Pandemie-Politik Gesundheitsämter setzen Impfpflicht vorerst nicht durch
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Wenige Wochen vor Inkrafttreten der einrichtungsbezogenen Impfpflicht wachsen die Zweifel an der Umsetzbarkeit des Gesetzes. Bringen Beschäftigte des Gesundheitswesens bis Mitte März keinen entsprechenden Nachweis, droht ihnen ein Beschäftigungsverbot. Darüber müssen im Einzelfall die Gesundheitsämter vor Ort entscheiden, auch in Sachsen-Anhalt. Doch genau die sehen sich damit überfordert.

- Das Magdeburger Gesundheitsamt will für Ungeimpfte kein Beschäftigungsverbot aussprechen. Unter anderem dürfe die Gesundheitsversorgung nicht gefährdet werden.
- Auch in anderen Regionen Sachsen-Anhalts gibt es Zweifel an der Umsetzung – es werden klarere Regeln gefordert.
- Gesundheitsministerin Grimm-Benne sieht ebenfalls noch offene Fragen bei der Rechtssicherheit – und befürchtet keine Kündigungswelle im Gesundheitsbereich.
Der Magdeburger Amtsarzt Eike Hennig hat vor den Folgen einer Impfpflicht im Gesundheitswesen gewarnt. Hennig sagte MDR SACHSEN-ANHALT, er schätze die Zahl der ungeimpften Beschäftigten allein in der Landeshauptstadt auf 10 bis 15 Prozent. Das entspreche ungefähr 1.000 Personen. Fielen diese Mitarbeiter weg, würde die Gesundheitsversorgung erheblich leiden.
Mit Blick auf die Kapazitäten des Gesundheitsamtes erklärte der Leiter ferner, man werde die in der sogenannten einrichtungsbezogenen Impfpflicht geforderten Anhörungen und Entscheidungen nicht durchführen.
Wenn das Gesetz nun sagt, die Gesundheitsämter haben hier Verwaltungsvorgänge zu beginnen – Anhörungsverfahren, mit einem Bescheid zum Schluss – dann sage ich Ihnen: Das werden wir nicht tun. Das können wir auch nicht tun, weil wir diese Kapazitäten nicht haben.
Hennig sehe das entsprechende Gesetz für die Impfpflicht im Gesundheitswesen nicht als Verpflichtung, Gespräche mit jedem ungeimpften Mitarbeiter zu führen, geschweige denn, diese zu entlassen. Die Pflicht bestehe aktuell nur darin, an das Gesundheitsamt zu melden wer geimpft ist und wer nicht und mutmaßlich gefälschte Impfausweise zu melden. Zudem unterscheide das Gesetz nicht zwischen Mitarbeitern, die in Kontakt mit Patienten kommen und solchen, bei denen das nicht der Fall ist. Die Regelung müsse sehr viel klarer werden.
Blick ins Gesetz: So ist die Impfpflicht geregelt Die Einrichtungsbezogene Impfpflicht wird in § 20a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geregelt. Darin werden die betroffenen Unternehmen und Einrichtungen aufgelistet (Absatz 1). Demnach müssen Arbeitnehmer den Arbeitgebern vor dem 16. März einen Impf-, Genesenen- oder Unverträglichkeitsnachweis vorlegen. Geschieht dies nicht oder gilt es Zweifel am Nachweis, muss unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt informiert werden – personenbezogene Daten sind zu übermitteln. Laut Gesetz "kann" (Absatz 5) das Gesundheitsamt für betroffene Beschäftigte dann ein Betretungsverbot der Einrichtung oder ein Beschäftigungsverbot verfügen.
Auf einen Blick: Wo gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht?
Der Nachweis einer Impfung, Genesung oder Unverträglichkeit ist zu erbringen in Einrichtungen des Gesundheitswesens (unter anderem: Krankenhäuser, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Dialyseeinrichtungen, Tageskliniken, Entbindungseinrichtungen, Arztpraxen, Zahnarztpraxen sowie Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, ambulante Pflegedienste, Rettungsdienste). Details und Ausnahmen regelt das Infektionsschutzgesetz.
Landkreise und Städte pochen auf klarere Regeln
Klarere Vorgaben hatte zuletzt auch der Landkreistag in Sachsen-Anhalt gefordert. Der Spitzenverband plädierte für einen Ermessensspielraum, aber auch für Rechtssicherheit. Jeder Fall sei anders und im Zweifel müsse auch die "örtliche Versorgung mit gesundheitlichen und pflegerischen Leistungen" sichergestellt werden, so der Präsident des Landkreistages und Landrat des Altmarkkreises Salzwedel, Michael Ziche (CDU).
Ähnlich äußerte sich auch die Stadt Halle auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Ein Sprecher der Stadt teilte mit, man habe wegen weiterer Konkretisierungen des Infektionsschutzgesetzes bereits mit dem Land Kontakt aufgenommen. Dieses wolle die Kommunen am Donnerstag per Video-Schalte informieren, hieß es.
Die Stadt erwartet jedoch, dass der Bundesgesetzgeber und die Landesverwaltung die Kommunen bei der Umsetzung des § 20a rechtzeitig mit weiteren Konkretisierungen und Handlungsempfehlungen für die zu treffenden Ermessensentscheidungen unterstützt.
Der Landkreis Stendal teilte mit, die örtliche Versorgung mit gesundheitlichen und pflegerischen Leistungen stehe im Vordergrund. Der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), hatte bereits zuvor auf die Überlastung des Gesundheitsamts hingewiesen.
Grimm-Benne befürchtet keine Kündigungswelle
Derweil erwartet Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) wegen der anstehenden Impfpflicht keine Kündigungswelle in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Nachfragen bei den Arbeitsagenturen hätten bisher keinen Hinweis darauf gegeben. Anderslautende Ankündigungen bezeichnete die Ministerin als "eine gewisse Panikmache".
Bei den diesbezüglichen Wortmeldungen sei "sicherlich eine gewisse Panikmache" dabei. Gegner der Impfpflicht versuchen ihrer Meinung nach, damit das entsprechende Gesetz zu verhindern beziehungsweise dessen Vollzug herauszuzögern.
Große Unklarheiten bei Impfpflicht im Gesundheitswesen
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sorgt bundesweit politisch wie auch im Gesundheitswesen selbst für Diskussionen.
- So hat die Deutsche Stiftung Patientenschutz Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei der Regelung Versagen vorgeworfen. Das Gesetz ignoriere "die Vollzugsprobleme von Gesundheitsämtern, Ordnungsbehörden und Arbeitgebern", so Stiftungsvorstand Eugen Brysch.
- Lauterbach selbst stellte zuletzt klar, eine Aussetzung der Impfpflicht sei keine Option. Zur Klärung offener Fragen sei er derzeit noch im Gespräch mit den Ländern. Hier gehe es auch darum, wie "Personalausfälle" vermieden werden könnten.
- Der Deutsche Ethikrat kritisierte die Ankündigung einzelner Landräte, die Impfpflicht zu umgehen. Mitglied Andreas Lob-Hüdepohl bezeichnete diese Haltung als einen Skandal. Damit werde das Gesetz pervertiert.
- Der Deutsche Pflegerat sprach sich für eine pragmatische Umsetzung der ab Mitte März greifenden Regeln aus. Pflegeratspräsidentin Christine Vogler bekräftigte, dass vor Ort eine Risikoabwägung durch das Gesundheitsamt durchgeführt werden müsse. "Es bleibt ja nichts anderes übrig", so Vogler, die aber grundsätzlich Kritik am Gesetz äußerste. Impfschutz sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
- Kritik kam auch vom Bundesverband der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens. Vize-Vorsitzende Elke Bruns-Philipps sagte der "Rheinischen Post", eine Einzelfallprüfung bei fünf bis zehn Prozent der Beschäftigten sei durch die Gesundheitsämter nicht zu bewältigen.
dpa, KNA, AFP, MDR (Kevin Poweska, Dennis Blatt, André Plaul)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 02. Februar 2022 | 08:10 Uhr