicht auch sagen "Wir gucken erst mal, ob da ein Umdenken passiert oder ob der Dialog Ergebnisse hat", bevor derjenige von allen Bühnen verbannt wird?

Hacken: Absolut müssen Menschen die Möglichkeit haben, Fehler zu machen und sie zu korrigieren und trotzdem weiter geschätzter Teil der Gesellschaft zu sein. Aber das ist genau das, was wir bei Lisa Eckhart und Uwe Steimle nicht sehen. Beide stehen seit vielen, vielen Jahren in der Kritik. Diese Kritik wird laut und deutlich formuliert und sie wird von beiden lediglich weggewischt. Sie wehren sie entweder ab oder sagen "Es ist mir gleichgültig, ich mache genauso weiter."

Während Hacken spricht, hat sich Schramm wieder auf seinem Stuhl aufgerichtet. Es ist ihm anzumerken, dass er mit dem gerade Gesagten nicht einverstanden ist.

Schramm: Das ist jetzt eine sehr einseitige Betrachtung. Wir machen ungefähr 120, 130 Veranstaltungen im Jahr mit den unterschiedlichsten Künstlern. Steimle ist schon weit vor der Wende im Steintor gewesen, mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Ich will gar nicht bewerten, warum er seine künstlerische, historische, biografische Entwicklung vom Tatort-Kommissar bis jetzt gemacht hat. Das ist seine Sache, das muss er auch selber verantworten. Ich glaube das Problem ist eher, dass man ihn in eine Ecke stellt. Warum gibt es nicht die Möglichkeit, dass man Steimle zu seinem konkreten Programm auseinandernimmt, also: Was ist rechtsradikal, was ist rassistisch und was ist antisemitisch? Ich habe es so nicht wahrgenommen. Und die 1.200 Leute, die bei mir im vorigen Jahr im Steintor waren, auch nicht. Und da sehe ich eine Diskrepanz zu den vielleicht durchaus richtigen wissenschaftlichen Ausarbeitungen. Da gibt es kaum eine Schnittmenge und das verwundert mich.

Hacken: Natürlich muss man sich genau angucken, was Herr Steimle sagt. Deswegen haben wir dazu eine längere Broschüre geschrieben, die es auch auf unserer Internetseite gibt. Da haben wir genau das getan, was Sie gerade einfordern. Wir haben sein Programm auseinandergenommen, uns das genau angeschaut und haben im Einzelnen gezeigt, was daran extrem rechts, was daran rassistisch ist und haben noch ein bisschen was zu seinem Blick auf Demokratie geschrieben. Als Grundlage dafür haben wir seine Bühnenprogramm genommen. Die haben wir uns angeschaut und zwar jeweils auch das komplette Bühnenprogramm. Und ich habe persönlich noch mal drei Bücher von Uwe Steimle von vorne bis hinten gelesen, damit wir sicher sind, dass wir nicht über einen einzelnen Satz sprechen, der irgendwann mal gefallen ist, sondern ein Bild davon bekommen, was im Gesamtwerk dieses Künstlers passiert.

Aber Herr Hacken, es wäre ja auch eine Möglichkeit gewesen, dass Sie das prüfen, dann aber auch in den Dialog mit Herrn Steimle gehen und sich seine Perspektive dazu anhören.

Es gab zum Beispiel erst kürzlich ein Gespräch zwischen Uwe Steimle und dem Historiker Kowalczuk in der Super-Illu und da konnten beide darlegen, welche Positionen sie haben. Das Bündnis kann im Fall von Künstlern wie Steimle ja auch sagen: "Wir möchten gerne ins Gespräch gehen" – Oder macht man das möglicherweise schon so?

Hacken: Also weil Sie immer wieder von unterschiedlichen Meinungen sprechen: Ich glaube, es gibt keine unterschiedlichen Meinungen, ob die Bundesrepublik ein besetztes Land ist oder ob die Bundesrepublik existiert. Das ist einfach ein Fakt. Die Bundesrepublik existiert, und sie ist nicht besetzt. Dazu können sie ganz irrationale eigene Vorstellungen haben. Aber die lang und breit zu diskutieren ist sicherlich nicht unsere Aufgabe als Bündnis. Wir gehen bei erwachsenen Menschen davon aus, dass sie grundlegend in der Lage sind, die Realität zu erfassen.

Das Gespräch in der Super-Illu, was Sie ansprechen, habe ich gerade gestern gelesen und ich finde, es ist ein spannendes Beispiel für die Frage, ob solche Gespräche Sinn ergeben. Denn wenn Sie das Gespräch ganz genau anschauen, stellen Sie ja fest, dass Herr Steimle da zum Beispiel die Behauptung wiederholt, dass die Bundesrepublik ein besetztes Land sei und Kowalczuk sagt – Wenn ich jetzt nicht völlig irre und ich hoffe, ich tue das nicht– dass er über diese Aussage nur lachen kann und sagt er noch ein, zwei Sätze, warum das nicht so ist. Wenn Sie das Gespräch weiter verfolgen, werden Sie feststellen das löst ganz offensichtlich gar kein Umdenken bei Herrn Steimle aus, sondern er spricht einfach so weiter, wie er das seit Jahren tut.

Schramm: Also ich sage mal, es sollte immer eine Möglichkeit geben mit Personen der Öffentlichkeit, auch wenn sie erwachsen sind, zu reden, weil ich glaube, sie nicht so unreflektiert, wie es hier dargestellt wird. Ich hatte mit dem Künstler [Uwe Steimle] mal vereinbart bei dem letzten Konzert, dass ich die ganze Vorstellung linear mitschneide, um einfach mal nachzuhören. weil man das vielleicht ganz anders wahrnimmt, wenn man das mal in einer ruhigen Minute nachhört. Ich habe es getan und ich kann wirklich nur bei meiner Meinung bleiben. Das ist nicht rechtsradikal und das ist nicht antisemitisch gewesen.

Es mag sein, dass er [Uwe Steimle] vielleicht im Jahr 2016 oder 2018 ein Buch geschrieben hat, wo Passagen drin sind, die ich auch nicht teilen würde. Das ist ja auch beschrieben worden in dem 40-seitigen Papier. Ich bewerte im Wesentlichen das Auftreten von Steimle, was in den letzten Monaten, in dem letzten Jahr so passiert ist, denn ich gestehe jedem auch eine gewisse Entwicklung zu. Ich glaube, er ist ein ganz klarer, subjektiver Mensch, der seine Ansichten, seine Auffassungen hat und so lebt, wie er leben will. Aber das macht es ja nun gerade auch aus. Und insofern halte ich das für tolerierbar.

Hacken: Also, wenn Sie unsere Analyse kennen, werden Sie gelesen haben, dass Sie sich nicht mit irgendwas beschäftigt, was irgendwann passiert ist, sondern auch mit dem Jahr, in dem die Analyse erschienen ist. Also da muss man sich jetzt ein bisschen ehrlich machen. Wenn wir über politisch agierende Personen sprechen und das ist Herr Steimle, dann können wir uns nicht nur die Teile raussuchen, die uns gerade gefallen, sondern dann müssen wir schon auf die Breite dessen schauen, was er tut und sagt. Damit ist nichts darüber gesagt, ob Uwe Steimle in Aspekten seines künstlerischen Arbeitens vielleicht ein interessanter Künstler ist. Das ist am Ende auch abseits von bestimmten Kriterien vielleicht ein Stück weit auch eine Geschmacksfrage, die mich gar nicht beschäftigt, weil das nicht das Thema des Bündnisses ist.

Sie werden ja, ob es jetzt um den nächsten Auftritt von Uwe Steimle oder um andere Veranstaltungen geht, immer wieder miteinander zu tun haben. Wie blicken Sie auf die künftige Zusammenarbeit?

Hacken: Also eine Zusammenarbeit unter Bündnis-Mitgliedern wird es erst mal nicht geben. Herr Schramm ist aus dem Bündnis ausgeschlossen worden und damit kein Mitglied mehr. Ansonsten ist das Bündnis im Gespräch mit vielen Akteuren in der Stadt, die nicht Teil des Bündnisses sind und wo es Kontroversen gibt. Wir diskutieren mit der Polizei über Polizeigewalt und Versammlungsgeschehen. Wir diskutieren mit der Stadtverwaltung darüber, ob ein Marathon an einem Jahrestag eines Anschlags stattfinden sollte. Und wir diskutieren mit Herrn Schramm darüber, ob man Leuten eine Bühne bieten sollte, die die extreme Rechte unterstützen. Das tun wir alles mit großer Sachlichkeit und Fachlichkeit und genauer Recherche. Und das werden wir auch weiter machen.

Was auffällt – und diesen Eindruck versuchen beide immer wieder zu vermitteln – es geht ausschließlich um einen Streit in der Sache. Geduldig wird abgewartet, bis der Andere ausgeredet hat, immer wieder werden auch Gemeinsamkeiten betont. Schramm hält hier einen Moment inne, bevor er zu sprechen anfängt.

Schramm: Vielleicht ist das heutige Gespräch hier beim MDR auch eine Gelegenheit, dass Herr Steimle seine Haltung über seine Einschätzung von einem besetzten Land durchaus etwas novellieren könnte. Wir reden ja unter anderen über seine Aussagen hier in diesem Teil Deutschlands, die er zu Medien oder sonst was hat.

Ich glaube, unser Problem wird sich wesentlich stärker dahingehend entwickeln, dass wir nicht mehr in der Lage sind, Positionen anderer anzuhören anstatt zu versuchen sie einzuordnen und zu kritisieren. Aber vielleicht ist die Darstellung dieser Unterschiedlichkeit ein Anlass dafür, dass man einen Weg findet, sich über bestimmte Sachen wieder in einem vernünftigen Rahmen auszutauschen.

Hacken: Ich verstehe den Punkt, dass eine Debatte Dinge aushalten muss. Wir können eine Debatte nicht von der Sensibilität aller Beteiligten abhängig machen, weil es dann schwierig wird, offen zu diskutieren. Den Punkt kann ich nachvollziehen. Aber als Nichtbetroffene zu definieren, was Jüdinnen, Juden, schwarze Personen und andere an Diskriminierung und Herabwürdigung aushalten müssen, das ist ein Luxus, den muss man sich auch erst mal leisten können. Bei aller Empathie, die Sie für Herrn Steimle und für Frau Eckhart aufbringen können, wünsche ich mir, dass Sie auch Empathie für diejenigen aufbringen können, die tagtäglich Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus ausgesetzt und von rechter Gewalt betroffen sind.

Fazit: Die beiden kommen nicht zusammen. "Ich hoffe, dass das nicht der Plan des Gesprächs war", scherzt Hacken im Gehen. Schramm scheint den Ausschluss zu bedauern, will aber nicht nachgeben. Er versteht sich offenbar auch als Anwalt der Künstler. Gerade mit Steimle verbindet ihn eine lange Bekanntschaft. Während er sich im allgemeinen Aufbruch spürbar Zeit lässt, muss Hacken schnell los. Er habe seinen Bürotag nur kurz für das Interview unterbrochen, erzählt er.

Das Gespräch führte Annekathrin Queck für MDR SACHSEN-ANHALT. Das Interview wurde gekürzt und redaktionell bearbeitet.

MDR (Annekathrin Queck, Hannes Leonard)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 26. Februar 2023 | 17:00 Uhr

366 Kommentare

Anita L. am 28.02.2023

"Tragen Sie nicht ein wenig dick auf, wenn Sie 1953 und die Mauertoten mit Krieg gleichsetzen? Ich halte beides übrigens für ein Verbrechen am eigenen Volk - aber als Krieg würde ich das nicht bezeichnen."

Nein, für mich ist das genau das: Krieg gegen das eigene Volk. Wer nicht in die Richtung mitwill, wird mit Waffen niedergestreckt. Und was Ihr "heutzutage" angeht, gibt es eine ganze Reihe trauriger Beispiele, in denen Regierungen Waffen gegen das eigene Volk einsetzen. Dies nicht zu tun, nun mit "subtileren Mitteln" zu diffamieren, ist meines Erachtens nach... das schreibe ich hier lieber nicht, sonst werde ich nur wieder in irgendeine "linksgrüne" Ecke gestellt.

Anita L. am 28.02.2023

Ohje, seit wann muss ein Positionspapier dem Gegner die Gelegenheit geben, sich in diesem Positionspapier zu rechtfertigen? Manchmal bin ich mir wirklich nicht sicher, ob manche Menschen tatsächlich so wenig Wissen mitbringen, wie es den Anschein hat, oder doch immer dann, wenn sie merken, dass sie mit ihrer "Argumentation" am Ende, weil widerlegt, sind, sich naiver stellen, als sie es sind. Ich gehe immer im Sinne des anderen von Zweiterem aus, weiß aber auch, dass dann die Diskussion von meiner Seite aus beendet ist. Gegen Totschlagargumente ist kein Ankommen.

Herr Steimle kann sich jederzeit und auf jedem ihm verfügbaren Medium, von seiner eigenen Internetseite bis hin zu seinen Auftritten, zu den Vorwürfen äußern. So wie es Herr Schramm und Herr Hacken ja auch in diesem Interview getan haben. Bis dahin stehen seine bisherigen publiken Äußerungen für seine Position. Und die Position, Deutschland sei ein besetzter Staat, ist nun einmal Reichsbürgerpropaganda.

Anita L. am 28.02.2023

@Haller, falsche Quelle: keine Pressemitteilung, sondern die Broschüre vom 27.06.2022
@ossi1231, Gratulation, Sie haben die Wörteranzahl der Broschüre herausgefunden.

Ich geb´s auf. Wenn außer "Zwei Seiten Schwurbel" und "6355 Wörter auf 40 Seiten" nichts Substantielles zu der Ausführung kommt, müssen wir uns über Belege nicht weiter unterhalten. Totschlagargumente heißen nicht umsonst so. Und Ihr Umgang mit der Quelle ist genau das. Bringen Sie konkrete Beispiele, worin genau das Geschwurbel besteht, und belegen Sie, inwiefern die Broschüre umstritten sei, und dann reden wir gern weiter. Und werden Sie sich erst einmal einig, worin genau das "Geschwurbel" nun eigentlich bestehen soll: Dass die "Kritik am System" gerechtfertigt sei oder dass "wir" Herrn Steimles "satirische Kritik" an rechten und verschwörungstheoretischen Ansichten nicht verstünden.
Ich bleibe bei meiner Einschätzung, Herrn Steimle betreffend, und auch bei meiner Einschätzung, den Rauswurf Herrn Schramms betreffend.

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