Anreise und Übernachtung der Nebenkläger Kritik: Betroffene im Halle-Prozess fürchten auf Reisekosten sitzen zu bleiben

14. September 2020, 14:24 Uhr

Den Prozess gegen den Attentäter von Halle in Magdeburg persönlich zu verfolgen, ist vielen Nebenklägerinnen und Nebenklägern wichtig. Einerseits ist es ihr besonderes Recht, andererseits hilft es, das erlebte Trauma zu verarbeiten. Die Kosten für Anreise und Übernachtung müssen sie jedoch zum Großteil selbst tragen. Deshalb steht die pauschale Reisekostenbeihilfe in der Kritik.

Marie-Kristin Landes
Bildrechte: MDR/Martin Neuhoff

Halle, Berlin, Hamburg, Paris – jede Woche nehmen Nebenklägerinnen und Nebenkläger weite Wege in Kauf, um beim Prozess gegen den Attentäter von Halle dabei zu sein. Manche haben noch keinen einzigen Verhandlungstag verpasst. Ein Prozess von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung, bei dem es nicht nur um die Aufklärung der Tat und die Verurteilung geht. "Er stellt natürlich einen wichtigen Schritt in der Verarbeitung des Geschehens für die Nebenklägerinnen und Nebenkläger dar. Sie haben sich dazu entschieden, aktive Prozessbeteiligte zu sein," erklärt Rechtsanwältin Dr. Kati Lang. Traumaverarbeitung durch Teilhabe – genau hieran entspannt sich Kritik. Oder anders gesagt: Ist es angemessen, dass in einem Land wie Deutschland, die Opfer eines antisemistischen und rechtsterroristischen Anschlags die Reisekosten zum Prozess überwiegend selbst tragen müssen?

Teilhabe versus Geld

Die Dresdner Rechtsanwältin vertritt drei Frauen, die am 9. Oktober 2019 in der Synagoge waren, um Jom Kippur zu feiern. Eine von ihnen ist Christina Feist. Vor knapp zwei Wochen kritisierte sie am Ende ihrer Zeugenaussage: "Ich habe unglaubliche Angst, dass wir schon wieder nicht gehört werden." Fest mache sie das an der Aktivität der Politikerinnen und Politiker in der Regierung, aber auch im Verlauf des Prozesses, wie sie behandelt werden. Unter anderem verweist sie auf die Reisekostenbeihilfe des Bundesjustizministeriums.

Die Reisekostenbeihilfe ist eine einmalige pauschale Zahlung. Nebenklägerinnen und Nebenkläger können sie beantragen und frei für Fahrt- oder Übernachtungskosten verwenden. Berechnet wird diese auf Grundlage der einfachen Entfernung des Wohnsitzes zum Verhandlungsort, hier: dem Landgericht in Magdeburg. Für eine Anreise unter 150 Kilometern erhalten Nebenklägerinnen und Nebenkläger 300 Euro, ab 150 Kilometer 600 Euro und für Anreisen aus dem Ausland 1.200 Euro.

Herruntergerechnet auf die ursprünglich angesetzten 18 Verhandlungstage und tatsächlichen Reisekosten, ist das wenig. Bei einer Anreise mit dem Zug aus Berlin ohne Ermäßigung und Hotelpreisen von 60 bis 70 Euro pro Nacht, sind gerade einmal sechs Verhandlungstage möglich. Wer an mehr teilnehmen möchte, muss selbst zahlen. Egal, welchen sozialen Hintergrund die Nebenklägerinnen und Nebenkläger haben, ob sie auf Grund des erlebten Traumas mehrere Wochen oder Monate nicht arbeiten konnten, ob sie den Prozess brauchen, um abzuschließen oder die anderen bei ihren Aussagen unterstützen wollen. Nicht alle möchten so aktiv Teil des Prozesses sein, aber eben einige. "Das Problem an dieser pauschalen Beihilfe ist: Sie drängt die Betroffenen in so eine Bittstellerposition und nimmt ihnen diese Selbststärkung", sagt Rechtsanwältin Dr. Kati Lang.

Sie drängt Betroffene in eine Bittstellerposition.

Rechtsanwältin Dr. Kati Lang zur Reisekostenbeihilfe

Fehlkonstruktion im Gesetz

Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT betont des Ministerium, um "bei der Bewältigung des erlittenen Unrechts zu helfen, ist es ein besonderes Anliegen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, ihnen die Teilnahme am Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg zu ermöglichen." Gleichzeitig schreibt es, dass die Reisekostenbeihilfe ermöglichen soll, "an zentralen Meilensteinen des Prozesses teilzunehmen". Dazu zählen der Prozessbeginn, das Plädoyer der Nebenklagevertreterin oder des Nebenklagevertreters und die Urteilsverkündung.

"Es muss den Betroffenen obliegen, zu definieren, was für sie bedeutende Meilensteine des Prozesses sind," widerspricht die Rechtsanwältin Dr. Kati Lang. Sie macht deutlich, dass ihre Mandantinnen natürlich dankbar für die Unterstützung sind. Die Reisekostenbeihilfe, wie sie jetzt gerade ist, aber eine Fehlkonstruktion im Gesetz sei.

Kritik, die der Opferbeauftragte des Bundes, Prof. Edgar Franke, einräumt. "Wir müssen in Zukunft garantieren, dass Reisebeihilfen auskömmlich finanziert werden. Gerade für die Zeugen, die einen längeren Weg haben und die auch ein oder zwei Tage mehr hier am Prozess teilnehmen wollen. Weil dieser Prozess ein historischer Prozess ist", erklärt er am Rande der vergangenen Verhandlungswoche. Doch sei es positiv, dass es die Reisekostenbeihilfe jetzt überhaupt gibt.

Dass sich für diesen Prozess noch etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich. Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, ob das Ministerium auf Grund der einmonatigen Verlängerung des Prozesses plane, die finanzielle Unterstützung noch einmal anzupassen, heißt es: "Die Länge des Prozesses und die Häufigkeit der Teilnahme an dem Prozess ist für die Höhe der Beihilfe ohne Auswirkung."

Marie-Kristin Landes
Bildrechte: MDR/Martin Neuhoff

Über die Autorin Marie-Kristin Landes ist in Dessau-Roßlau geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur zog es sie für ein Politikstudium erst nach Dresden, dann für den Master Journalistik nach Leipzig. Praktische Erfahrungen sammelte sie bei der Sächsischen Zeitung, dem ZDF-Auslandsstudio Wien und als freie Mitarbeiterin für das Onlineradio detektor.fm. Nach ihrem Volontariat beim Mitteldeutschen Rundfunk arbeitet sie jetzt vor allem für MDR Kultur und das Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt. Wenn sie nicht gerade für den MDR unterwegs ist, ist sie am liebsten einfach draußen. Zwischen Meer oder Berge kann sie sich dabei genauso wenig wie zwischen Hund oder Katze entscheiden.

Quelle: MDR/mkl

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 13. September 2020 | 19:00 Uhr

4 Kommentare

husar am 14.09.2020

Hotelkosten sind zu hoch, vor kurzem wurde hier verkündet, das Jugendherbergen um das wirtschaftliche Überleben kämpfen und jeden Gast mit Handschlag begrüßen, wenn man wollte, könnte man also billiger übernachten.

Harka2 am 14.09.2020

Hier bedarf das deutsche Recht dringender Nachbesserungen, denn sonst wird es zum Recht für Reiche, die es sich leisten können anwesend zu sein.

Goldloeckchen am 14.09.2020

Bei privaten Vergnügen 🤷‍♀️
Sie können sich ja vorladen lassen, dann bekommen sie auch Reisekosten ☝️

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