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In Sachsen-Anhalt sind Fälle, in denen mögliches Fehlverhalten von Kita-Personal gemeldet worden ist, auf niedrigem Niveau gestiegen. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/KS-Images.de

Sicherheit in KitasFehlverhalten von Kita-Personal: Mehr gemeldete Fälle – aber auf niedrigem Niveau

01. Februar 2023, 07:16 Uhr

Kindertagesstätten sollten ein Ort der absoluten Sicherheit für den Nachwuchs sein. Trotzdem kommt es dort, wenn auch selten, zu Fällen, in denen die Aufsichtspflicht verletzt wird, noch seltener auch zu Gewalt gegen Kinder. Recherchen von MDR SACHSEN-ANHALT zeigen, dass die Anzahl dieser Fälle leicht gestiegen ist. Woran das liegen könnte.

Es ist milder und bewölkter Freitagvormittag Anfang Oktober 2020, als sich eine Kitagruppe in Magdeburg zum nahe gelegenen Neustädter See auf den Weg macht. Drei Erzieher sind mit 17 Kindern im Alter zwischen zwei und vier Jahren unterwegs. Einige Kinder sitzen im Bollerwagen, andere laufen oder fahren mit dem Laufrad. Am See spielen die Kinder im Sand.

Nach etwa anderthalb Stunden treten die Erzieherinnen mit den Kindern den Rückweg zur Kita an. Nachdem gegen 11:45 Uhr alle Kinder ausgezogen waren, stellen die Erzieherinnen fest, dass der zweijährige Adam fehlt. Umgehend beginnt die Suche nach dem kleinen Jungen, der schließlich um 13:22 Uhr leblos in dem See gefunden wird. Sofort eingeleitete Wiederbelebungsmaßnahmen bleiben erfolglos. Ein tragisches Unglück.

Gericht: Strafe wegen Missachtung der Aufsichtspflicht

Das Amtsgericht Magdeburg hat deshalb eine Bewährungsstrafe gegen die drei Erzieherinnen verhängt. Die Frauen sind wegen fahrlässiger Tötung zu Strafen von sechs Monaten verurteilt worden. Diese sind zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem müssen die Frauen Geldstrafen an gemeinnützige Organisationen zahlen. Aus Sicht des Gerichts waren die Frauen ihrer Aufsichtspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Später ist in einem Berufungsprozess die Strafe für eine der Erzieherinnen sogar noch verschärft worden.

Doch wie regelmäßig sind Fälle, in denen Kita-Personal in Sachsen-Anhalt ein Fehlverhalten zur Last gelegt wird? Die Antwort: ein Einzelfall sind sie nicht, allerdings bewegen sich die Zahlen auf einem insgesamt sehr niedrigen Niveau. Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT teilt das Landesverwaltungsamt in Halle mit, dass es 2018 insgesamt 25 "gemeldete besondere Vorkommnisse mit Verdacht auf pädagogisches Fehlverhalten bzw. Verletzung der Aufsichtspflicht" gegeben hat. Im Jahr 2022 seien 56 solcher Fälle registriert worden.

Fallzahlen sind zuletzt etwas angestiegen

Wichtig ist dabei festzuhalten: Es handelt sich hier um gemeldete Verdachtsfälle. "Ob Anzeigen erstattet und möglicherweise Strafverfahren eröffnet werden bzw. eine Verurteilung erfolgt, wird [...] nicht erhoben und ist somit hier nicht bekannt", teilt Sprecherin Denise Vopel vom Landesverwaltungsamt mit.

Auch beim Landeskriminalamt (LKA) in Magdeburg führt man Buch über das Kriminalitätsgeschehen in Sachsen-Anhalt. Dort sind für das Jahr 2018 insgesamt 15 Anzeigen von Gewalt in Kitas registriert worden. Dabei geht es um "Misshandlung von Kindern" (neun Fälle), "Vorsätzliche einfache Körperverletzung" (vier Fälle), "fahrlässige Körperverletzung" (ein Fall) oder um "sexuellen Missbrauch" (ein Fall).

Im Jahr 2021 haben die Ermittler dagegen insgesamt 28 Fälle registriert, so die polizeiliche Kriminalitätsstatistik ("Misshandlung von Kindern" 13 Fälle, "Sonstige Nötigung" sieben Fälle, "Vorsätzliche einfache Körperverletzung" fünf Fälle, "fahrlässige Körperverletzung" ein Fall, "Freiheitsberaubung" ein Fall, "sexueller Missbrauch von Kindern" ein Fall). Für das Jahr 2022 haben die Fachleute im LKA allerdings einen Rückgang (insgesamt zehn Fälle) vermerkt.

Stichwort: Kinderbetreuung in Sachsen-AnhaltIn Sachsen-Anhalt wurden, Stichtag 1. März 2021, gut 150.000 Kinder in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege betreut, aufgeteilt auf gut 1.800 Kindertageseinrichtungen. Das geht aus einem Bericht des Statistischen Landesamtes hervor. Um die Betreuung der Kinder kümmerten sich demnach gut 21.000 Beschäftigte.

"Kein flächendeckendes Problem"

"Insgesamt können wir in den letzten fünf oder sechs Jahren eine Zunahme an kindeswohlgefährdenden Handlungen feststellen", sagt Frank Wolters von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Sachsen-Anhalt (GEW). "Das spüren wir beispielsweise bei uns im Rechtsschutz, wenn wir Kolleginnen in solchen Fällen vertreten", so Gewerkschafter Wolters im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

"Trotzdem sind das keine alarmierenden Zahlen, die nahelegen, dass da ein flächendeckendes Problem besteht", so Wolters. Auch wenn jeder Einzelfall schrecklich sei. Als eine mögliche Ursache für solches Fehlverhalten nennt Wolters "überlastetes Personal". "Die Kitas sind voll, die Gruppen sind voll und gleichzeitig steht zu wenig Personal zur Verfügung." So etwas könne zur Überforderung von pädagogischem Personal führen.

Das sind keine alarmierenden Zahlen, die nahelegen würden, dass da ein flächendeckendes Problem besteht.

Frank Wolters | Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

Kitas sind sichere Orte

"Die Kitas in Sachsen-Anhalt sind trotzdem ein sicherer Ort", sagt auch Susanne Borkowski im MDR SACHSEN-ANHALT-Interview. Borkowski forscht an der Hochschule Magdeburg-Stendal zur kindlichen Entwicklung und Gesundheit. Für die steigenden Fallzahlen macht sie neben den Arbeitsbedingungen auch eine erhöhte Sensibilität für das Thema verantwortlich. "Das Verständnis, was Gewalt ist, hat sich in den letzten Jahren verändert. Eltern üben weniger Gewalt in der Erziehung aus und wollen auch nicht, dass so etwas in der Kita passiert." Heißt: Die Bereitschaft von Eltern, mögliches Fehlverhalten von Kita-Personal anzuzeigen, könnte gestiegen sein.

Im Fall der drei verurteilten Erzieherinnen aus Magdeburg kann Überlastung oder Überforderung nahezu ausgeschlossen werden. Im Gerichtsverfahren stellt der Richter dagegen fest, dass sich bei den drei Kita-Mitarbeiterinnen eine Reihe von Nachlässigkeiten eingeschlichen haben. So sei der Ausflug der Gruppe nicht wie vorgeschrieben in einem Buch vermerkt worden, die Kinder seien nicht immer wieder gezählt worden. Spätestens als eine Passantin darauf aufmerksam machte, dass ein Mädchen hinter der Gruppe zurückgeblieben sei, hätte man erneut zählen müssen. Den Erzieherinnen aber war erst in der Kita aufgefallen, dass ein Kind fehlt.

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MDR (Hannes Leonard), dpa

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. Februar 2023 | 11:00 Uhr