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"Mit dem Rücken zur Welt"Kunst mit Puppe: Theater in Halle holt Caspar David Friedrich auf die Bühne

08. Dezember 2024, 15:46 Uhr

In Halle erobert der Superstar der Romantik zum Ende des Jubiläumsjahres noch die Bühne: "Mit dem Rücken zur Welt" heißt das Stück in Regie von Puppentheater-Chef Christoph Werner. Der Titel spielt an auf CDF's Gemälde, die oft Menschen in Natur-Seelen-Landschaften mit dem Rücken zum Betrachter zeigen. Dabei will Werner nicht die Biografie des Malers "mit dem schweren Gemüt" nacherzählen, sondern im Hier und Heute spiegeln. Gelungen, findet unser Kritiker, der die Uraufführung erlebte.

Warum hatte niemand vorher schon die Idee, das Leben von Caspar David Friedrich auf die Bühne zu bringen? Hierzulande ist mir jedenfalls nichts dergleichen begegnet. Und das möchte man eigentlich gar nicht glauben, denn Caspar David Friedrich ist ja quasi der Erfinder des Bühnenbildes. Er malt keine realistischen Landschaften, sondern arrangiert in seinen Bildern symbolhaft knorrige Eichen, Klosterruinen und Eisschollen vor Wolken und Sonnenuntergängen. Er baut damit emotionale Landschaften. Also genau das, was ein Bühnenbild ausmacht.

So so sieht Caspar David Friedrich als Puppe aus: Lars Frank (M.) spielt den Künstler. Bildrechte: Anna Kolata

Brückenschlag ins Heute: Wandern überm Nebelmeer

Regisseur Christoph Werner, so liest man es auf der Homepage, will an drei Stücke anknüpfen, die sich mit dem Leben Maurice Ravels, Clara Schumanns und Johann Sebastian Bachs auseinandergesetzt hatten. Darin spielte Pianistin Ragna Schirmer live auf der Bühne und war wesentlicher Moment der Inszenierung.

Jetzt also ein Maler, und Ragna Schirmer ist nicht mit dabei. Es gibt keine live eingespielte Musik. Auch Musik der Romantik, aus Friedrichs Zeit, kaum. Einmal erklingt das Lied vom "Leiermann" aus Schuberts "Winterreise", das Puppenspieler Lars Frank mit gebrochener Stimme singt – sehr eindrücklich! Die Musik kommt sonst aus ganz unterschiedlichen Epochen. Das Kronos-Quartett ist zu hören. Auch der finnische Akkordeonspieler Kimmo Pohjonen. Am Ende sogar Techno. Das passt gut zur Grundidee des Stückes, die das Leben des Malers nicht streng biografisch nacherzählen, sondern Brücken schlagen will.

Zeitreise zu Caspar David Friedrich: Patriotismus und Biedermeier

Es gibt einen Prolog im Hier und Jetzt. Da wird, wie es heißt, eine "letzte Ausstellung" im Jubiläumsjahr eröffnet. Man habe auch schon "alles gesehen". Caspar David Friedrich sei "auserzählt". Es gäbe auch keine Festredner mehr.

Deswegen muss eine abgehalfterte Kunstwissenschaftlerin ran und eine Rede halten: Frau Dr. Feldstein. 60 oder sogar 70 Jahre alt soll sie sein und alles andere als angesagt. Entsprechend verunsichert beginnt sie ihre Rede, verzettelt sich, bis plötzlich unter den Schickimicki-Kunstfreunden der alte Caspar David Friedrich wie ein Gespenst auftaucht. Er schleicht sich auf die Bühne, und dann beginnt die Zeitreise in die Vergangenheit. Der Bezug ins Heute bleibt so immer gegeben.

Carl Spitzwegs "Sonntagsspaziergang" steht auch für den biedermeierlichen Rückzug ins Private in düsteren Zeiten. Bildrechte: picture-alliance / akg-images | akg-images

Krieg in Europa

Wir sind in der Zeit der Französischen Revolution mit vielen Kriegen in Europa um Grenzen und Einflusszonen. Die Völkerschlacht in Leipzig spielt eine Rolle. So kommen Fragen nach dem Vaterland, nach Patriotismus ins Spiel. Es geht um den Biedermeier, um den Rückzug ins Private, der auch in der Kunst stattfindet, etwa mit der Frage: Hänge ich als reicher Kunstkenner wie bisher einen Caspar David Friedrich über das Sofa, oder ist mir das zu düster in einer düsteren Zeit, und ich nehme lieber etwas buntes: ein Sommerbild wie den "Sonntagsspaziergang" von Carl Spitzweg, der in der Aufführung konkret zu sehen ist.

Diese Fragen nach Krieg, Patriotismus, nach Ideologie, Kunst und Ästhetik sind Fragen, die Menschen damals und heute beschäftigen. Wie richten wir uns in Zeiten des Hoffens und des Scheiterns in einer Welt ein, die wir im Rücken haben und mit einer undurchsichtigen Zukunft vor uns. Hier erklärt sich der Stücktitel. Das ist für Christoph Werner die zentrale Ebene. Aus diesem Nebelmeer taucht Goethe als Puppe auf, auch andere Geistesgrößen der Zeit.

Auch Goethe betritt die Szene, als Zeitgenosse Friedrichs und Napoleons. Bildrechte: Anna Kolata

Die Inszenierung will zeigen, wie eine Kunst in die Politik, in eine Ideologie eingebunden wird, sich zum Handlanger macht oder versteckt und subtil Kritik übt. Das ist gekonnt herausgearbeitet, so dass man das Handeln der Protagonisten auch immer aus und in der Zeit verstehen kann.

Kunst-Exkurs: Bühne als Leinwand

Die Bühne von Angela Baumgart ist grundsätzlich leer. Auf ihr steht nur ein schmaler, sehr in die Breite gezogener Container, auf einer Seite bespannt mit einer Leinwand im Cinemascope-Format, auf der die Bilder von Friedrich erweitert werden. Andere Bilder entstehen als Momentaufnahme auch aus einem Film heraus, z. B. der "Mönch am Meer". Die Videos von Conny Klar sind ansprechend. Werner scheut sich nicht, in die Inszenierung eine Diashow einzubauen: Einfach gucken und die Seele baumeln lassen. So wie es Frau Dr. Feldstein, die Kunstwissenschaftlerin, in der Szene macht.

Die Bühne in Halle wird zur Leinwand im Cinemascope-Format, um die Bilder von Caspar David Friedrich ins Spiel zu bringen. Bildrechte: Anna Kolata

Auf der anderen Seite des Containers befindet sich eine Art Wintergarten mit großen Glastüren für den Rückzug ins Private. Auch die schmalen Seiten des Containers werden bespielt. Da hängt das Altarbild "Kreuz im Gebirge", es wird in einer Szene heftig kritisiert. In der Bewegung des Containers auf der Drehbühne entstehen unterschiedliche Spielorte. Für eine Art Vorlesung, wenn die Kunstwissenschaftlerin Dinge erklärt. Oder für eine Szene, in der Caspar David Friedrich seine Frau Caroline aus Eifersucht umbringen will – großartig gespielt!

Ines Heinrich-Frank, Tobias Eisenkrämer, Lars Frank, Claudia Luise Bose wirken in dem Friedrich-Stück "Mit dem Rücken zur Welt" als Spielerinnen und Spieler mit. Bildrechte: Anna Kolata

Gut gespielte Ensemble-Leistung

Als Puppen sind Caspar David Friedrich und seine Frau Caroline zu sehen. Lars Frank führt nicht nur die Friedrich-Puppe; er spielt ihn auch unter einer Maske als kauzigen älteren Herren und weiß sehr genau, wie er welche Geste setzt. Die Figur hat am Ende viel Farbe. Gut gefallen hat mir auch Claudia Luise Bose als seine Dialogpartnerin in verschiedenen anderen Rollen, vor allem natürlich as seine Frau Caroline. Als Kunstwissenschaftlerin weiß Ines Heinrich-Frank zu überzeugen, die zugleich als Zeitreisende ihre Erlebnisse mit dem erlernten Wissen abgleicht. Tobias Eisenkrämer legt seine Rolle als Gegenspieler von Friedrich ein bisschen zu sehr als Karikatur an. Aber das sind Details. Im Grunde ist "Mit dem Rücken zur Welt" eine sehr gut gespielte Ensemble-Leistung.

In Friedrichs Gemälde "Der Wanderer über dem Nebelmeer" kulminiert die Inszenierung, die auch die Orientierungslosigkeit heute streift. Bildrechte: Anna Kolata


Das Stück endet in einem zeitlos wirkenden Raum. Am Ende sitzen der alte Caspar David Friedrich und die Kunstwissenschaftlerin auf der Bühne vor dem "Wanderer über dem Nebelmeer". Sie fragen sich, wo sie herkommen und wo sie hin wollen. Sind beide gescheitert? Das bleibt offen.

Doch das berühmteste von Friedrichs Gemäldes teilt sich dann, und teilt sich, wie eine Eizelle, in immer neue Varianten, bis auf der Leinwand ein großes Mosaik entsteht. Auch das Plakat zur Inszenierung zeigt den "Wanderer im Nebelmeer", allerdings auf dem Felsen der Burg Giebichenstein in Halle, ihm zu Füßen liegt Halle-Neustadt. Ein großartiges Plakat, und unbedingt was für die Wohnzimmerwand heutzutage.

Angaben zum Stück: "Mit dem Rücken zur Welt"

"Mit dem Rücken zur Welt"
von Christoph Werner
Uraufführung
Premiere: 06.12.2024

Puppentheater Halle

Universitätsplatz 2
06108 Halle (Saale)

Alle Aufführungen bis Ende Januar 2025 sind bereits ausverkauft.

Quelle: MDR KULTUR (Theaterredakteur Stefan Petraschewsky), Redaktionelle Bearbeitung: ks

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 07. Dezember 2024 | 12:15 Uhr