Uni-Abbruch mit Karrierechancen Warum diese Männer ihr Studium abgebrochen haben – und es nicht bereuen

22. Oktober 2022, 14:18 Uhr

"Queraufstieg" – das ist der Name eines fast zwei Jahre alten Netzwerks, das Studienabbrechern neue Perspektiven ermöglichen will. Und einen reibungslosen Einstieg in eine Ausbildung fernab von der Uni. Davon profitieren junge Leute und Wirtschaft gleichermaßen. Drei junge Männer erzählen.

Eine klassische Akademikerlaufbahn: Mindestens 12 Jahre Schulbank drücken, vielleicht ein Jahr im Ausland verbringen oder anderweitig Lebenserfahrungen sammeln und ab an irgendeine Universität, um die nächsten drei bis zehn Jahre zu studieren. Viele junge Menschen erwachen jedoch erst im Hörsaal und stellen verwundert fest: "Studieren ist gar nichts für mich!" Zu theoretisch, viel zu viel Statistik, zu viele Klausuren, zu teuer, zu langwierig.

Oft scheitert das Studium auch an der Selbstorganisation. Doch wer den Weg erst einmal eingeschlagen hat, der kommt nicht so schnell wieder davon ab. Das Ergebnis: Lange Jahre werden in Bibliotheken, Studierzimmern oder Studentenkneipen verschwendet, ein Abbruch kommt nicht für jeden in Frage, denn das ist in Deutschland gefühlt noch immer ein Tabu.

Studienabbruch: Unbedingt!

Das Studium abzubrechen, muss kein Tabu sein. Wenn es nach dem Beratungsnetzwerk "Queraufstieg" geht, ist es sogar eine Karrierechance. Das Netzwerk betreut abbruchwillige Studenten in Berlin, Brandenburg, Niedersachsen – und Sachsen-Anhalt. Es gibt Information, Orientierung und Inspiration, wie es für Hochschulaussteiger weitergehen könnte.

"Queraufstieg" als Helfer für die Wirtschaft

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, gibt es auch in Sachsen-Anhalt immer wieder kostenfreie Beratungstermine zum Thema Studienabbruch, Studienzweifel. Für eine erfolgreiche und erfüllende berufliche Karriere berät "Queraufstieg" nicht nur an Hochschulen, sondern arbeitet auch mit der Agentur für Arbeit zusammen und hat Multiplikatoren in der Wirtschaft. Dabei kommt dem Netzwerk der Fachkräftemangel gerade richtig, Studienabbrecher werden in allen Branchen gern genommen, erzählt Sarah Rögner von "Querausstieg". Das Beratungsnetzwerk tingelt nun durch Unistädte, und lässt erfolgreiche Aussteiger ihre Geschichten erzählten. So wie Sören Steinke.

Sören Steinke: "Ich brauche klare Vorgaben. Ich brauche Arschtritte."

Sören kam nach Halle, um Archäologie zu studieren. Schnell merkte er, dass das Studium nicht zu ihm passt. Bei der Studienberatung wurde er ohne große Umschweife gefragt, ob er sich vorstellen könne, Brauer zu werden. In Landsberg hat er dann eine Lehre als Brauer begonnen und es keine Sekunde bereut. Zur Zeit arbeite er im Uniklinikum in Halle als Qualitätsmanagement-Beauftragter. "An der Archäologie hat es nicht gelegen, ich hätte auch jedes andere Fach studieren können und wäre genauso gescheitert", sagt Sören heute. Jeden Tag aufzustehen und zu wissen, was man macht, das liegt dem Wahl-Hallenser mehr. In einem Bachelorstudium ist das ganz anderes. Da ist viel Disziplin notwendig und die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren. Dass er am Hochschulstudium gescheitert ist, findet er gar nicht, zumal seine Familie alle seinen Entscheidungen stets mitträgt.

Die Familie habe ihn sehr unterstützt, erzählt Sören. Er kann sich aber auch vorstellen, dass es Familien gibt, in denen ein Studienabbruch tabu ist. Ein Hochschulstudium ist ja immer auch mit einer gewissen Kultur, einem bestimmten Lebensstil verbunden, der Spaß machen soll und sicher auch toll ist, sein Weg sei dies jedoch nicht gewesen.

Joshua Scherf: "Ich würde vielleicht Leuten einen Weg mit weniger Umwegen empfehlen."

Joshua kam 2010 nach Halle, um an der Martin-Luther-Universität Biologie zu studieren, heute bin ich Personalleiter im Flower 2.0, einem Club in Halle. Er habe, wie er selbst sagt, "sehr unerfolgreich" studiert. Lange habe es bei ihm gedauert, bis er erkannte, dass das Studium nicht sein Lebensweg bestimmen soll. Auch ihm lag das Studium nicht so, besonders die praktische Arbeit im Labor sagte ihm nicht zu und der fehlende Termindruck machte alles noch komplizierter. Dreieinhalb Jahre dauerte es, bis er sich für den Ausstieg entschied und eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann im Radisson Blu in Merseburg zu machen, einen Schritt, den er überhaupt nicht bereut.

Deswegen möchte er heutigen Zweiflern mit auf den Weg geben, nicht zu lange mit einer Entscheidung zu warten. Viele lebten immer noch mit dem dem Trugschluss, dass man, wenn man schon Abitur habe, auch studieren müsse. "Das ist ziemlicher Blödsinn", sagt Joshua heute. Gerade nach dem Abitur solle man sich nach seiner Meinung ganz genau umschauen. Genug Ausbildungsbetriebe nehmen Abiturienten mit Kusshand.

Jonas Groth: "Ich bin wahrscheinlich einfach zu faul zum Studieren."

Für Jonas Groth, der eigentlich mal Lehrer für Sport und Geografie werden wollte, brachte die Corona-Pandemie alles durcheinander. Der Student, dem es schon im normalen Studienbetrieb schwer gefallen war, sich selbst zu organisieren, blieb auf der Strecke. "Das war so der Knackpunkt, wo ich dann gesagt habe das war's!", erzählt er heute. Durch Zufall nahm ihn sein Schwiegervater mit und zeigte ihm seine Arbeit als Schornsteinfeger. Der Beruf hat ihm sofort gefallen, nun macht er eine Ausbildung und hat es bisher keineswegs bereut. Kommenden Mai hat Jonas ausgelernt. Jonas ist sich heute sicher: Auch er hat diese Hilfe von außen gebraucht. Menschen, die ihm zeigen, was man alles lernen kann.

Natürlich, sagt Jonas heute, hätte er gern mit Kindern gearbeitet, aber auch das kann er ja noch in seiner Freizeit machen. Dass gerade während des Abiturs viel zu wenige Beratungen angeboten werden, die nichts mit einem Hochschulstudium zu tun haben, findet er schade. Diese wären sehr hilfreich, meint er.

Das Herzstück von "Queraufstieg" ist die Website

Für ihre Klientinnen und Klienten ist die Website des Netzwerkes ein wichtiger Anlaufpunkt, sagt die Mitarbeiterin Sarah Rögner. "Dort finden sowohl Studierende oder auch Studienzweifler Informationen, aber auch für Unternehmen, die sich für die Personengruppe der Studierende interessieren, sind hier genau richtig." Dort gibt es einen prall gefüllten Veranstaltungskalender, dort steht drin, in welcher Stadt "Queraufstieg" als nächstes vor Ort sein wird. Aber auch Netzwerkpartnern wie den Beratungsstellen wird eine Plattform geboten.

Besonders weist Sarah Rögner auf das "Quer-Navi" hin. Das ist eine digitale Landkarte für die vier Bundesländer, in der sich die Beratungsstellen mit ihrem spezifischen Beratungsangebot eintragen können, beispielsweise die Agentur für Arbeit am Standort in Halle oder auch die Studienberatung der Humboldt-Universität Berlin. Wer eine Beratung sucht, wird hier schnell fündig. Auch Unternehmen haben die Möglichkeit, sich dort einzutragen und ihre Angebote für Queraufsteigerinnen und -aufsteiger zu kommunizieren.

"Queraufstieg" möchte ein Netzwerk sein, aber auch das Thema Studienabbruch aus der Tabuzone holen. Noch immer wird viel zu selten über Zweifel und über Abbruch-Gedanken gesprochen. Noch immer erfahren manche Familien über Jahre nicht, dass ihre Kinder längst nicht mehr studieren, sondern nur noch zum Schein immatrikuliert sind. Positiven Geschichten helfen daher, das Tabu aufzubrechen, um junge Leute nicht unnötig lange an einer Hochschule zu halten, wenn sie ihr persönliches Glück doch woanders finden könnten. Am Ende geht es nämlich genau darum: Etwas zu arbeiten, was einen erfüllt und was Spaß macht.

Mehr zum Thema: Studieren in Sachsen-Anhalt

MDR (Anne Sailer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 21. Oktober 2022 | 17:00 Uhr

16 Kommentare

schwarzinger am 23.10.2022

@Fakt
Das mag zwar Ihr Eindruck sein, doch der ist leider Falsch, ansonsten hätten Sie doch mal mein angebliches "nicht allzu viel wissen" belegen können.
So aber begnügen Sie sich nur mit Unterstellungen, das ist Fakt.

Fakt am 23.10.2022

@schwarzinger:

Wenn der Artikel Sie verwirrt, zeigt das m. E. dass Sie vom wahren Leben und der heutigen Berufswelt offenbar nicht allzu viel wissen.

schwarzinger am 23.10.2022

Abbruch mit Karrierechancen?
Mich lässt dieser Artikel etwas verwirrt zurück. Diese Männer mögen es zwar nichts bereuen, aber meiner Meinung nach sind es keine Beispiele für einen erfolgreichen Lebensweg und Queraufstieg kein leuchtendes Beispiel für sinnvolles Agieren.
Diese Leute können froh sein, dass es zur Zeit Arbeitskräftemangel gibt. Als Personalchef hätte ansonsten keiner der 3 eine Chance überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
Wenn ich etwas lernen oder studieren will, dann mache ich mich vorher mit diesem Beruf bzw. Studium vertraut und weiß was auf mich zukommt.
Mir kommen die 3 vor wie Tagträumer, die der Meinung sind, dass das Leben trotzdem weiter geht und wenn das eine nicht klappt, dann versucht man halt etwas anderes.

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