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Distanzen überbrückenWie ein Iraner in Merseburg die Proteste gegen das Mullah-Regime erlebt

12. November 2022, 17:57 Uhr

Seit Wochen protestieren Zehntausende im Iran landesweit gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem. Der gebürtige Iraner Rasoul Pourmoradi verfolgt die Ereignisse von Merseburg aus. Er sagt, die Frauenbewegung im Iran mache ihn stolz.

Seit 2015 lebt Rasoul Pourmoradi in Merseburg, seit einiger Zeit betreibt er dort ein Tattoo- und Fotoatelier. Derzeit bereitet Pourmoradi eine Ausstellung vor, später am Tag wird er noch eine Hochzeit fotografieren. Die knappe Freizeit verbringt Pourmoradi fast ausschließlich am Telefon. Der Grund: Seine Frau und seine 12-jährige Tochter Artemis leben noch im Iran. Per Telefon versucht Pourmoradi die riesige Distanz etwas zu verringern. Deshalb macht er per Videochat Hausaufgaben mit seiner Tochter oder hört zu, wenn sie ihm stolz ihre Fortschritte auf dem Instrument vorspielt, das sie erlernt.

Kontakt in die Heimat ist schwierig

Doch momentan gibt es in den vielen Gesprächen auch mit Freunden und Verwandten im Iran nur ein Thema: Die Proteste von vor allem Frauen gegen das Mullah-Regime im Land. "Ich bin so stolz auf die Frauen im Iran. Natürlich ist es nicht einfach, aber ich habe Hoffnung auf Veränderungen", sagt Pourmoradi im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

Proteste im IranAuslöser der nun seit Mitte September anhaltenden Proteste im Iran ist der Tod der 22 Jahre alten Mahsa Amini. Sie war von der Sittenpolizei wegen eines Verstoßes gegen die strenge islamische Kleiderordnung festgenommen worden und am 16. September unter ungeklärten Umständen gestorben.

Die Demonstranten sprechen von Polizeigewalt, die Behörden weisen dies entschieden zurück. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit vor allem Frauen gegen den unterdrückenden Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.

Dabei ist es für Pourmoradi gar nicht so einfach, mit seinen Leuten in seiner alten Heimat in Kontakt zu bleiben. "Das Internet im Iran ist geschlossen." So bleiben nur kurze Gespräche spät am Abend, schnell erkundigt man sich, ob es dem Gesprächspartner gut geht, ob er oder sie unversehrt ist, bis das Telefonat wieder zusammenbricht, schildert Pourmoradi die aktuelle Situation.

Ein Land steht auf

Was die Proteste von Demonstrationen in der Vergangenheit unterscheidet, sei, dass diesmal die Menschen im ganzen Land auf die Straße gehen. "Egal ob im Westen, Süden, Norden oder Osten: In jeder Stadt gibt es Proteste." Von Deutschland aus versucht Pourmoradi die Menschen im Iran organisatorisch zu unterstützen und ihnen hier eine Stimme zu geben. Wichtig sei zu zeigen, dass man solidarisch mit den Menschen in seiner Heimat ist. Die Demonstration Ende Oktober in Berlin, als sich knapp vierzigtausend Menschen mit den Protesten im Iran solidarisiert haben, sei auch in seiner Heimat sehr positiv aufgenommen worden, sagt Pourmoradi.

Darüber hinaus bräuchten die Menschen vor Ort Medikamente. Immer wieder würden Demonstranten verletzt, könnten sich aber aus Furcht vor Verfolgung durch das Mullah-Regime nicht im Krankenhaus behandeln lassen. Schließlich werde das ganze Land überwacht. Auch Möglichkeiten die Internetsperren der Behörden durch VPN-Tunnel zum umgehen, könnte eine große Hilfe für die Menschen im Iran sein, meint Pourmoradi. Deutsche Firmen sollten die nötige Technik bereitstellen.

VPN-Tunnel

VPN-Tunnel (Virtual Private Network) schaffen eine geschützte Verbindung ins Ausland und können so iranische Zensurmaßnahmen aushebeln. Diese sind aber offiziell verboten. Allerdings umgehen viele Perser seit Jahren diese Verbote. Nach Angaben einer staatlichen Medienforschung benutzen alleine 40 bis 45 Millionen den im Iran verbotenen Chatdienst Telegram. Im Iran sind seit Jahren mehrere soziale Dienste wie Twitter, Facebook und Telegram gesperrt. Sie werden von den Hardlinern in der Justiz als illegal und unmoralisch eingestuft. Nach Einschätzung von Beobachtern haben die Verbote aber nicht nur moralische, sondern auch politische Gründe. Seit längerer Zeit werden Berichte, Bilder und Videos von regimekritischen Protesten in diesen Diensten gepostet. Gegen diese neue Form der digitalen Proteste waren die Polizei- und Sicherheitskräfte des Landes lange Zeit machtlos.

Im Iran hat Pourmoradi Regie studiert. Er musste das Land verlassen, weil er Filme über die Menschenrechtssituation im Iran gedreht hat. "Das war ein Problem für das Mullah-Regime", erzählt er. Nach konkreten Drohungen der Geheimpolizei hat er sich nicht mehr sicher gefühlt.

Weil die Mutter seiner Frau damals schwer krank war, konnte seine Familien ihn nicht begleiten. Sein größter Wunsch ist es, seine Tochter wiederzusehen. Sollte das Mullah-Regime gestürzt werden, besteht die große Chance, sie wieder in den Armen halten zu können. "Der Sieg ist mit uns, ich bin sicher. Nicht nur ich, wir sind uns alle sicher", glaubt auch deshalb Pourmoradi.

Ausstellung von Rasul Pourmeradi in NauendorfFotos von Rasul Pourmeradi sind ab 19. November im Sportzentrum Nauendorf im Saalekreis ausgestellt. Die Ausstellung trägt den Titel "Von New York nach Nauendorf – der iranische Fotograf und Filmemacher Rasoul Pormeradi stellt aus".

Die Ausstellung wird vom Landkreises Saalekreis und dem Seniorenvereins Nauendorf organisiert. Sie soll ein Beitrag zur Unterstützung des Kampfes der iranischen Frauen und Mädchen um Gleichberechtigung sein.

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MDR (Hannes Leonard), dpa

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. November 2022 | 10:00 Uhr