#MDRklärt Wie weit Kinderarmut in Sachsen-Anhalt verbreitet ist
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Arm ist, wer staatliche Leistungen bezieht? Oder wer nicht in den Urlaub fliegen kann? Warum eine Definition von Armut schwierig ist und welche Ansätze es gibt, um das Ausmaß von Kinderarmut in Sachsen-Anhalt zu beziffern.

Wie viele Kinder und Jugendliche sind in Sachsen-Anhalt von Armut betroffen? Mal sind es mehr als 60.000, mal fast 100.000. Warum das so ist? Weil es keine allgemeingültige Definition von Armut gibt, geschweige denn von Kinderarmut. Vielmehr werden in der Wissenschaft unterschiedliche Ansätze angewandt. Wie weit verbreitet Kinderarmut in Sachsen-Anhalt demnach jeweils ist, soll exemplarisch an drei Beispielen erklärt werden.
1. Ansatz: Einkommensarmut
Die Europäische Union beschreibt Armut, indem das verfügbare Einkommen betrachtet wird. Vereinfacht gesagt gelten demnach alle Personen als von Armut gefährdet, deren monatliches Netto-Einkommen deutlich unter dem mittleren Einkommen der Gesamtbevölkerung liegt.
Da Kinder und Jugendliche in der Regel noch über kein eigenes Einkommen verfügen, gelten sie der Definition zu Folge als armutsgefährdet, wenn sie in Haushalten mit niedrigen Einkommen leben. Für Sachsen-Anhalt waren 2017 folgende Wert als Schwelle zur Armutsgefährdung:
Setzt man alle Haushaltseinkommen der Sachsen-Anhalter mit denen aus ganz Deutschland ins Verhältnis, so waren im Jahr 2017 knapp 30 Prozent aller Personen unter 18 Jahren zwischen Arendsee und Zeitz armutsgefährdet. Laut Statistischem Bundesamt lebten 2017 rund 320.000 Minderjährige in Sachsen-Anhalt. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt das: Rund 95.000 Mädchen und Jungen waren gefährdet von Armut.
Im Vergleich der Bundesländer weist Sachsen-Anhalt damit hinter Bremen die höchste Armutsgefährdungsquote für Kinder und Jugendliche auf:
2. Ansatz: Bedarfsgemeinschaften
Im Gegensatz zur Einkommensarmut verwendet beispielsweise die Bertelsmann-Stiftung eine Armutsdefinition, wonach diejenigen Minderjährigen als arm gelten, die in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft leben – also in einem Haushalt, der Leistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) erhält. Die Anzahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften in Sachsen-Anhalt ist zwar seit Jahren rückläufig. Im November 2018 waren aber immer noch knapp 66.000 Mädchen und Jungen betroffen.
3. Ansatz: Gefühlte Armut
Während die statistischen Ansätze versuchen, das Ausmaß von Kinderarmut mithilfe verschiedener Parameter so konkret wie möglich beziffern, ist das individuelle Empfinden der Menschen ein ebenso entscheidender Faktor. Denn nicht jedes Kind, das in Bedarfsgemeinschaft lebt, würde sich selbst als arm bezeichnen. Und umgekehrt wird es genauso Menschen geben, die per Definition nicht armutsgefährdet sind, sich dennoch als arm bezeichnen würden.
Wie viele Kinder demnach in Sachsen-Anhalt von Armut betroffen sind, lässt sich nicht beziffern. Wohl aber können Aussagen dazu getroffen werden, woran Menschen festmachen, dass sie sich selbst arm fühlen. Ein Beispiel: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im Rahmen des 5. Armuts- und Reichtumsbericht Personen befragt, die von Armut betroffen sind oder es einmal waren.
Ergebnis: Armut ist für viele der Befragten vor allem mit einem Gefühl der Ausgrenzung und einem Mangel an persönlicher Freiheit verbunden. Armutsbetroffene können nach eigener Aussage beispielsweise nicht frei darüber entscheiden,
- welche kulturellen Veranstaltungen sie besuchen,
- wohin sie reisen,
- ob sie Gesundheitsbehandlungen, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden, in Anspruch nehmen können oder
- welche Kleidung, Lebensmittel und Gegenstände sie kaufen.
Beispielsweise ist es für Betroffene nicht möglich, dem eigenen Kind ein Fahrrad zu kaufen. So geht es auch Bianka Söllner aus Magdeburg. Wie die alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin mit ihrer Situation umgeht und welche Angebote die Stadt Magdeburg für sie bereithält, lesen Sie hier.
Über den Autor
Manuel Mohr arbeitet seit 2017 als Datenjournalist in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Sein Aufgabenschwerpunkt liegt in der Recherche und Analyse von Daten, aus denen Geschichten für Online, Radio und Fernsehen entstehen.
Als gebürtiger Magdeburger liegen seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt natürlich vorwiegend in seiner Heimatstadt – Sudenburg, die Hubbrücke und die Nordtribüne des Heinz-Krügel-Stadions sind da nur einige Beispiele. Gegen eine Wanderung im Harz hat er aber auch nichts einzuwenden.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Januar 2018 und wurde umfassend mit aktuellen Daten ergänzt und überarbeitet.
Quelle: MDR/mm
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. März 2019 | 19:00 Uhr