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Jedes dritte Kind kommt in Deutschland per Kaiserschnitt zur Welt. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / dpa | Daniel Karmann

GeburtshilfeGeburt per Kaiserschnitt: "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen"

09. August 2022, 12:59 Uhr

Jedes dritte Kind kommt in Deutschland per Kaiserschnitt zur Welt. Obwohl viele Mütter sich eine spontane Geburt wünschen, lassen medizinische Gründe das nicht immer zu. Zwei Frauen aus Sachsen-Anhalt erzählen, wie sie ihren Kaiserschnitt erlebt haben.

Jenny Kraneis läuft mit einem Lächeln durch die Gänge der Geburtsstation im Carl-von-Basedow-Klinikum Merseburg. Hier hat sie vor elf Wochen ihre vierte Tochter Elisabeth auf die Welt gebracht. Die Kleine beobachtet aus ihrem Wagen heraus interessiert die Umgebung, während sich die Hebammen der Station über das kleine Wiedersehen freuen.

Jenny Kraneis: "Kein Risiko eingehen"

Elisabeths Geburt war eine besondere für Jenny Kraneis, denn anders als ihre drei älteren Töchter wurde sie per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Der Grund war eine Beckenendlage und eine Uterusatonie, die die 37-Jährige bei ihren vorherigen Geburten entwickelte. Bei der Entbindung ihrer dritten Tochter verlor sie deshalb fast drei Liter Blut.

Obwohl Jenny Kraneis nichts gegen eine vierte spontane Geburt gehabt hätte, beschloss sie zusammen mit ihrem Mann, kein Risiko einzugehen. "Meinem Mann ging es darum, dass die Familie zusammenbleibt, dass da nichts passiert. Und gerade bei meiner Vorgeschichte war es natürlich ein Grund zu sagen: 'Die bessere Option ist der Kaiserschnitt'", erzählt sie. Eine leichte Entscheidung war das nicht. "Da ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Alle meine drei anderen Mädchen sind spontan entbunden und das war so ein schönes Erlebnis. Man ist so stolz, dass man etwas geleistet hat und danach sein Kind auf dem Arm hält. Und beim Kaiserschnitt macht man halt nichts. Man liegt da und wartet, was passiert und dann bekommt man sein Kind gezeigt. Das ist schön, aber doch was Anderes."

Meinem Mann ging es darum, dass die Familie zusammenbleibt, dass da nichts passiert. Und gerade bei meiner Vorgeschichte war es natürlich ein Grund zu sagen: 'Die bessere Option ist der Kaiserschnitt.'

Jenny Kraneis

Obwohl es einen geplanten Termin für den Kaiserschnitt gab, wollte die kleine Elisabeth sich nicht festlegen lassen. "Ich hatte vor dem geplanten Tag einen Blasensprung und bin dann noch in der Nacht ins Krankenhaus", erinnert sich die frisch gebackene Mutter. "Erlebt habe ich den Kaiserschnitt gut. Nach 2 Uhr war sie dann da." Jenny Kraneis merkt jedoch sofort die Unterschiede zu ihren vorherigen Geburten. "Ich habe im Bett gelegen, konnte dann nicht so fit sein, wie nach einer spontanen Entbindung. Man hat Schmerzen, man möchte aufstehen, aber es zieht eben doll. Es ist eine Bauch-OP, das darf man nicht vergessen."

Für Jenny Kraneis sind es trotzdem schöne Erinnerungen, die sie mit ihrer Zeit im Kreißsaal verbindet. Auch jetzt, nur wenige Wochen nach der Geburt, sagt sie: "Mir geht es erstaunlich gut. Für mich war der Kaiserschnitt letztendlich ein Segen, weil alles so ausgegangen ist, wie wir uns das gewünscht haben." Das ist jedoch nicht immer der Fall, denn eine Geburt ist eine ganz individuelle Erfahrung. Franziska Werner aus Halle hat im März 2021 entbunden. Sie kämpft noch immer mit den Erlebnissen rund um ihren Kaiserschnitt.

In Sachsen-Anhalt werden mehr Babys per Kaiserschnitt geholt als im bundesweiten Durchschnitt. Über mögliche Gründe klärt ein Arzt in diesem Beitrag auf.

Franziska Werner: "Ich hatte nichts mehr unter Kontrolle"

Auch ihr Kind lag in der Beckenendlage. Trotzdem wünschte sich die 31-Jährige eine natürliche Geburt und erhielt durch ihre Hebamme den nötigen Rückhalt. "Ich dachte, wenn medizinisch nichts dagegen spricht, dann versuchst du das", erzählt sie. Als ihr Frauenarzt bei der letzten Voruntersuchung – einen Tag nach dem errechneten Geburtstermin – feststellte, dass sie zu wenig Fruchtwasser hat, wurde sie ins Krankenhaus überwiesen. Die Geburt wurde am nächsten Tag medikamentös eingeleitet. "Ich hatte nicht wirklich Zeit, noch mal zu recherchieren und mich mit Vertrauenspersonen zu besprechen", kritisiert sie heute.

"Mein Mann hat gesagt: 'Vertrau auf das, was die Ärzte sagen'. Das ist ja auch das, was man hofft. Dass die Ärzte das Beste für einen entscheiden." Doch Franziska Werner hat kein gutes Gefühl. Durch die Corona-Beschränkungen, die während ihrer Geburt noch streng waren, ist sie zunächst zwei Tage allein in der Klinik. Im Hinterkopf hat sie stets die besondere Lage ihres Babys. Sie hofft vergeblich auf eine Anleitung der Schwestern, um mit bestimmten Lagerungen und Yoga-Übungen die Position ihres Babys zu optimieren. "Die Hebamme, die da war, hatte letztendlich aber nicht die Zeit, mich durchgehend zu betreuen", erzählt sie.

Ich war dann am Ende allein im Kreißsaal und habe gemerkt, wie die Panik immer größer wurde. Dadurch, dass es meine erste Geburt war, wusste ich auch gar nicht, was mich erwartet.

Franziska Werner

Erst als die Fruchtblase platzt, weicht ihr die Hebamme nicht mehr von der Seite. "Ich hatte aber schon zu dem Zeitpunkt das Gefühl, nichts mehr unter Kontrolle zu haben", erinnert sich die Hallenserin. Als die Herztöne des Babys abfallen und die Füße zuerst rauswollen, geht alles ganz schnell. Die Geburtshelfer entscheiden, dass Franziska Werner in den OP kommt – Notkaiserschnitt mit Vollnarkose. Danach sind ihre Erinnerungen weg. "Ich bin dann aufgewacht mit ganz vielen Schläuchen und war total benebelt. Ich habe immer wieder nach meinem Kind gefragt."

Die Folgen des Kaiserschnitts belasten über Monate

Erst nach sechs Stunden wird die junge Mutter wieder auf ihr Zimmer gelassen und sieht dort das erste Mal ihren Sohn. Aufgrund starker Schmerzen kann sie ihn jedoch nicht selbst hochnehmen. "Ich habe versucht zu verarbeiten, dass das jetzt mein Kind ist. Hätte ich nicht ein Foto gesehen, das mein Mann gemacht hat, hätte ich noch nicht mal gewusst, dass das wirklich mein Kind ist. Ich habe ja nicht gesehen, wie er direkt nach der Geburt aussah. Er war dann schon sauber gemacht und angezogen. Das war für mich total unwirklich."

Die Reflexion ihrer Geburt kommt für Franziska Werner erst Monate später, als es ihr psychisch beginnt, schlechter zu gehen. Neben der Belastung, die Entbindung nicht aktiv miterlebt zu haben, plagen Franziska Werner auch gesundheitliche Probleme in Folge des Kaiserschnitts. Die Narbe verheilt aufgrund einer Wundheilungsstörung langsamer als gewöhnlich. "Erst nach drei Monaten hatte ich wieder das Gefühl, ich selbst zu sein und mir mehr zutrauen zu können. Ich konnte mein Kind dann endlich länger auf den Arm nehmen. Das war für mich ganz lange eine belastende Situation."

Heute wünscht sie sich, dass sie sich vor der Überweisung in die Klinik noch einmal mit ihrer Hebamme beraten hätte. Auch auf eine Notsituation fühlte sie sich nicht gut genug vorbereitet. "Während der Geburtssituation fand keine Erklärung mehr statt, zum Beispiel über die Möglichkeit eines Wach-Kaiserschnitts mit PDA", erzählt sie. Trotzdem ist Franziska Werner dankbar, dass die Ärzte sie und ihren Sohn durchgebracht haben. Nur der Verlauf war nicht das Geburtserlebnis, das sie sich vorgestellt hatte.

Von der S3-Leitlinie, die Frauen eine selbstbestimmte Entbindung ermöglichen soll, hört sie auch erst im Nachgang. Indem sie ihre Geschichte erzählt, möchte sie anderen Frauen helfen, ihre Rechte einzufordern. Damit die Geburt das wird, was sie eigentlich sein sollte: einer der schönsten Tage im Leben der werdenden Eltern.

Hier bekommen Sie Hilfe

Falls Sie mit der Verarbeitung Ihrer Erlebnisse, die Sie bei einer Geburt gemacht haben, Hilfe benötigen, können Sie sich zum Beispiel an diese Stellen wenden:

  • Der Verein Schatten und Licht hilft traumatische Geburtserfahrungen zu verarbeiten.
  • Der Verein Traum(a)Geburt bietet Beratung und Hilfe für von Gewalt in der Geburtshilfe Betroffene und Angehörige sowie Fachpersonal.
  • Die Beratungsstellen von pro familia bieten an neun Standorten in Sachsen-Anhalt Schwangerschafts- und Paarberatung an.
  • Die Diakonie Mitteldeutschland unterstützt Frauen und Familien u.a. in Halle und Dessau-Roßlau in der Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatung
  • Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (08000 116 016) ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar, auch für Angehörige.
  • Der Psychotherapie-Informationsdienst (PID) hilft bei der Suche nach einem Therapeuten in der Umgebung.
  • Außerdem tauschen sich Betroffene in unterschiedlichen Facebook-Gruppen aus – zum Beispiel in "Geburtstrauma – Heilung" und "Gewalt unter der Geburt".

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MDR (Sarah-Maria Köpf) | Erstmals veröffentlicht am 06.08.2022

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. August 2022 | 19:00 Uhr

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