Carsten Schneider
Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung sieht eine große Chance in dem neuen Zukunftszentrum in Halle. Bildrechte: Bundesfoto / Bernd Lammel

Wiedervereinigung Wer braucht das Zukunftszentrum Deutsche Einheit wirklich?

03. Oktober 2024, 03:02 Uhr

Anders als die Berliner "Einheitswippe" oder das Leipziger Einheits- und Freiheitsdenkmal kommt das "Zukunftszentrum Deutsche Einheit" in Halle relativ zügig voran. Wichtige Weichen wurden jetzt gestellt. Es solle nicht nur um "deutsch-deutsches Händchenhalten" gehen, sagt der Ostbeauftragte Carsten Schneider. Aber die Akzeptanz in der Bevölkerung bleibt offenbar gering.

Auf den ersten Blick scheint das "Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation", dessen Einrichtung im März 2022 vom Bundestag beschlossen wurde, auf einem gutem und unumkehrbaren Weg zu sein.

Mitte September dieses Jahres hat das Bundesfinanzministerium die ersten Gelder aus dem Bundeshaushalt freigegeben und eine Trägergesellschaft für den in Halle geplanten Bau gegründet. Vorläufiger Geschäftsführer ist Michael Marten, der schon im Bundeskanzleramt das entsprechende Referat leitete.

Gelder fließen, erste Mitarbeiter eingestellt

"Das ist ein echtes Start-Up, das zum Begriff Zukunftszentrum passt", lobt Marten den konkreten Beginn. Zunächst fließen 3,1 Millionen Euro, im kommenden Jahr die doppelte Summe. Ein Aufbaustab wurde gegründet, Büros angemietet, die ersten von 200 geplanten Mitarbeitern eingestellt. Marten hoffe "auf Arbeitsfähigkeit zum Ende dieses Jahres."

In dieser Woche befindet zudem eine Jury erstmals über die Auswahl von 25 Architekturbüros, die aus der fünffachen Zahl von Bewerbungen ausgewählt wurden. Die Büros sollen bis zum Frühjahr konkrete Entwürfe vorlegen.

Blick auf den Riebeckplatz im Zentrum von Halle/Saale (Sachsen-Anhalt)
Ein zentraler Knotenpunkt: Halles Riebeckplatz. Bildrechte: picture alliance / ZB | Hendrik Schmidt

Mindestens 200 Millionen Euro stehen für einen repräsentativen Bau am Verkehrsknoten Riebeckplatz in Halle zur Verfügung. "Allein schon das spektakuläre Gebäude muss ein Grund sein hierherzukommen", formuliert Geschäftsführer Marten den Anspruch.

Allein schon das spektakuläre Gebäude muss ein Grund sein hierherzukommen.

Michael Marten

Sachsen-Anhalt legt Förderung für den Bauplatz auf Eis

Nach der geplanten Fertigstellung im Jahr 2030 sollen die laufenden Kosten für Unterhalt und Betrieb des Zentrums jährlich auf enorme 42,5 Millionen Euro anwachsen.

Getrübt wird die Einheit beim Einheitszentrum durch das Land Sachsen-Anhalt: Die zugesagten 29 Millionen Fördermittel für den Umbau des Halleschen Riebeckplatzes sind nämlich erst einmal aus der Haushaltplanung gestrichen.

Egbert Geier vor der Marktkirche in Halle
Ist verärgert über die gestrichenen Landesmittel: Halles Bürgermeister eier. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Hendrik Schmidt

Die Stadt Halle und ihr Bürgermeister Egbert Geier (SPD) geben sich trotzdem zuversichtlich. Die Stadt gehe davon aus, "dass das Land bei seiner Zusage bleibt" und reiche "im Herbst ihre Förderanträge wie verabredet ein", wie das Rathaus Mitte September verkündete. Mit dem Bewerbungserfolg im Februar 2023 war vor allem die typisch ostdeutsche Hoffnung auf einen lokalen Fördereffekt verbunden.

Öffentliche Kritik ist kaum zu vernehmen

Trotz geteilter Erfahrungen seit 1990 hielt sich die Kritik am vorläufigen Konzept des Zukunftszentrums bislang zurück. Stimmen wie die der Linken-Fraktionsvorsitzenden Eva von Angern im Magdeburger Landtag vernimmt man kaum öffentlich. "Wir brauchen keine weitere Ausstellung über die bleierne Ära von Kanzler Kohl, die viele Wunden gerade in Ostdeutschland hinterlassen hat", sagt sie bei MDR KULTUR und fordert stattdessen eine "fundierte Auseinandersetzung über die anhaltend ungleichen Lebensverhältnisse".

Eva von Angern
Linken-Fraktionsvorsitzende Eva von Angern sieht wenig Mehrwert in dem Großprojekt. Bildrechte: IMAGO / Christian Schroedter

Europa und offensive deutsche Vereinigungsaufarbeitung

Die Arbeit des Zukunftszentrums soll sich im Dreieck von Kultur, Wissenschaft und Dialog bewegen. Gegen kulturellen Austausch besonders mit osteuropäischen Nachbarn wird niemand etwas einwenden.

Infragestellen kann man hingegen, dass die vergleichende Transformationsforschung über ehemalige Ostblockländer auch noch an diesem Ort betrieben werden muss. Schließlich beschäftigen sich bereits 140 Lehrstühle in der Bundesrepublik mit dem Thema.

Carsten Schneider
Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, sieht im Zukunftszentrum eine Chance, die "Leute aus scheinbaren Sicherheiten und Urteilen herauszuholen." Bildrechte: Bundesfoto / Bernd Lammel

Der Blick soll sich auf jeden Fall über die Grenzen des vereinigten Deutschlands hinaus richten, betont der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider. "Es wäre ein Missverständnis, wenn man das Zentrum nur für eine deutsch-deutsche Bespielung hielte. Es geht nicht um Händchenhalten", so betont Schneider den europäischen Kontext.

Mit Blick auf den vorgesehenen Bürgerdialog nach radikaler Ehrlichkeit bei der Aufarbeitung des deutschen Vereinigungsprozesses befragt, antwortet Schneider ebenso radikal: "Wir brauchen hier keine Anstalt politischer Reinheit. Im Gegenteil, es darf ein bisschen räudig und unkonform sein." Schneider will durchaus auch Raum für Provokation bieten, um Leute aus scheinbaren Sicherheiten und Urteilen herauszuholen.

Es darf ein bisschen räudig und unkonform sein.

Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung

Hallenser erwarten wenig vom "Zukunftszentrum"

Wie stehen die Hallenser zum neuen Projekt im Herzen der Stadt? Ein Drittel der Befragten am Riebeckplatz hat noch nichts vom Projekt gehört. "Was für eine Einheit?", lacht eine größere Gruppe mittleren Alters auf. "Solange die Treuhand nicht aufgearbeitet ist, solange es sozial, bei Löhnen, Renten und in der Wirtschaft noch keine Angleichung gibt, brauchen wir nicht von Einheit zu reden. Das war eine Übernahme!"

Die ältere Generation über 70 Jahre erwarte irgendwann bei ihren Kindern und Enkeln eine Art Einheit. Ein junges Pärchen möchte "das Geld erst einmal in andere Dinge" investiert sehen und meint, "die Jugend hat andere Probleme". Auch in den User-Kommentaren auf mdr.de dominierte im Vorjahr die Frage, wer ein so teures "Zukunftszentrum Deutsche Einheit" wirklich brauche.

Redaktionelle Bearbeitung: tis

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 03. Oktober 2024 | 07:40 Uhr

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