Selbsthilfegruppe für Leukämie- und Lymphompatienten Sterbehilfe: Kein Thema, wenn der Lebenswille stärker ist

16. September 2019, 18:51 Uhr

Die Diagnose war niederschmetternd: Krebs im Endstadium. Die Ärzte gaben Simone Pareigis damals eine Überlebenschance von zehn Prozent. Ihren Lebensmut verlor sie damals trotzdem nicht. Sterbehilfe? Für sie war das kein Thema. Heute leitet Pareigis eine Selbsthilfegruppe für Krebskranke – und hat ihre ganz eigenen Vorstellungen vom selbstbestimmten Tod. Teil 4 der MDR SACHSEN-ANHALT-Reihe zu Sterbehilfe.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Irgendwann war da dieser Pickel auf dem Rücken. Linke Flanke. "Der tat höllisch weh", erinnert sich Simone Pareigis. Also ging sie zum Arzt, bekam eine Antibiotika-Salbe verschrieben. Ein paar Tage vergingen. Dann war der Pickel schwarz. "Da konnte man ja schon erahnen, was es ist", sagt die 54-Jährige rückblickend. Ihre Ahnung bestätigte sich: Lymphknotenkrebs. Im Endstadium. Die Ärzte sagten, ihre Überlebenschance liege bei zehn Prozent.

Das ist nicht gerade viel.

Aber es hat gereicht, um Simone Pareigis sehr viel Lebenswillen zu geben – und Sterbehilfe für sich persönlich auszuschließen. "Das war für mich kein Thema. Nicht bei zehn Prozent Überlebenschance", sagt sie. Diese zehn Prozent, sie haben ihr gereicht.

Die Frau, die all das erzählt, hat eine recht deutliche Meinung, wenn es um Sterbehilfe geht: "Der Arzt hat das letzte Wort. Der Patient das allerletzte." Simone Pareigis weiß, dass sie damit nicht unbedingt einer Meinung mit Palliativmedizinern und vielen Politikern ist, die todkranken Menschen bis zum Schluss so viel Lebensqualität wie möglich geben möchten.

Es ist mein Körper. Ich möchte, dass ich das letzte Wort habe.

Simone Pareigis, früher Krebspatientin

Die Krankheit von Simone Pareigis liegt nun gut 16 Jahre zurück. "Ich hatte sehr gute Ärzte damals", sagt sie heute. Zurückgekommen ist der Krebs zum Glück nicht. Dass sie damals überlebt hat, macht sie noch immer dankbar.

Sie will der Gesellschaft ein Stückchen zurückgeben, sagt sie. Simone Pareigis engagiert sich deshalb in der Selbsthilfegruppe für Leukämie- und Lymphompatienten in Halle. In die trat sie ein, als die Krankheit bei ihr gerade erst diagnostiziert worden war. Heute ist Pareigis Leiterin der Selbsthilfegruppe.

Auch in der Selbsthilfegruppe wird über Sterbehilfe gesprochen

Wenn sie sich einmal im Monat in Halle treffen, kommen im Schnitt 15 Leute. Aus ganz Sachsen-Anhalt, zum Teil auch aus Sachsen. Sie sprechen dann viel miteinander, tauschen ihre Erfahrungen aus – sagen, welches Medikament ihnen geholfen hat und welches nicht. Der gegenseitige Austausch ist wichtig, sagt Simone Pareigis. Manchmal lädt sie auch Apotheker oder Onkologen ein. "Das ist dann eine Frage-Antwort-Runde. Fragen, die Ärzte aus Zeitnot im Krankenhaus nicht beantworten können, werden hier beantwortet", erzählt sie.

Und es gibt die Tage, an denen auch in der Selbsthilfegruppe über Sterbehilfe gesprochen wird. Genauso gibt es Menschen, die den Weg der Sterbehilfe gegangen sind. Auch das gehört ihrer Meinung nach dazu. Schließlich soll jeder das letzte Wort über seinen Körper haben.

Dass Simone Pareigis über Sterbehilfe so denkt, wie sie nun einmal denkt, liegt an einer ganz persönlichen Erfahrung. Als der Vater einer guten Freundin vor einigen Jahren unter Prostatakrebs litt, fuhr er in die Schweiz, um zu sterben. Der Mann war austherapiert, konnte nicht mehr sitzen oder liegen. Er hatte nur noch wenige Tage zu leben. Dann also die Fahrt in die Schweiz. Dort stellte er fest, dass der Arzt, der ihm beim Sterben helfen sollte, auf einem Kongress war. "Er sollte nach dem Terminkalender seines Arztes sterben", sagt Simone Pareigis. "So geht es nicht."

Und überhaupt: Wenn sie doch einmal in die Situation kommen sollte und keine Überlebenschance mehr hat, dann hat Simone Pareigis ihre ganz persönlichen Vorstellungen. Sie will im Fall der Fälle selbst über ihren Tod entscheiden, möglicherweise auch Sterbehilfe in Anspruch nehmen. "Ich will keine Spritze bekommen", sagt sie. "Eher stelle ich mir eine Tablette vor, die nicht bitter schmeckt. Nach Zitrone vielleicht, oder Erdbeere."

Das letzte, was sie in ihrem Leben schmecken möchte, soll an ein Bonbon erinnern.

Sie haben suizidale Gedanken oder eine persönlichen Krise? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen! Sie können jederzeit kostenlos anrufen: 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf. Auf der Webseite www.telefonseelsorge.de finden Sie weitere Hilfsangebote, zum Beispiel per E-Mail oder im Chat.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT - in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | FAKT IST! aus Magdeburg | 16. September 2019 | 22:05 Uhr

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