"Deutsch-Südost 24/7" Nachdenken über ein AfD-Verbot am Neuen Theater Halle
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02. September 2024, 13:54 Uhr
Im "Schaufenster" des Neuen Theaters Halle hat am Tag der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ein experimenteller Abend stattgefunden: Theatermacher und Publikum sollten sich auf performative Weise über ein mögliches AfD-Verbot austauschen. Es war der erste Teil der Reihe "Deutsch Süd-Ost 24/7", die noch bis zum 7. September fortgesetzt wird. MDR KULTUR-Theaterkritiker Wolfgang Schilling konnte mit dem Theater-Experiment wenig anfangen. Eine Kritik.
- "Deutsch Süd-Ost 24/7" heißt das neue Format am Neuen Theater Halle, bei dessen erster Ausgabe über ein AfD-Verbot diskutiert wurde.
- Das Publikum reagierte noch während des Abends zum Teil enttäuscht von der Performance.
- Unser Kritiker nimmt den Machern ihre behauptete Unvoreingenommenheit nicht ab.
"Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" singt der Rapper Danger Dan und am Neuen Theater in Halle macht man sich Gedanken. Darüber, was die Folgen von einem möglichen AfD-Verbot sein könnten. In einer fiktiven, szenischen Performance, die wohl gesetzt am Wahlabend in Thüringen und Sachsen ihre Premiere erlebte. Jeweils ein Drittel der Wähler stimmten in diesen beiden Bundesländern für diese Partei, und am Theater denkt man über ihr Verbot nach.
Geht's noch, ist das nicht ziemlich anmaßend? "Ich glaube, dass dieser Verbotsdiskurs weiter an Vehemenz gewinnen wird und eine Eigendynamik entwickelt, die diese Frage erstaunlicherweise völlig zur Seite drängt", antwortet der Schriftsteller Ingo Niermann.
Klarer Verhaltenskodex
Ingo Niermann hat mit einem Team von Künstlerkollegen und Theaterleuten ein Format entwickelt, um gemeinsam mit dem Publikum herauszufinden, was denn passieren würde, wenn die AfD verboten würde. Das ist ganz klar kein klassischer Theaterabend und ganz klar auch kein Aufruf zu einem AfD-Verbot. Es soll ein ergebnisoffenes Experiment sein, wird versprochen.
Doch am Eingang hängt ein Schild, auf dem zu lesen ist: "Die Veranstaltenden werden konsequent von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und Personen, die während der Veranstaltung diskriminierende (z.B. rassistische, antisemitische, ableistische, misogyne, homophobe, transphobe) Äußerungen tätigen, von der Veranstaltungsreihe Deutsch Süd-Ost 24/ 7 auszuschließen." Das wirkt schon mal nicht so ganz souverän, und auch nicht gerade gastfreundlich.
Immerhin gab es zur Begrüßung des heißen Abends kalte Freigetränke. Alkoholfreie "Schlammbowle" und einen offensichtlich etwas alkoholisierten "Diestel-Sud-Ost".
Alkohol enthemmt bekanntermaßen, mussten die Veranstalter von ihrem Hausrecht Gebrauch machen? Nein, was aber in erster Linie daran lag, dass man gewissermaßen unter sich blieb. Zur Premiere waren 27 Personen im Raum. Darunter auch Kritiker wie ich und viele Theaterleute. Auf meine Frage, wer denn für ein Ticket bezahlt habe, also "echtes Publikum" sei, hoben sich neun Hände.
Ernüchternde Resonanz
Die offenbar etwas nervöse Dramaturgin Sandra Bringer führte in den Abend ein. Hatte ihren Part nicht so richtig geübt und wirkte deshalb etwas laienhaft. Vor allem auch, weil die Puppenspielerin Julia Raab als böser Wolf eine überzeugende Provokateurin gab und nach Herzenslust rumstänkerte. Auch mit Kunst von Gerhard Gundermann:
Die Zukunft ist ne abgeschoss'ne Kugel,
Auf der mein Name steht.
Und die mich treffen muß.
Und meine Sache ist, wie ich sie fange,
Mit 'n Kopp, mit 'n Arsch, mit der Hand
Oder mit der Wange.
Das saß – dann wurde es didaktisch. Der Schriftsteller Jakob Nolte las vom Handy einen Text über seine Erfahrung mit rechten Jugendlichen in seiner Heimat Barsinghausen am Deister. Ingo Niermann von echten Nazis im Bielefeld der 1980er-Jahre und erinnerte an den rechten CDU Hardliner Alfred Dregger aus grauer hessischer Vorzeit. Da kann einem hier in Halle schon mal der Oschmann hochkommen.
Wo sind wir hier? Geht's noch weiter weg und länger her? Dafür gab es aber auch gleich die erste Quittung. In einer improvisierten Publikumsbefragung sollte mit einem Wort das bislang Erlebte kommentiert werden. "Unsinn", "dumm" und "ratlos" war da zu hören. Andere sprachen von Ignoranz oder fanden es spannend.
Menschgewordenes Balkendiagramm
Und es sollte sogar noch amüsant werden. Etwa als es darum ging, die Grafik einer Hochrechnung der Thüringenwahl auf der Bühne nachzustellen. Da standen sie dann, die Partei gewordenen Menschen. Hochgeschossen oder in sich zusammengesunken.
Einer ging spontan nach vorn, um die SPD zu trösten. Zwei andere bauten sich kämpferisch oder fragend vor der AfD auf. Ein älterer Herr lenkte den Finger einer dritten Skeptikerin an die Schulter des jungen Mannes, der die AfD spielte. Was soll das heißen, fragte der – und bekam zur Antwort: "Der Finger ist der Anfang der Hand."
Grenzen der Unvoreingenommenheit
Dann sollte man seinem Gegenüber am Tisch drei Minuten lang in die Augen sehen und dabei imaginieren, dass er oder sie eine Partei gewählt hat, die man selbst "geringschätzt" oder gar "verachtet", wie es Spielmeister Ingo Niermann nannte. Was das wohl mit Unvoreingenommenheit zu tun hat?
Am Ende dann aber doch noch ein bisschen Hoffnung. Als sich die vermeintlichen politischen Gegner paarweise, einer offenen, der andere geschlossenen Auges durch den Raum führten, entstand ein Wimmelbild sensibel miteinander umgehender Menschen. Das war's im Prinzip auch schon.
Drei Wiederholungen mit anderen Themen und Akteuren finden im Laufe der ersten Septemberwoche noch statt. Die beteiligten Künstler versprechen sich von ihrem Projekt viel Input von außen, war dann noch zu hören. Doch als ein paar der nicht zum Theater gehörenden Zuschauer noch eine gute halbe Stunde über das Erlebte ins Gespräch miteinander kamen, setzte sich einzig die Intendantin dazu. Aber die kommt auch aus Dänemark.
"Deutsch Süd-Ost 24/7" – weitere Veranstaltungen:
Dienstag, 03.09.2024
- Thema: Das besondere Verhältnis von Tier und Mann
- Gast: Fahim Amir (Philosoph)
Donnerstag, 05.09.2024
- Thema: Alte und neue Formen des politischen Untergrunds
- Gast: Astrid Proll (Mitbegründerin der RAF)
Freitag, 06.09.2024
- Thema: Lieder aus dem Wald
- Gast: Andreas Kubat (Sänger der Band Northern Lite)
Weitere Informationen zu der Veranstaltungsreihe des Neuen Theaters Halle finden Sie hier.
Die Veranstaltungsreihe wird gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Quelle: MDR KULTUR (Wolfgang Schilling), Bühnen Halle
Redaktionelle Bearbeitung: bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 02. September 2024 | 13:10 Uhr