Hochwasser in Mansfeld-Südharz"Es hört gar nicht auf": Oberröblingen und die Sorge vor dem DeichbruchVon Maximilian Fürstenberg und Luca Deutschländer, MDR SACHSEN-ANHALT
Seit Weihnachten kämpfen im Kreis Mansfeld-Südharz Hunderte Einsatzkräfte gegen das Hochwasser an der Helme. Ihr Schwerpunkt ist seit einigen Tagen Oberröblingen. In dem Ort bei Sangerhausen ist der Ausnahmezustand spürbar – wie auch die Sorge der Anwohner. Eine Reportage zwischen Hoffnungsschimmern und Hoffnungslosigkeit.
- In Oberröblingen versuchen Hunderte Einsatzkräfte seit Tagen, das Hochwasser an der Helme zurückzuhalten und Deiche zu stabilisieren.
- In dem kleinen Ort bei Sangerhausen herrscht Ausnahmezustand. Trotzdem haben viele Menschen vor Ort ihre Aufgeschlossenheit nicht verloren.
- Anwohner wie Peter Schlennstedt bangen und hoffen – und helfen den Helfern.
Manchmal sind die Momente der Hoffnung nur ganz kurz. Es ist Mittwoch, später Vormittag, und der beißende Wind über Sangerhausen nimmt sich eine kurze Auszeit. Am Himmel erscheint ein bunter Regenbogen. Wunderschön und nur wenige Minuten zu sehen. Dann pfeift es wieder. Willkommen in der Realität. Zwei Autominuten entfernt: Oberröblingen, ein Stadtteil von Sangerhausen. Knapp 1.500 Menschen leben hier. Und es gibt eines, das vermutlich alle von ihnen eint: Es ist die Sorge. Die Sorge davor, dass der Deich bricht.
"Dann ist hier Atomschlag", sagt ein Anwohner hinter vorgehaltener Hand.
Ein paar Meter weiter, am Mühlgraben. Wenn nicht gerade Hochwasser ist, schlängelt sich das wenige Wasser im Graben vorbei an idyllischen Grundstücken, auf denen Ziegen grasen oder Hühner picken. Seit Weihnachten ist alles anders. "Da war der Graben bis oben hin voll", sagt Peter Schlennstedt und schaut über sein Grundstück, das in diesen Tagen eher anmutet wie eine Seenlandschaft. "Es wird jeden Tag schlimmer", sagt der Mann im karierten Baumwollhemd. "Wir sehen kein Fortkommen." 100 Meter entfernt ist die übervolle Helme von seinem Grundstück. "Wenn der Damm bricht, wird es für uns alle gefährlich."
Es wird jeden Tag schlimmer. [...] Wenn der Damm bricht, wird es für uns alle gefährlich.
Peter Schlennstedt | Anwohner in Oberröblingen
Also haben Schlennstedt und seine Familie vorgesorgt: Das Sofa, die Tische und Stühle im Erdgeschoss: nach oben geräumt. Die Elektrogeräte: aufgebockt auf Holzklötze. Wenige Stunden zuvor hat er seine Hühner evakuiert. Die picken jetzt auf der Wiese nebenan. Das Grundwasser hatte nach oben gedrückt. "Es hört gar nicht auf", sagt Peter Schlennstedt und bezeichnet sich in seiner Familie noch als den Optimisten. Mehr als 30 Jahre leben sie hier. Sowas wie aktuell – haben sie noch nicht erlebt, sagt er.
Oberröblingen und die Suche nach dem Optimismus
Es braucht in Oberröblingen gerade eine gute Portion Optimismus. Und Hilfe. Und die kommt von überall. Ein paar Meter die Straße hoch liegen robuste Schläuche auf dem Kopfsteinpflaster, laut brummende Pumpen verrichten ihren Dienst. Neben ihnen steht Hans-Joachim Odenbach vom Technischen Hilfswerk (THW). Am Morgen sind er und seine zehn Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus Halberstadt angerückt, wenige Tage zuvor waren sie noch im Hochwasser-Gebiet im niedersächsischen Hodenhagen. Ihre neue Mission: den Wasserstand im Mühlgraben senken.
Immer und immer wieder. "Heute Morgen waren wir schon mal bei 20 Zentimetern", sagt der Mann vom THW. "Jetzt sind es schon wieder fast 40. Das Wasser drückt vom Feld rüber." 5.000 Liter pro Minute schafft eine der Pumpen, erzählt Odenbach. Doch schnelle Linderung bringt selbst das nicht.
Also pumpen sie weiter. Hier am Mühlgraben, drüben an der Helmebrücke. Ausgang offen.
Unterdessen rollt ein Laster nach dem anderen in den Ort, auf der Ladefläche: Sandsäcke. Zwischendurch kreisen Hubschrauber am Himmel. Selbst vor eigentlich weit von der Helme entfernten Wohnhäusern sind Sandsäcke vor den Haustüren gestapelt. Es herrscht Ausnahmezustand. Und trotzdem, die Menschen im Landkreis scheint in diesen Tagen eines zu verbinden: es ist das Gefühl, die Situation nur zusammen meistern zu können – und die Aufgeschlossenheit gegenüber all denen, die jetzt vorbeikommen. Zum Helfen, zum Berichten. Das ist in Oberröblingen so. Und es ist so im Katastrophenschutzstab des Landkreises. Wer dort dieser Tage als Pressevertreter anruft, bekommt Auskunft. Freundlich und zugewandt, trotz allem. Rund um die Uhr.
Gemeinschaftsgefühl und Hilfsbereitschaft
Seit Tagen posten die Feuerwehren in Mansfeld-Südharz Aufrufe zum Helfen. Gebraucht werden Menschen, die anpacken, Handschuhe mitbringen und Gummistiefel. Das Echo ist jedes Mal groß.
Uwe Beyer kann dieses Gemeinschaftsgefühl bestätigen. Seit rund zehn Jahren lebt er in Oberröblingen. Auch er hat in den vergangenen Tagen angepackt, Sandsäcke befüllt und gestapelt. "Wenn so viele Menschen zum Helfen da sind, fällt es auch nicht schwer, selbst mitzuhelfen", sagt er. Die Hilfsbereitschaft von allen Seiten? Findet er beeindruckend.
Zurück im Garten von Peter Schlennstedt. Die Sonne scheint. Ein trügerisches Bild. Aber immerhin: kein neues Wasser von oben. "Jeder Regentropfen hier ist zu viel", sagt er und schreitet in seinen grünen Gummistiefeln das Grundstück ab. "Viel mehr können wir gerade nicht tun." Mit einer Ausnahme: Es ist die Hilfe für die Helfer. Egal, wen man spricht an diesem Tag: Alle Einsatzkräfte schwärmen. Sie erzählen, dass sie die Toiletten der Anwohner nutzen dürfen, mit Stullen versorgt werden und mit Kaffee.
Vor wenigen Tagen hat Peter Schlennstedts Frau bei einem Fast-Food-Riesen nebenan angerufen: ob der nicht ein paar Burger für die Helfer spendieren würde. Kurze Zeit später verteilten sie und ihr Mann, zwischen Sandsäcken und Wasserlandschaften, 100 Gratis-Burger.
Hochwasser: Kanzler Scholz reist nach Oberröblingen
Klar ist: Dieser Einsatz wird noch dauern. Mindestens Tage, eher Wochen. Für Donnerstag hat sich in Oberröblingen neuer Besuch angekündigt: Ministerpräsident Haseloff wird erwartet. An seiner Seite: Bundeskanzler Scholz. Wenige Tage darauf kommt die Bundeswehr.
Die Lage ist ernst.
Über Maximilian FürstenbergMaximilian Fürstenberg arbeitet seit 2020 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Magdeburger arbeitete vor seinem Medienmanagementstudium im Offenen Kanal Magdeburg als FSJler und im Theaterjugendclub des Theater Magdeburg als Leiter der Kindertheatergruppe.
Anschließend an sein Bachelorstudium machte er ein Praktikum bei MDR SACHSEN in der Online- und Fernsehredaktion, bevor er in Erfurt im Master Kinder- und Jugendmedien studierte. Wenn er nicht im Landesfunkhaus unterwegs ist, arbeitet er im Bereich Medienbildung. Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind Naumburg, der Elberadweg und der Wörlitzer Park.
Über Luca DeutschländerLuca Deutschländer leitet kommissarisch die Redaktion Digitale Information von MDR SACHSEN-ANHALT. Zuvor hat er als Chef vom Dienst fürs Digitale gearbeitet, Nachrichten im Hörfunk präsentiert und als Reporter unter anderem über die Landtagswahlen 2016 und 2021 berichtet. Seine Themen sind vor allem gesellschaftspolitisch und kulturell: Sie handeln von politischem Engagement im ländlichen Raum oder der Frage, was eine Gesellschaft braucht, um zusammenzuwachsen.
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MDR (Maximilian Fürstenberg, Luca Deutschländer) | Erstmals veröffentlicht am 03.01.2024
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 04. Januar 2024 | 06:00 Uhr
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