Finanzierung fehltBildungsarbeit in Kitas gefährdet: Sprachberater müssen aufhören
Sieben Jahre lang hat der Bund ein Programm zur Sprachförderung in Kitas unterstützt. Seit Juni ist klar: Ab dem kommenden Jahr wird das Bundesprogramm "Sprachkitas" nicht mehr gefördert. Wie es nun weitergeht, ist unklar. In Halle kämpft unter anderem die Sprachkita "Lutherstraße" um die Zukunft des Programms.
- Sprachberater und Sprachberaterinnen arbeiten in Kitas und beraten das Personal in Fragen zu Bildung, Inkusion oder Digitalisierung.
- Da ein Förderprogramm des Bundes ausläuft, ist auch die Zukunft der Sprachberater gefährdet, erzählt Sprechwissenschaftlerin Kristin Lucius aus Halle.
- Da Sprachberaterstellen bislang nicht weiter finanziert werden, sei wichtige Bildungsarbeit in den Einrichtungen gefährdet, sagt Kita-Leiterin Annette Hüttenmüller.
Zwischen Wohnhäusern aus den 1930er Jahren liegt im Süden von Halle versteckt in einem Innenhof die Kita Lutherstraße. Hier arbeitet seit gut einem Jahr die Sprachberaterin Kristin Lucius. Sie ist ausgebildete Logopädin und hat ihren Master in Sprechwissenschaften absolviert. Ihre Aufgabe sei es, dass Kita-Team im Alltag über die Themen sprachliche Bildung, Inklusion, Zusammenarbeit mit Familien und Digitalisierung zu beraten, sagt die 33-Jährige.
Beruf in der Erwachsenenbildung
Häufig werde geglaubt, Sprachberaterinnen würden direkt mit Kindern zusammenarbeiten. Ihr Beruf sei aber ganz klar in der Erwachsenenbildung zu verorten, sagt Kristin Lucius. Eine ihre Hauptaufgaben sei es, die 12 Erzieherinnen und Erzieher in der Kita zum Thema sprachliche Bildung zu beraten. Dabei gibt sie ihnen Methoden an die Hand, wie zum Beispiel das "handlungsbegleitende Sprechen": Die Kita-Erzieherinnen beschreiben dabei den Kindern alles, was sie tun.
Das sei wichtig für den Spracherwerb der Kinder und dass sie einen großen Wortschatz bekommen, erklärt Kristin Lucius: "Die Herausforderung dabei besteht natürlich für die Erzieher und Erzieherinnen darin, genau zu schauen: Auf welcher sprachlichen Entwicklungsstufe ist dieses Kind gerade, was vor mir ist: Was kann ich ganz konkret in meiner Sprache tun, um dieses Kind zu unterstützen."
Kids beim Sprechen unterstützen
Eine weitere Methode sei die "verbesserte Rückmeldung". Jedes Kind macht beim Erlernen der Sprache Fehler. Lucius nennt ein Beispiel: "Wenn ein Kind zu mir als Erwachsener kommt und sagt: Schau mal, da ist die Tatze, und meint eigentlich eine Katze, dann wäre es eher ungünstig zu sagen. Nee, das hast du falsch gesagt. […] Es wäre günstiger zu sagen: Ah, du meinst die Katze. Ich gebe dem Kind den richtigen Hinweis, ohne es zu etwas zu zwingen."
Die Herausforderung dabei besteht natürlich für die Erzieher*innen darin, genau zu schauen: Auf welcher sprachlichen Entwicklungsstufe ist dieses Kind gerade, was vor mir ist.
Kristin Lucius | Sprachberaterin
Um diese sprachlichen Methoden zu verinnerlichen, gibt es aller zwei Wochen eine Teamsitzung. Dabei kann jede pädagogische Fachkraft ihre Erfahrung reflektieren. Wenn sie der Meinung ist, sie könne die Methode anwenden, gibt Kristin Lucius ihr die nächste Methode mit an die Hand.
Sorge um Zukunft der Sprachförderung
Aber lange kann Kristin Lucius wohl nicht mehr mit dem Team zusammenarbeiten: Zum Ende des Jahres läuft das Bundesprogramm "Sprachkitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist" aus. Ab Januar könnte sie ohne Job dastehen. Die Hallenserin plagen große Sorgen: Zum einen sieht sie die sprachliche Bildung der Kinder in Gefahr. Zum anderen geht es auch um ihre ganz persönliche wirtschaftliche Situation.
Das ist gerade sehr herausfordernd für mich, weil ich den Job sehr sehr mag und ihn gerne weitermachen möchte.
Kristin Lucius | Sprachberaterin
Für sie bestehe derzeit keine klare Perspektive. Aktuell sieht das Bundesprogramm für Sprachberatungsfachkräfte eine 20-Stunden-Stelle vor. Davon lasse es sich schwer leben, sagt Kristin Lucius.
Dabei senkt sie zum ersten Mal den sonst so aufgeschlossenen Blick und schaut zu Boden. Nötig sei es, noch einen anderen Job zu haben. Hinzu komme, dass sie nun gezwungen sei, sich auf andere Stellen zu bewerben.
Gute Zusammenarbeit mit Kita-Team
Das Team in der Kita Lutherstraße ist nach Einschätzung von Sprachberaterin Kristin Lucius von Anfang an offen und lernbereit gewesen. Zwar werde auch in der pädagogischen Ausbildung die sprachliche Bildung behandelt. Allerdings gebe es beim Personal zum einen große Altersunterschiede und dadurch unterschiedliche Wissensstände, zum anderen habe sich in letzten Jahren in der Forschung zum frühkindlichen Spracherwerb einiges entwickelt.
Dieser Auffassung ist auch die Leiterin der Kita "Lutherstraße", Annette Hüttenmüller. Sie leitet die Einrichtung seit 2009. Die sprachliche Bildung beschäftigt sie allerdings schon viele Jahre, noch bevor die Kita im Mai 2021 offizielle Sprachkita wurde.
Vor allem seit der Wende habe sich in der Entwicklung der Kitas viel getan, sagt Hüttenmüller: "Es gab neue Bildungsprogramme, die quasi dafür gesorgt haben, dass die Kita eben nicht nur ein Betreuungsort ist, sondern ein Bildungsort ist." Auch Eltern würden sich die Kita als Bildungsort wünschen.
Kita als Bildungsort erhalten
Diesen Bildungsort möchte Hüttenmüller auch in Zukunft erhalten, die Frage ist allerdings, wie. Wenn das Förderprogramm für Sprachkitas nicht weitergeführt wird, gebe es kaum noch Zeit, sich um die Sprachförderung zu kümmern. "Ich sehe, dass uns das, was wir aufgebaut haben, zum Teil wegbrechen wird," sagt die 58-Jährige mit Nachdruck.
Grund dafür ist auch der Personalmangel: Neben ihren administrativen Aufgaben müssen die Leiterin und ihre Stellvertreterin auch die Kita-Gruppen mit betreuen. Die Aufgaben einer Sprachberaterin zusätzlich noch zu übernehmen, sei nicht möglich.
Ich sehe, dass uns das, was wir aufgebaut haben, zum Teil wegbrechen wird.
Annette Hüttenmüller | Kita-Leiterin
Deshalb haben Annette Hüttenmüller und ihr Team bereits Gespräche mit dem Eigenbetrieb Kindertagesstätten als Träger geführt, sowie mit Vertretern aus der Politik. Mittlerweile bekomme sie aber keine Rückmeldung mehr, sagt Hüttenmüller. Auch die Bundestagspetition zum Erhalt der Sprach-Kitas hat das Team unterzeichnet. Wenn das Quorum von 50.000 Stimmen erreicht ist, befasst sich der Bundestag noch einmal mit dem Sprachkita-Programm, so die Hoffnung.
Denn Hüttenmüller ist der Meinung, dass eigentlich alle Kitas eine Sprachkita sein müssten, "weil auch die pädagogischen Fachkräfte einfach auch verdient haben, dass sie die Unterstützung bekommen für diese Themen, die sie täglich zu bewältigen haben".
Bundesprogramm Sprachkitas
Das Bundesprogramm "Sprachkitas": Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist" wird seit 2016 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Im Juni 2022 gab das Bundesministerium bekannt, dass die Förderung ab 2023 beendet wird. In Sachsen-Anhalt gibt es rund 200 Sprachkitas. Die Stelle eines Sprachberaters darf laut Bundesprogramm maximal 20 Wochenstunden betragen. Am Donnerstag kündigte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) neue Verhandlungen mit den Bundesländern an. Sie sicherte außerdem eine finanzielle Übergangslösung zu, bis eine Lösung für die Sprach-Kitas gefunden wird.
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MDR (Paula Kautz)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. September 2022 | 17:00 Uhr
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