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Zensus 2022Ausländer, Studierende, Karteileichen: Warum Halle plötzlich 17.513 Einwohner weniger hat

29. Juni 2024, 14:52 Uhr

Laut der neuen Volkszählung leben in Halle deutlich weniger Menschen als bislang angenommen. Dadurch könnte die Stadt Zuweisungen in Millionenhöhe verlieren. Wie sich die Diskrepanz zwischen den alten und den neuen Zahlen erklären lässt.

Mit mehr als 240.000 Einwohnerinnen und Einwohnern galt Halle bislang als bevölkerungsreichste Stadt Sachsen-Anhalts. Am Dienstag hat das Statistische Bundesamt die Ergebnisse einer Volkszählung mitgeteilt. Demnach sollen am Stichtag 15. Mai 2022 in Halle nur 226.586 Menschen gelebt haben – rund sechs Prozent weniger als bisher angenommen.

Es ist eine bemerkenswerte Zahl mit einem Nebeneffekt: Weil Magdeburg zugleich rund 2400 Einwohner hinzugewonnen hat, ist Halle den Titel als größte Stadt im Bundesland los. Und in den kommenden Jahren womöglich auch viele Millionen Euro an Zuweisungen von Bund und Land, deren Höhe häufig an die Einwohnerzahl gekoppelt ist.

Die Stadt Halle kann sich die neuen Zahlen nicht erklären

Halle ist nicht die einzige Großstadt, die im Rahmen des neuen Zensus einen Bevölkerungsschwund erfahren hat. Auch Städte wie Köln (-5,9 Prozent) und Berlin (-3,5 Prozent) sind betroffen. Insgesamt leben in Deutschland rund 1,4 Millionen Menschen weniger als bislang angenommen. In Sachsen-Anhalt liegt die Diskrepanz zwischen den alten und den neuen Zahlen bei rund 40.000 Menschen oder 1,8 Prozent.

Mit einem Minus von 6,1 Prozent ist der Rückgang in Halle aber besonders stark. Weil die Stadt sich die neuen Zahlen nicht erklären kann, will sie sich wehren und laut Angaben eines Pressesprechers bei einer Anhörung im Herbst ihre Argumente für eine Korrektur ins Feld führen. Dabei gibt es zumindest einige Indizien, warum Halle so viele Einwohnerinnen und Einwohner verloren hat.

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Die mittlerweile veraltete Bevölkerungszahl basiert auf der Fortschreibung des Zensus 2011, also auf Daten, die mehr als zehn Jahre alt sind. Demnach lebten 2022 rund 241.000 Menschen in Halle. Die Stadt selbst sprach in ihrem statistischen Jahrbuch sogar von 244.099 Menschen – so viele waren zum Jahresende 2022 mit Hauptwohnsitz in Halle gemeldet. Also 17.513 Einwohnerinnen und Einwohner mehr, als der neue Zensus nun ermittelt hat.

Das Problem an der Zahl der Stadt: Viele Angaben in den Melderegistern dürften veraltet gewesen sein, nicht nur in Halle, sondern auch anderswo in Deutschland. Seit der letzten Volkszählung im Jahr 2011 hatten sich viele sogenannte "Karteileichen" und "Fehlbestände" angesammelt: Als Karteileichen gelten Personen, die zwar noch im Register geführt sind, aber längst umgezogen oder verstorben sind. Als Fehlbestand bezeichnet man all jene, die unter einer Anschrift leben, dort aber nicht gemeldet sind.

Viele Studierende waren womöglich Karteileichen

Als die Interviews für den Zensus 2022 stattfanden, steckte Deutschland noch mitten in der Pandemie – was laut einer Sprecherin des Statistischen Landesamts Sachsen-Anhalt zu "Bevölkerungsbewegungen in lokal unterschiedlichem Ausmaß" führte. Viele universitäre Lehrveranstaltungen fanden beispielsweise online statt. Studierende waren womöglich zwar in Halle gemeldet, saßen jedoch in ihrem Heimatdorf vor dem Rechner – sogenannte Karteileichen.

Weil in den Wohnheimen eine Vollerhebung stattfand, die Zensus-Beauftragten also (im Gegensatz zu normalen Wohnhäusern) jede einzelne Unterkunft untersuchten, könnten viele Studierende, die eigentlich in Halle wohnen, durch das Raster gefallen sein. Allein in der Altersgruppe der 19- bis 24-Jährigen liegt die Differenz zwischen den Zahlen aus dem halleschen Melderegister (20.696) und den Zensus-Ergebnissen (19.074) bei mehr als 1.600 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Bislang ging man in Sachsen-Anhalt von rund 150.000 Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft aus. Dem Zensus zufolge sind es jedoch nur rund 124.000. Von den 40.000 verschwundenen Einwohnerinnen und Einwohnern Sachsen-Anhalts sind also zwei Drittel ausländischer Herkunft. Viele von ihnen dürften in ihr Heimatland zurückgezogen sein, ohne sich bei den Behörden abzumelden.

Rund 8.000 Ausländerinnen und Ausländer weniger als gedacht

Weil der Ausländeranteil in Halle höher ist als im Umland, ist die Stadt davon besonders betroffen. 2022 waren nach Angaben der Stadt 33.272 Ausländerinnen und Ausländer in Halle gemeldet. Laut Zensus lag die tatsächliche ausländische Bevölkerung jedoch nur bei 25.381. Rund die Hälfte der Diskrepanz zwischen den alten und den neuen Zahlen lässt sich also auf die fehlenden Ausländerinnen und Ausländer zurückführen.

Weiterhin unklar ist jedoch, warum die Zensus-Ergebnisse für Halle und Magdeburg so unterschiedlich ausfallen. Beide Städte haben einen ähnlich hohen Ausländeranteil, eine ähnlich große Universität und – zumindest bis vor einigen Tagen – fast identische Bevölkerungszahlen. Nun hat Magdeburg plötzlich 15.000 Einwohnerinnen und Einwohner mehr als Halle.

Sowohl das Statistische Bundesamt als auch das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt verweisen auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie die Zuwanderung durch die Kriege in Syrien und der Ukraine. Bei einem Zensus komme es aufgrund von Lücken in den Melderegistern "regelmäßig zu regional unterschiedlichen Anpassungsbedarfen". Darüber hinaus wolle man sich jedoch nicht zu Ergebnissen für konkrete Gemeinden äußern.

Nach einer Anhörung der Kommunen im Herbst soll ab 2025 die amtliche Festlegung der Einwohnerzahlen erfolgen. Danach kann die Stadt Halle entscheiden, ob sie gegen die Ergebnisse des Zensus klagen will.

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MDR (David Wünschel)

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