Jahrestag des Kriegsbeginns Krieg in der Ukraine: Das sind die Folgen für Sachsen-Anhalt

23. Februar 2023, 18:35 Uhr

Vor einem Jahr marschierten russische Truppen auf breiter Front in der Ukraine ein. Wie viele Geflüchtete sind seitdem nach Sachsen-Anhalt gekommen und welche Folgen der Angriffskrieg für Wirtschaft und Arbeitsmarkt hierzulande hat. Fragen und Antworten.

Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine hat Sachsen-Anhalt bislang aufgenommen?

Nach Angaben des Magdeburger Innenministeriums hat Sachsen-Anhalt bislang rund 29.700 Menschen aus der Ukraine aufgenommen, die aufgrund des Krieges geflüchtet sind (Stand: 20. Februar 2023). Wie sich die Geflüchteten auf die Landkreise bzw. kreisfreien Städte verteilen, sehen Sie in der Grafik:

Etwa zwei Drittel der aus der Ukraine Geflüchteten, die nun in Sachsen-Anhalt leben, sind weiblich. Rund ein Drittel der Geflüchteten ist minderjährig. Wie das Innenministerium in Magdeburg MDR SACHSEN-ANHALT mitteilte, sind die Aufnahmekapazitäten vor allem in Halle, Magdeburg und Dessau "sehr angespannt."

Momentan werden wöchentlich rund 110 neuankommende Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine in Sachsen-Anhalt durch die Aufnahmekommunen erfasst. Das Innenministerium hat keine Hinweise darauf, dass diese Zahl künftig steigen könnte. Auf "Veränderungen der Zugangsentwicklung" würden das Land und die Kommunen "im Bedarfsfall angemessen reagieren", teilt das Innenministerium mit.

Weiter heißt es aus der Behörde, dass Sachsen-Anhalt mehr Geflüchtete aufgenommen habe, als es nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel gemusst hätte. Mit dem Königsteiner Schlüssel wird festgelegt, wie Asylsuchende auf die einzelnen Bundesländer verteilt werden.

Wie viele Kinder und Jugendliche aus der Ukraine besuchen in Sachsen-Anhalt Schulen oder Kindestagesstätten?

Nach Auskunft des Landesschulamtes besuchten im Januar insgesamt 5.708 aus der Ukraine geflohene Kinder und Jugendliche öffentliche Schulen in Sachsen-Anhalt. Die Zahl sei in den letzten Wochen stabil und würde sich nur noch sehr langsam erhöhen. Zudem wurden nach Angaben des Landesschulamtes 192 ukrainische Lehrkräfte befristet bis zum Ende des Schuljahres 2022/23 eingestellt. Diese unterrichten nun Ankunftsklassen.

Wie viele der fast 7.000 ukrainischen Schülerinnen und Schüler im Land in den Ankunftsklassen unterrichtet werden, wird vom Landesschulamt nicht erfasst. Grundsätzliches Ziel sei die Beschulung im Regelunterricht, den die ukrainischen Kinder und Jugendlichen besuchen dürften, sobald es ihr individueller Lernstand zulasse, teilt das Amt mit. Der Übergang von der Ankunftsklasse in den Regelunterricht sei fließend.

In Sachsen-Anhalts Tageseinrichtungen und Tagespflegestellen waren nach Angaben des Sozialministeriums im Januar 1.725 aus der Ukraine geflüchtete Kinder angemeldet: 625 in Horten sowie 1.100 in Krippen und Kindertagesstätten. Auch in der Kinderbetreuung hätten Menschen aus der Ukraine Beschäftigung gefunden, etwa als Erzieherinnen und Erzieher. Die genaue Zahl der aus der Ukraine Geflüchteten, die nun hierzulande in der Kinderbetreuung arbeiten, werde allerdings nicht erfasst.

Wie gut klappt die Integration der Geflüchteten aus der Ukraine in Sachsen-Anhalts Arbeitsmarkt?

Zwischen 31. Dezember 2021 und 30. Juni 2022 hat sich die Zahl der in Sachsen-Anhalt sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ukrainerinnen und Ukrainer nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit von 980 auf 2.065 mehr als verdoppelt. Aktuellere Daten liegen noch nicht vor. Es lässt sich daher annehmen, dass in diesem Zeitraum rund 1.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Sachsen-Anhalt eine Beschäftigung aufgenommen haben.

Besonders viele Menschen aus der Ukraine fanden den Daten zufolge im ersten Halbjahr 2022 hierzulande einen Job im Gartenbau, in der Lebens- und Genussmittelherstellung, als Reinigungskräfte, in der Lagerwirtschaft oder als Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen.

Damit Ukrainerinnen und Ukrainer Zugang zu besser bezahlten Jobs haben, sind sie oft auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse aus der Heimat angewiesen. Nach Angaben des Magdeburger Sozialministeriums seien hier bereits erste Erfolge zu verzeichnen. So konnten demnach etwa im Bereich der Gesundheitsberufe erste ukrainische Abschlüsse anerkannt und Berufserlaubnisse erteilt werden. Gute Chancen für eine Gleichwertigkeitsfeststellung bestünden zudem bei handwerklichen Berufen, insbesondere, wenn Berufserfahrung nachgewiesen werden könne.

Wie hat sich der Krieg in der Ukraine auf die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt ausgewirkt?

Auch nach dem Einmarsch seiner Truppen in die Ukraine hat Russland zunächst seine Bedeutung als wichtiger Handelspartner für Sachsen-Anhalts Wirtschaft behalten. So lag Russland bei den wichtigsten Importländern Sachsen-Anhalts im ersten Halbjahr 2022 nach Angaben des Landeswirtschaftsministeriums mit Abstand auf dem ersten Platz: Demnach wurden in diesem Zeitraum Waren im Wert von 1,88 Milliarden Euro aus Russland nach Sachsen-Anhalt importiert, das entspricht rund 15,5 Prozent der Gesamtimporte. Dabei handelt es sich vor allem um Gas- und Öllieferungen.

Bei den Exporten spielt Russland für Sachsen-Anhalt dagegen eine immer kleinere Rolle. Im ersten Halbjahr 2022 wurden Waren im Wert von etwa 134 Millionen Euro nach Russland ausgeführt. Das Minus von 19 Millionen Euro im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 dürfte sich auch auf die gegen Russland verhängten Sanktionen zurückführen lassen. In der Liste der wichtigsten Exportländer Sachsen-Anhalts liegt Russland nur noch auf Platz 19.

"Einzelne Unternehmen haben ihr Russland- bzw. Belarus-Geschäft teils komplett eingestellt, andere arbeiten, soweit nicht sanktionsbewehrt, bestehende Aufträge nach wie vor ab. Neugeschäft ist derzeit nicht bekannt bzw. zu verzeichnen", schreibt das Magdeburger Wirtschaftsministerium auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT.

Marco Langhof, der Präsident der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalt, sagt, der Krieg in der Ukraine habe die Wettbewerbsfähigkeit der sachsen-anhaltinischen Wirtschaft auf den internationalen Märkten schwer beeinträchtigt: "Neben den bislang schon extrem hohen Arbeitskosten steigen nun auch die Kosten für Energie und für Rohstoffe und Vorprodukte. Viele Kunden können sich deutsche Produkte schlicht nicht mehr leisten", so Langhof. Besonders die Chemieindustrie habe es hart getroffen.

Die Handwerkskammern sowie die Industrie- und Handelskammern im Land beklagen neben der Kostenexplosion für Energie auch eine spürbar gesunkene Nachfrage bei privaten Verbrauchern.

Haben russische Deserteure in Sachsen-Anhalt Zuflucht gesucht?

Im gesamten Jahr 2022 haben nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 77 russische Staatsangehörige einen Asylerstantrag in Sachsen-Anhalt gestellt. Bei wie vielen davon es sich um Deserteure bzw. Kriegsdienstverweigerer handelt, ist unklar. Da sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2021, in dem es landesweit 43 Asylerstanträge russischer Staatsangehöriger gab, fast verdoppelt hat, ist jedoch anzunehmen, dass ein möglicher Kriegseinsatz bei manch Asylsuchendem ein Fluchtmotiv gewesen ist.

Auch bundesweit ist nach Angaben des BAMF ein Anstieg der Asylanträge russischer Staatsbürger zu beobachten. So habe es zwischen 2021 und August 2022 stets zwischen 100 und 200 Erstanträge pro Monat gegeben. Seit der russischen Teilmobilmachung im September 2022 sei ein kontinuierlicher Anstieg der Antragszahlen festzustellen. Im September 2022 belief sich die Zahl demnach auf 242, im Oktober auf 313 und im November auf 503 Anträge. Im Dezember 2022 sei mit bundesweit 529 Asylerstanträgen ein vorläufiger Höhepunkt verzeichnet worden.

Mehr zu den Folgen des Krieges in der Ukraine für Sachsen-Anhalt

MDR (Lucas Riemer, Georg Hölting)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. Februar 2023 | 19:00 Uhr

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