Interview Krankenhaus-Finanzierung: "Das System muss reformiert werden"

30. Januar 2022, 16:36 Uhr

Immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit: Krankenhäuser sind "verdammt zu Effizienzsteigerung", sagt Professor Peter Rudolph von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Der Experte für Gesundheitsmanagement kennt die Gründe dieser Entwicklung – und plädiert für Reformen des Abrechnungssystems und der Krankenhauslandschaft.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Professor Rudolph, wie finanzieren sich die Krankenhäuser in Deutschland?

Peter Rudolph: Wir setzen hierzulande auf die sogenannte duale Finanzierung. Das bedeutet, Investitionskosten der Krankenhäuser, etwa für Neubauten und Geräte, werden aus Steuermitteln durch die Länder finanziert. Die Betriebskosten, zum Beispiel für die Gehälter des Personals, werden dagegen von den Krankenkassen bezahlt. Behandlungskosten der Patientinnen und Patienten werden durch die Krankenkassen in Form einer Fallpauschale beglichen. Das heißt, für jede Behandlung gibt es eine spezielle Vergütung, die sich anhand der konkreten Diagnosen berechnet. Für die gleiche Behandlung bekommt das Krankenhaus in der Regel also immer die gleiche Vergütung, egal ob es sich um einen Privatpatienten oder eine gesetzlich Versicherte handelt.

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Zur Person: Das ist Peter Rudolph

Peter Rudolph hat Betriebswirtschaftslehre in Magdeburg und Dresden studiert und ist seit 2012 Professor für Gesundheitsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er lehrt und forscht unter anderem zur Organisations- und Personalentwicklung sowie zum Management im Gesundheitswesen.

Was hat man sich bei der Einführung des Fallpauschalensystems im Jahr 2003 davon versprochen?

Es gab damals den Druck, das Abrechnungssystem gerechter und effizienter zu gestalten. Krankenhäuser sollten Effizienzreserven heben und mit dem Geld, das sie zur Verfügung haben, möglichst optimal wirtschaften. Das hat durchaus geklappt. Früher waren Krankenhausaufenthalte zum Beispiel eher langfristig. Heute haben wir einen gegenteiligen Trend. In meinen Augen hat dieses System viele Vorteile gebracht – aber wie immer im Leben gibt es nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile.

Je kürzer ein Patient im Krankenhaus ist, desto besser für das Haus, denn je schneller ein Bett frei ist, desto schneller kann es mit einer neuen Patientin belegt werden, die dann wieder Geld bringt.

Peter Rudolph Professor für Gesundheitsmanagement

Welche Nachteile sind das?

Kliniken optimieren die Verweildauer inzwischen in Richtung der untersten Grenze. Je kürzer ein Patient im Krankenhaus ist, desto besser für das Haus, denn je schneller ein Bett frei ist, desto schneller kann es mit einer neuen Patientin belegt werden, die dann wieder Geld bringt. Gesellschaftlich ist das ein Problem, weil Anschlussbehandlungen wie etwa Rehas dadurch oft aufwändiger und teurer werden. Probleme verlagern sich also vom Krankenhaus in die Reha. Hinzu kommt: Alle in dem System sind verdammt zu Effizienzsteigerung, sonst kriegen sie von dem Vergütungskuchen zu wenig ab. Wer die Leistungssteigerung nicht hat, hat vom Gesamtbudget weniger.

Welche Kliniken betrifft das?

Es ist gerade für kleinere Häuser kompliziert, die Personalkosten zu erwirtschaften und gleichzeitig mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt mitzuhalten. Der Gesetzgeber muss überlegen, wie er das System neugestalten möchte. Wenn der Staat in Zukunft an den kommunalen Strukturen festhalten möchte, muss klar werden, wie die Finanzierung unterstützt werden soll, damit sich auch kleine Krankenhäuser wirtschaftlich gut tragen können.

Manche Stimmen fordern eine Abkehr von der Gewinnorientierung und eine Verstaatlichung der Kliniken. Was halten Sie von dieser Idee?

Eine Komplettverstaatlichung halte ich nicht für den richtigen Weg. Das löst die Probleme nicht. Ich halte unser bestehendes System grundsätzlich für gut, es hat sich an vielen Stellen bewährt. Aber es muss reformiert werden, um den Wildwuchs einzudämmen, den wir an der einen oder anderen Stelle sehen.

Was schlagen Sie vor?

Wir erleben seit Jahren, dass die Länder die Investitionskosten nicht in dem Umfang übernehmen, in dem sie die Krankenhäuser bräuchten. Die Folge ist, dass man bisweilen aus den Fallpauschalen Teile abspaltet und versucht, durch Effizienzsteigerung dann Investitionen zu stemmen. Das ist nicht im Sinne des Erfinders. Deshalb stellt sich die Frage, wie viele Krankenhäuser man braucht und wie viele Kliniken man sich leisten will. In Deutschland haben wir derzeit etwa 2.000 Krankenhäuser, 45 davon in Sachsen-Anhalt. Es gibt interessante Studien, die sagen, dass wir mit einem gewissen Teil weniger auskommen. Die Qualität der Behandlung ginge dabei nicht zurück, sogar im Gegenteil. Die meisten Operationen sind ohnehin geplant, und ich denke, Patienten nehmen es in Kauf, wenn sie längere Anfahrtswege haben.

Sie plädieren also für weniger, aber dafür größere Krankenhäuser?

Ich glaube, dass man zehn bis 15 Prozent der Kliniken einsparen muss, einfach aus Wirtschaftlichkeitskriterien. In Zukunft braucht es auf der einen Seite eine gute Grundversorgung und auf der anderen Seite spezialisierte Hochleistungszentren. An diesem Modell führt nichts vorbei.

Und was verbessert sich dadurch für die Pflegenden in den Krankenhäusern?

Zum einen haben große Häuser bessere Möglichkeiten, was die Planung und den Einsatz des Personals angeht, etwa bei Engpässen. Und wir dürfen nicht vergessen: Die nächste Generation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewertet Arbeitgeber auch anhand der Attraktivität des Arbeitsumfeldes und innovativer Arbeitsformen wie "New Work". Um im Rennen um Fachkräfte eine Chance zu haben, muss sich das Gesundheitswesen strecken und überlegen, wie New Work etwa in der Pflege aussehen soll. Größere Kliniken könnten da im Vorteil sein.

Das Gespräch führte Lucas Riemer.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 29. Januar 2022 | 21:00 Uhr

22 Kommentare

Gernot am 01.02.2022

Denkschnecke, die BRD ist so vermögend, daß bei einem dem Steuerzahler gerechten Aufteilung der Gelder, Mrd für das neue Gesundheitswesen überhaupt kein Problem wären. Flächendeckend..... dünn besiedelte Regionen...... die Bürger, welche dort leben , haben wohl diesbezüglich das selbe Anrecht auf med. Versorgung, wie Menschen in den Hotspots der Republik. Sie bezahlen die selben Beiträge an Steuern und Beiträgen.
Ich frage mich auch, welche Meinung sie hier vertreten. Bei vielen kommt es so an, als ob sie hier sind , um politische Entscheidungen versuchen, dem allgemeinen Volk " zu verkaufen". Privat und voll im Berufsleben involviert, findet man kaum die von Ihnen investierte Zeit, hier mitzudiskutieren. Oder?

Draken am 01.02.2022

Lesen Sie sich doch einfach mal die dafür zuständige Verordnung durch "Verordnung zur Verwaltung des Strukturfonds im Krankenhausbereich". Dort ist Schwarz auf Weiß belegt wie der Bettenabbau gefördert wird.

Und gegen die Personalknappheit hätte man auch seit 2 Jahren etwas tun können. Auch ein durchdachtes/ funktionsfähiges Konzept zur kurzfristigen Nothilfe aus anderen Bereichen wäre eine Idee.

Aber man kann natürlich auch alles auf die zu niedrige Impfquote schieben. Das ist deutlich bequemer.

Nelke am 31.01.2022

Die über die hohen Kosten jammern lassen, sind nicht selten die Profiteure. Was sie nicht sagen: höhere Profite sind das wahre Ziel- der Wenigen Gewinn und der Mehrheit Kosten. Übrigens gab es vor Einführung der Fallpauschalen grundlegende Kritik von u.A. Ärzten und einigen Gesundheitspolitkern, Kritik, die von der Realität noch übertroffen wurde: Überproportionale Erhöhung der Zahl lohnender Operationen und Behandlungen, Druck auf die Ärzte zur Erhöhung der Einnahmen, Zunahme von Schäden bei Patienten und zu schnelle Entlassung in die medizinische Versorgungswüste, da die ambulante Betreuung in der Fläche ja teils auch nicht mehr vorhanden ist. Solange Gewinnerwartung, Kapitalanleger von Klinikkonzernen und hohe SV-Beiträge des Personals die Lage bestimmen, wird sich das Problem verschlimmern.

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