IntegrationWie Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt einen Job finden können
Ein Teil von Integration ist es, dass Flüchtlinge eine Ausbildung oder Arbeit finden. Aber ohne Übergangsphase geht das nicht. Die Projektleiterin des Zentrums für Migration und Arbeitsmarkt erklärt, warum Migration ein Karrierebruch ist und wie Geflüchteten in Sachsen-Anhalt beim Weg in das Berufsleben geholfen wird.
"Ich hatte viel Glück." Diesen Satz sagt Basem Sido oft. Und: "Gott sei Dank." Wegen des Kriegs hat er 2015 seine Apotheke in Aleppo in Syrien zurückgelassen und ist nach Deutschland geflüchtet, überwiegend zu Fuß. "Eine Katastrophe", sagt er rückblickend. Einen Monat hat seine Flucht gedauert. Sie endete in einer der Kleinstadt in der Börde: in Wolmirstedt. Das sei keine bewusste Entscheidung von ihm gewesen, sondern Zufall. Er ist erst in Bayern angekommen, bekam dann einen Transfer nach Halberstadt und von dort ging es weiter nach Wolmirstedt.
Dort ist Sido geblieben, hat einen Integrationskurs absolviert und seine fünfte Sprache gelernt: Deutsch. Etwa ein Jahr nach seiner Ankunft konnte der 44-Jährige auch seine Frau und drei Kinder nachholen. Sido erzählt, dass seine Frau ein Praktikum in einer Kita mache und eine Ausbildung als Erzieherin anfangen wolle. Die älteste Tochter sei auf dem Gymnasium. "Sie ist fleißig und möchte hier studieren." Seine Kinder hätten sehr schnell Deutsch gelernt. Und das sei gut. Denn aus seiner Sicht ist es am wichtigsten, dass Geflüchtete die Sprache lernen.
Unterstützung durch eine Nachbarin
Sido hat in der Ukraine Pharmazie studiert. Daher kann er neben seinen Muttersprachen Kurdisch und Arabisch auch Russisch. Das hat ihm geholfen, denn er hat eine Rentnerin aus Wolmirstedt getroffen, die in Moskau studiert hat und auch Russisch spricht. Mittlerweile wohnt er in der Nähe von Gisela Krohn. Sie hat Sido bei Behördengängen geholfen und gemeinsam mit ihm auch für andere Flüchtlinge übersetzt. Denn eine Hürde für Flüchtlinge sei die deutsche Bürokratie: "Man braucht ein bisschen Kraft für Bürokratie", sagt Sido.
Die Soziologin Wiebke Reyels, die das Zentrum für Migration und Arbeitsmarkt (ZEMIGRA) in Magdeburg leitet, sagt, dass gerade 2016 und 2017 Ehrenamtliche Unglaubliches für die Integration geleistet hätten. "Sie waren so eng dran an den Personen, sie konnten sie in einer Form begleiten, das schafft gar keine Struktur von uns." Ehrenamtliche würden es verbinden, ein soziales Umfeld aufzubauen und die berufliche Perspektive der Geflüchteten zu verfolgen, sagt Reyels.
Zentrum für Migration und Arbeitsmarkt – ZEMIGRA
Das Onlineportal ZEMIGRA soll in Sachsen-Anhalt dabei helfen, Flüchtlinge in Ausbildung oder Arbeit zu vermitteln. ZEMIGRA arbeitet selbst nicht mit Migranten. Stattdessen ermöglicht das Zentrum den Austausch zwischen Akteuren, die im Bereich Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt aktiv sind. Dazu gibt es mit einer Landkarte und Projektliste Überblick über die Akteure im Integrationsbereich. Dazu zählen beispielsweise Jobcenter und Ausländerbehörden, auf Bund- beziehungsweise Länderebene geförderte Programme wie die Netzwerke IQ (Integration durch Qualifizierung) und "Fachkräfte im Fokus" – und Ehrenamtliche, die sich zum Beispiel als Integrationslotsen engagieren und Flüchtlinge in Sportvereinen oder Stadtteilzentren ansprechen und beraten.
Wichtig sei es für die Ehrenamtlichen, zu wissen, an welcher Stelle sie den von ihnen betreuten Flüchtling "abgeben" können. "Sie sollten nicht alles selber machen", betont Reyels. Denn während Ehrenamtliche den direkteren Zugang zu Migranten haben, können fachlich spezialisierte Netzwerke wie IQ besser bei der komplizierten Anerkennung eines ausländischen Abschlusses beraten. Das erspare den freiwilligen Helfern etwa eigene Gänge zu Kammern oder zu anderen zuständigen Stellen. ZEMIGRAs Aufgabe sei es, über alle Unterstützungsangebote für die Arbeitsmarktintegration in Sachsen-Anhalt einen Überblick zu verschaffen und den Austausch zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen zu fördern.
Langer Weg zur Berufsanerkennung
Sido hat das Übersetzen und eine Tätigkeit beim Jobcenter nicht gereicht. "Ich bin Apotheker", sagt er. Er will in seinem Beruf arbeiten – doch gerade bei diesem sind die Anforderungen hoch: Denn in Deutschland dürfen Apotheker nur mit Approbation, also der staatlichen Zulassung, arbeiten. Auch Pharmazeuten, die in Deutschland studiert haben, müssen ein einjähriges Apothekenpraktikum absolvieren und das dritte Staatsexamen bestehen, um als Apotheker arbeiten zu dürfen.
Sido hat sein Magisterdiplom und Abiturzeugnis mit nach Deutschland gebracht, hat seine Dokumente übersetzen und notariell beglaubigen lassen. Zwei wichtige Sprachprüfungen hat er bereits bestanden. Seit etwa zwei Monaten ist Sido Apotheker in Ausbildung in der Apotheke im Alleecenter Magdeburg. Nach den zwei Jahren will er eine Prüfung ablegen, das dritte Staatsexamen. Wenn er das besteht, bekommt er die Approbation.
Sido hatte bei seiner jetzigen Chefin, der Apothekeninhaberin Claudia Meffert, persönlich um ein Praktikum gebeten. Sie habe davor schon mehrere Anfragen von ausländischen Bewerbern, erzählt Meffert. Bei Herrn Sido habe es schließlich gepasst. Aber es gab kleinere Schwierigkeiten. So wünscht sich Meffert rückblickend mehr Infos zur Berufsanerkennung. Sie habe viel bei Google selbst herausfinden müssen. Eine Infobroschüre von der Apothekerkammer habe es beispielsweise nicht gegeben.
Jeder Integrationsprozess ist individuell
Auf dem Weg eines Geflüchteten in eine Beschäftigung in Deutschland gibt es mehrere Schritte. Es beginnt mit einer umfangreichen Beratung und Orientierung. Es gehe erstmal ums Ankommen; wichtig sei zum Beispiel bei Geflüchteten oft, eine Unterkunft zu finden, sagt ZEMIGRA-Projektleiterin Reyels. Dann könne man mit der beruflichen Orientierung anfangen. Es werde geschaut, welchen Bildungsstand und Arbeitserfahrung die Person habe, um Potenziale zu ermitteln. Dann werde die Sprachförderung angesetzt. Dann zeige sich schnell, ob es im nächsten Schritt um Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse gehe, ob es noch eine berufliche Qualifizierung brauche oder ob es schon Richtung Betrieb oder Ausbildung gehen kann.
Aber das sei nur der ideale Prozess, betont Reyels. "Am Ende ist es so, dass es nicht den einen Fahrplan gibt. Denn jede Person bringt ganz komplex die eigene Konstellation mit." Alter, Aufenthaltsstatus, Sprach- und Lernvermögen seien individuell. Einige müssten sich zunächst nur aufs Deutschlernen konzentrieren, andere könnten Sprache und berufliche Qualifikation kombinieren, weil sie sogenannte Schnelllerner seien. "Dann hängt auch viel daran, wie die Motivation der einzelnen Personen ist und was ihre Ziele sind", ergänzt Reyels. Viele Geflüchtete wollten schnell Geld verdienen. Andere wiederum seien nicht auf eigenen Wunsch in Deutschland. Auch ob die Familie dabei sei, beeinflusse, wie schnell jemand den Prozess durchlaufe.
Migration ist ein Bruch in der Karriere
Zwar seien nicht alle Geflüchteten gut ausgebildet, räumt Reyels ein. Aber es werde von den Personen durchaus etwas mitgebracht. Eher sei der Anspruch falsch, die Geflüchteten hätten einen in Deutschland anerkannten Ausbildungs- und Schulabschluss und seien sofort einsatzfähig. "Egal, ob es Flucht ist oder andere Migration: Es ist immer ein Bruch in der beruflichen oder schulischen Karriere", sagt Reyels.
Es gebe daher immer eine Übergangsphase bei der Eingliederung in Arbeit. "Von Unternehmen hören wir das Gleiche, wenn sie von Schulabgängern sprechen – und das sind Deutsche. Dass sie noch nicht fertig sind, um sofort in der Arbeit eingesetzt zu werden", berichtet sie. Der Übergang vom Studierenden in die Arbeitswelt sei ähnlich schwierig. "Und diese Geduld braucht man auch bei Menschen mit Migrationshintergrund." Erfolgsgeschichten auf der ZEMIGRA-Webseite sollten den Migranten, Integrationsakteuren und Unternehmen zeigen, dass sich der anstrengende Weg lohne, erklärt Reyels.
Egal, ob es Flucht ist oder andere Migration: Es ist immer ein Bruch in der beruflichen oder schulischen Karriere.
ZEMIGRA-Projektleiterin Wiebke Reyels
Unternehmen leisten Integrationsarbeit
Dabei sollen auch Weiterbildungsangebote zur kulturellen Sensibilisierung helfen. Dabei gehe es darum, zu erkennen, dass bestimmte Gepflogenheiten und Umgangsformen eventuell erklärt werden müssten. Das habe immer ein Konfliktpotenzial, das zu Missverständnissen führen könne. Ein häufiges Thema seien Pausen- und Gebetszeiten. Große Unternehmen mit viel Personal könnten das vielleicht einrichten, während es für einen kleinen Handwerksbetrieb schwierig werde. "Aber man muss es besprechen und sehen, ob man dafür eine Lösung findet", sagt Reyels.
Selten breche das Unternehmen das Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis mit dem Geflüchteten ab. Unternehmen sei es in der Regel wichtig, dass die Zusammenarbeit mit dem Flüchtling gelinge, berichtet Reyels. Ablehnung gebe es eher, bevor ein Migrant eingestellt werde. Reyels wünscht sich, dass sich noch mehr Betriebe dafür öffnen, einen Flüchtling zu beschäftigen. "Da findet häufig noch einmal eine unglaubliche Integrationsarbeit in den Unternehmen statt", sagt sie.
Zweite Heimat Sachsen-Anhalt
Für Reyels ist erfolgreiche Integration, wenn eine Person in Deutschland ankommen könne – und zwar in sämtlichen Deutungen des Wortes: "Dass sie auch ihren Platz hier findet. Dass Wohnsituation, soziales Umfeld und dann eben auch die Arbeitswelt sich so gestaltet, dass sie sich darin wiederfinden und sagen: 'Ich bin jetzt hier in Sachsen-Anhalt und das ist gut so.'" Dazu müsse sich die Person auf den Integrationsprozess einlassen können. Auch die Gesellschaft sei gefragt, Offenheit zu zeigen: "Sodass wir nicht vor lauter Angst alles zumachen, sondern die Gesellschaft in Sachsen-Anhalt muss offen bleiben", sagt Reyels.
Vor allem wegen seiner Kinder will Sido in Deutschland bleiben. Damals habe es auch in Syrien alle Möglichkeiten gegeben – aber der Krieg habe das zerstört. Deutschland sei eine Heimat geworden, sagt er. "Ich lebe hier, ich wohne hier, ich habe viele Freunde." Sidos Familie feiert sowohl syrische Feiertage als auch deutsche. Heimweh nach Syrien hat Sido trotzdem. Einige Verwandte seien noch da. Manchmal suche er seine alte Heimat in Deutschland. Aber das funktioniere nicht: "Ich habe meine Heimat nicht mitgebracht."
Drohende Abschiebung schwächt Motivation
Nicht immer verläuft der Integrationsprozess von Flüchtlingen so reibungslos wie bei Basem Sido. Von einem Jobcenter hörte Reyels zum Beispiel, dass manche nicht zu verpflichtenden Integrationskursen gehen. "Da hatte ich vorgeschlagen, dass man mit einer Migrantenorganisation vor Ort auf diese Leute zugehen muss, um rauszufinden: Ist es Motivationslosigkeit oder Verweigerung? Was muss man noch übersetzen, dass klar ist, dass dieser Sprachkurs notwendig ist?"
Hinzu kommt: Wenn jüngere Leute jeden Tag mit der Abschiebung zu rechnen hätten, sei die Motivation, Deutsch zu lernen und eine Ausbildung zu machen, geringer als bei Menschen mit sicherem Aufenthaltsstatus, ergänzt Franziska Bergmann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei ZEMIGRA.
An diesem Problem sei man politisch gerade dran, sagt Reyels. Es gebe die sogenannte Ausbildungsduldung, die die drei Jahre der Ausbildung absichern solle plus zwei Jahre danach, erklärt sie. Für Geflüchtete sei die Unsicherheit teils schwer auszuhalten. Auch für den Arbeitgeber sei es ein gutes Zeichen, wenn sie wüssten, dass die Person, die sie gerade ausbildeten, dann auch bei ihnen bleiben könne und sie wirklich einen Beitrag zur Fachkraftsicherung hätten, sagt Reyels. "Im Moment ist es so, dass alle ein gewisses Risiko eingehen müssen."
Quelle: MDR/mh