Fünf Jahre "MeToo" Sexismus in Sachsen-Anhalt weiter Alltag

21. August 2022, 09:35 Uhr

Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland wurden schon einmal wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Das hat eine aktuelle Studie der Hochschule Merseburg gezeigt. Auch fünf Jahre seit "MeToo" ist das Problem nicht kleiner geworden. Doch die Bewegung hat eine Debatte angestoßen, die bis heute nachwirkt.

TRIGGERWARNUNG: In diesem Text geht es um sexuelle und sexualisierte Gewalt, Beispiele zu diesen Themen sowie Beispiele zu Diskriminierungserfahrungen. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte seien Sie achtsam, wenn das bei Ihnen der Fall ist.

"Die MeToo-Bewegung hat vielen Betroffenen Mut gemacht, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich zu zeigen", sagt die Diplom-Pädagogin und Traumafachberaterin Daniela Rackow vom Wildwasser e.V. aus Halle. Der Verein kümmert sich um Frauen und Kinder, die sexuelle Gewalt erfahren haben, und eröffnet 2023 neben der Zentrale in Halle auch eine Anlaufstelle in Zeitz. Zwei weitere sind für den Burgenlandkreis und für den Saalekreis geplant.

Die Nachfrage ist da und wird immer größer. Durch den öffentlichen Diskurs, den "MeToo" angeregt hat, ist vielen Betroffenen erst aufgefallen, dass sie Opfer von Sexismus sind.

94 Prozent der Frauen, 52 Prozent der Männer und 97 Prozent der diversen Menschen in Deutschland wurden schon einmal wegen ihres Geschlechts diskriminiert, so eine Studie der Hochschule Merseburg von 2021. Seit 2020 ist sexuelle Belästigung daher ein Straftatbestand, insbesondere dann, wenn er mit körperlichen Übergriffen einhergeht und/oder gemeinschaftlich begangen wird.

Was bedeutet #metoo?

Den Hashtag #metoo (deutsch: "ich auch") gibt es seit 2006. Die Aktivistin Tarana Burke benutze ihn damals in dem Sozialen Netzwerk MySpace, um auf sexuellen Missbrauch afroamerikanischer Frauen aufmerksam zu machen. Im Oktober 2017 tauchte der Hashtag dann im Zusammenhang mit den Skandal um Filmproduzent Harvey Weinstein wieder auf. Er wurde von vielen Frauen der sexuellen Belästigung und Vergewaltigung beschuldigt und 2020 zu 23 Jahren Haft verurteilt. Auch die Schauspielerin Alyssa Milano forderte via Twitter alle Frauen dazu auf, den Hashtag zu verwenden, um auf ihre Erfahrung mit sexueller Belästigung aufmerksam zu machen. Dadurch soll gezeigt werden, welches Ausmaß das Problem nicht nur in der Filmbranche, sondern in der Gesellschaft insgesamt hat.

Allerdings ist es nicht immer einfach zu erkennen, wann eine Handlung sexistisch ist, da dies von den persönlichen Grenzen eines Menschen abhängt, erklärt Astrid Herrmann-Haase, Sexualwissenschaftlerin vom Verein Wildwasser. "Bei körperlichen Taten ist es meist sehr eindeutig, bei einem Angriff mit Worten werden die Betroffenen, meistens Frauen, oft als überempfindlich dargestellt."

 Sexismus betrifft auch Männer

Doch nicht nur Frauen oder Menschen, die als weibliche gelesen werden, leiden darunter. Auch Männer haben mit den negativen Auswirkungen von Sexismus zu kämpfen, erklärt Herrmann-Haase. Als konkrete Beispiele nennt sie, dass Männer sich dazu verpflichtet fühlen, die Familie finanziell zu versorgen oder aber dass Jungen nicht weinen dürfen, wenn sie hinfallen. "Jungen werden erst deutlich später aufgehoben als Mädchen, wenn sie stürzen", so die Sexualwissenschaftlerin. Auch hier hat die "MeToo"-Bewegung geholfen. 

Fünf Jahre "MeToo" – was hat sich verändert?

"Es wird viel mehr und vor allem öffentlich über sexuelle Belästigung, persönliche Grenzen und Gleichberechtigung gesprochen", so Herrmann-Haase. Die Diskussion findet nicht mehr nur im privaten Kreis statt, sondern ist auch am Arbeitsplatz, in der Schule und der Politik angekommen. "MeToo hat enttabuisiert und wirkt noch immer auf die Gesellschaft", sagt die Sexualwissenschaftlerin. Überall werde darüber verhandelt, was geht, was geht nicht, wo müssen Betroffene besser geschützt werden und wo kann man aufklären. 

Studierende kämpfen auf der Straße gegen Sexismus

Die Studierendengruppe "catcallsofhalle" nutzt für die Aufklärung ein Stück Kreide und die Sozialen Medien. Betroffene von sexueller Belästigung und Gewalt können sich mit ihren Erfahrungen an die Gruppe wenden. Diese schreiben die Studierenden am Ort des Geschehens mit Kreide auf die Straße und teilen es auf ihrem Social-Media-Account. Dort findet man dann beispielsweise Erfahrungsberichte wie:

Ich habe letzte Woche in der Straßenbahn sexualisierte Gewalt erfahren. Ein Mann hat mich und meine Freund*innen mehrmals angesprochen und hat sich unangenehm nah zu uns gestellt. Ich habe seine Blicke auf meinem Dekolleté deutlich gespürt, die ganze Zeit über. Wir haben nicht verstanden, was er gesagt hat und ich habe ihm respektvoll aber deutlich gesagt, dass er uns bitte in Ruhe lassen soll. An der Haltestelle Marktplatz ist er aufgestanden, hat mir in die Augen geschaut und mich dann angespuckt. Er hat direkt auf mein Gesicht gezielt.

oder 

Ich saß auf der Wiese des Rosa-Luxemburg-Platzes, habe gelernt und ein einfaches Sommerkleid getragen. Ein Mann kam ebenso auf die Wiese und guckte die ganze Zeit schon rüber. Er hat sich dann mit fünf Metern Abstand gegenüber von mir gesetzt, aber mit dem Rücken zu mir. Irgendwann holte er sein Handy aus der Tasche und hielt es auf Kopfhöhe. Dann fing er an, in seiner Hose komische Bewegungen zu machen.

Mir wurde erst nach ein paar Minuten klar, dass ich mich in seinem Handydisplay spiegelte. Ich habe in dem Moment, als es mir klar wurde, auch einfach nur mein Handy rausgeholt und ihn gefilmt, weil ich es nicht fassen konnte, dass er sich am helllichten Tage auf dieser Wiese versucht zu befriedigen. Als ich kurz gefilmt hatte, bin ich sofort aufgestanden und gegangen. Er hat mich zwar nicht angefasst oder irgendwie angemacht, aber das eben gesehen zu haben, ekelt mich zutiefst.

Erfahrungen sind keine Einzelfälle

Diese Erfahrungen sind kein Einzelfall. Auf dem Instagram-Kanal der Gruppe befinden sich 144 Beiträge, die nur über Fälle aus Halle berichten. Sie zeigen: Sexismus passiert überall und doch versuchen sich viele noch immer der Diskussion zu entziehen, "weil es anstrengend ist", so Herrmann-Haase. Viele wissen erst gar nicht, dass ihr Verhalten nicht angebracht ist, denn oft kennen sie es gar nicht anders, weil Eltern und Familie es ihnen so vorgelebt haben.

Jetzt aber müssen sie ihr Verhalten ständig überdenken, um rauszufinden, ob Verhaltensweisen von früher heute noch in Ordnung sind. "MeToo war und ist für die Gesellschaft unbequem, weil gewohnte Muster durchbrochen werden müssen", erklärt Traumafachberaterin Daniela Rackow. Das sei gerade in Krisenzeiten wie der jetzigen keine einfache Aufgabe. 

MDR (Cynthia Seidel, Oliver Leiste, Moritz Arand)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. August 2022 | 17:00 Uhr

103 Kommentare

O.B. am 22.08.2022

Gut das wir in Deutschland sind. Aber auch hier gibt es Männer mit dem selben Problem. Man braucht nicht zu denken derartiges ist den Männern vorbehalten.

ralf meier am 22.08.2022

Sie schreiben: Eine Belästigung liegt vor, wenn jemand sich belästigt fühlt.

Also in Afghanistan und einen anderen islamisch dominierten Staaten fühlen sich viele Männer durch unverschleierte Frauen extrem belästigt.


O.B. am 22.08.2022

"Was das "hochschlafen" betrifft, so gibt es da doch eigentlich bis auf den Täter nur Verlierer. Wenn in einer Firma Karrierechancen damit verbunden sind, dass man zum Sex mit dem Chef genötigt wird, dann hat man wohl kaum "gewonnen", wenn man dann den Job bekommt."

Also erstmal kann dieses hochschlafen auch von der Frau ausgehen. Nichts anderes als das älteste Gewerbe der Welt. Und wenn man dann eine besser bezahlte Stelle hat nenne ich das schon gewonnen. Die Frauen die so ihre Karriere vorantreiben Stimmen mir da sicher zu. Geht es vom Chef aus ist es eine Straftat 🤷‍♂️.

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