Dürftige Beweise und ein fliegender Aktenordner Teutschenthaler Erzieherin gewinnt vor Arbeitsgericht
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Die Kündigung einer Erzieherin aus Teutschenthal wegen Alkoholvorwürfen war nicht rechtmäßig. Das hat das Arbeitsgericht Halle MDR Sachsen-Anhalt mitgeteilt. Das Urteil war erst nach dem Verhandlungstag gefällt worden. Darin heißt es, weder durch die außerordentliche noch die ordentliche Kündigung sei das Arbeitsverhältnis beendet worden, vielmehr bestünde es unverändert fort.
Der Erzieherin durfte also nicht gekündigt werden, sie muss weiter beschäftigt werden. Zur Urteilsbegründung sagte ein Sprecher, die Gemeinde Teutschenthal habe die Kündigungsgründe "unsubstanziert" dargelegt. Die Beweise würden nicht ausreichen – alles begründe sich auf Hörensagen. Die Kündigung sei also sozial nicht gerechtfertigt.
Die Gemeinde wirft der jungen Erzieherin zwei Dinge vor, die zur Kündigung geführt haben: Einerseits soll sie wiederholt in der Mittagspause – mit anderen Kolleginnen – Alkohol getrunken und dadurch ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Andererseits soll sie in einer Stresssituation ein Kind mit Wasser übergossen haben – also eine Kindeswohlgefährdung. Diesen Sachverhalt hat sie Monate vor den Alkohol-Vorwürfen bei einem Personalgespräch, um das sie bat, selbst angezeigt – ohne weitere Folgen.
Die Klägerin selbst war vor Gericht nicht erschienen, sie ließ sich von einem Anwalt vertreten. Die Gemeinde Teutschenthal saß auf der Beklagtenseite mit einem Anwalt und der stellvertretenden Bürgermeisterin Teresa Kübler. Diese erfragte zum sichtbaren Erstaunen des Gerichts und dem Anwalt der Klägerin immer wieder Details zu ihren Ausführungen bei zwei Gemeindemitarbeitenden, die im Publikumsbereich des Gerichtssaals Platz genommen hatten.
Richter rügt Vertreter Teutschenthals
Der Vorsitzende Richter machte während des Prozesses deutlich, dass die Vorwürfe schwer wögen und sagte direkt an die Presse im Saal gerichtet: "Wenn die Vorwürfe konkretisierbar wären, wäre auch die Kündigung in Ordnung". Dass er sich mit diesen erklärenden Worten an die Pressevertretenden wandte, lag am turbulenten Prozessgeschehen. Der Richter rügte die Vertreter Teutschenthals mehrfach, dass diese zu zögerlich und unpräzise antworteten.
Der Anwalt der Gemeinde Teutschenthal verwies immer wieder auf eine verspätete Schriftsatzerwiderung des Anwalts der klagenden Erzieherin. Der Richter erwiderte, dass dies für die Verhandlung zunächst unerheblich sei, vielmehr müsse die Gemeinde Beweise für die Vorwürfe gegen die Erzieherin vorlegen.
Verhandlung mehrmals unterbrochen
Gleich zwei Mal unterbrach der Vorsitzende die Verhandlung und ermöglichte der Gemeinde, weitere Beweise zu beschaffen. Das Ergebnis der zweiten Unterbrechung: Bei Geburtstagen und Einständen sei Alkohol in der Mittagspause getrunken worden. Der Umfang: ein bis zwei Gläser Sekt und der ein oder andere Klopfer. Bei einem Mittagessen, das die Einrichtungsleiterin ausgegeben habe, hätte diese zwei Flaschen Wein auf den Tisch gestellt. Überdies sei in einem Fall mit Eierlikör und Kräuterlikör übergossenes Eis gegessen worden.
Über die genaue Menge, die die Klägerin konsumiert haben soll, konnten keine Angaben gemacht werden. Dieses Detail empfanden die Vertreter Teutschenthals als "unerheblich", da es schließlich eine Dienstanordnung gäbe, wonach am Arbeitsplatz überhaupt kein Alkohol getrunken werden dürfe.
Die Ausführungen der Gemeinde bezeichnete der Vorsitzende im Anschluss als "weit weg davon, jemanden zu kündigen". Er verwies auf den Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" und kritisierte, alle angeführten Details und Beweise gründeten auf "Hörensagen". Nach dieser Lesart würden die Begründungen der Gemeinde also nicht ausreichen, der Erzieherin zu kündigen. Dies wiederum würde für die Frau sprechen, die ja gegen ihre Kündigung geklagt hatte.
Anwalt wirft mit Aktenordner
Der Anwalt der Gemeinde betonte, dass seiner Meinung nach genügend Beweise vorlägen und rief in Richtung des Vorsitzenden: "Die Art Ihrer Verhandlungsführung ist unzumutbar". Anschließend warf er einen Aktenordner nach dem Anwalt der Klägerin. Dieser sagte danach im MDR-Interview: "Das ist ein Vorgang, der in 20 Jahren meiner Anwaltstätigkeit noch nicht vorgekommen ist". Er könne nicht verstehen, warum der Kollege sich so persönlich angegangen fühlte.
Teutschenthal muss Gerichtskosten tragen
Der Fall um die sechs wegen Alkoholvorwürfen suspendierten Erzieherinnen von Teutschenthal hatte im Juni vergangenen Jahres für Schlagzeilen gesorgt. Letztendlich war nur eine der Frauen vor Arbeitsgericht gezogen und hat gewonnen.
Mit dem Urteil ist auch klar, dass die Gemeinde die Gerichtskosten zu tragen hat. Die Kosten für die anwaltliche Vertretung hat jede Partei bei Klagen vor dem Arbeitsgericht in erster Instanz selbst zu tragen.
MDR
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | MDR SACHSEN-ANHALT | 17. Januar 2022 | 19:00 Uhr
MDR-Team vor 17 Wochen
Unsere Überschriften werden in der Regel gemeinsam mit den ersten Worten des Textes angezeigt, in denen deutlich wird, dass es sich um Vorwürfe handelt. Zudem gehen wir davon aus, dass Nutzerinnen und Nutzer über die Überschrift hinaus lesen. Wir nehmen Ihre Anmerkung dennoch an und werten die Überschrift aus dem vergangenen Jahr intern nochmal aus.
Sachsin vor 17 Wochen
Sachen gibt's die Außenstehende nicht für möglich gehalten hätten. Ich finde es gut das nicht nur Amtsschimmel bemüht werden sondern auch vor Gericht mit Emotionen persönliche Reaktion gezeigt wird.
Nordharzer vor 17 Wochen
Ich erinnere hier mal an die reißerische Überschrift des MDR vom Juni 21: "Sechs Frauen kommen betrunken zur Arbeit". Ist das sachlich-neutraler Journalismus?Das ist Vorverurteilung! Es ist in vielen Betrieben und Behörden nicht unüblich, zu bestimmten Anlässen mit Alkohol anzustoßen. Auch bin ich mir ziemlich sicher, dass es zum Alkoholverbot einer Dienstvereinbarung mit dem Personalrat bedarf und nicht nur einer Anordnung der Behördenleitung.