Ein Mann mit kurzen dunklen Haaren 1 min
Der parteilose Bürgermeister von Muldestausee: Ferid Giebler. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer
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MDR SACHSEN-ANHALT Mi 07.08.2024 19:16Uhr 00:34 min

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Statt Brandmauer Gemeinsame Sache: AfD, CDU und SPD entmachten Bürgermeister von Muldestausee

09. August 2024, 12:17 Uhr

Die AfD in Muldestausee hat dem dortigen Bürgermeister wichtige Befugnisse entzogen. Sie konnte sich dabei auf Stimmen von CDU und SPD stützen. Der Bürgermeister spricht von Willkür. Ein Widerspruchsverfahren könnte nun folgen.

Daniel Salpius schaut freundlich
Bildrechte: MDR/Tilo Weiskopf

Politiker von CDU und SPD haben in der Gemeinde Muldestausee in Anhalt-Bitterfeld gemeinsam mit der AfD dem hauptamtlichen Bürgermeister Ferid Giebler (parteilos) wichtige Befugnisse entzogen. Nach MDR-Informationen verhalfen CDU-Fraktion und Freie Fraktion, der auch ein SPD-Mann angehört, der AfD am Freitagabend in einer Sondersitzung zur notwendigen Stimmenmehrheit, um die Hauptsatzung der Gemeinde in entscheidenden Punkten zu ändern.

Stimmenverteilung im Gemeinderat von Muldestausee

Bürgermeister: 1 Stimme
AfD-Fraktion: 9 Stimmen
CDU-Fraktion: 3 Stimmen
Freie Fraktion: 3 Stimmen
Wir für Müldestausee: 13 Stimmen

Der Bürgermeister darf demnach über außerplanmäßige Ausgaben, Rechtsgeschäfte und die Vergabe freiberuflicher Leistungen nur noch bis zu einer Höhe von 5.000 Euro selbst entscheiden. Zuvor lag die Grenze bei 10.000 Euro. Zum Vergleich: Raguhn-Jeßnitz‘ AfD Bürgermeister Hannes Loth darf laut dortiger Hauptsatzung über Ausgaben bis 15.000 Euro selbst entscheiden. In Zörbig sind es sogar 20.000 Euro.

Bürgermeister Giebler: "Brandmauern existieren nicht"

Ferner ist Giebler mit dem von der AfD initiierten Beschluss künftig nicht mehr stimmberechtigtes Mitglied in beschließenden Ausschüssen. Bislang hatte er dagegen als Hauptverwaltungsbeamter in den Ausschüssen den Vorsitz inne. Das soll nun stattdessen ein ehrenamtliches Mitglied aus den Reihen des Gemeinderates übernehmen.

Ferid Giebler sieht sich nach eigenen Angaben massiv in der Ausübung seines Amtes beschnitten: "Die angestrebte Änderung der Hauptsatzung ist nichts anderes als der Versuch, uns komplett lahmzulegen", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT. Würden mit den Beschlüssen kleine, aber notwendige Maßnahmen künftig in Ausschüssen statt durch die Verwaltung entschieden, "werden wir vom Igel- ins Schneckentempo zurückversetzt", so Giebler weiter. Er spricht etwa von der Beschaffung von Feuerwehrhelmen, kleinsten Baumaßnahmen oder Reparaturen kommunaler Fahrzeuge.

"Bezeichnend ist, dass sich Parteienvertreter von CDU, Freie Wähler und SPD an Beschlüsse ihrer Landesparteien nicht gebunden fühlen. Brandmauern existieren nicht", kritisiert Giebler. Hinter dem Vorgehen stehen aus seiner Sicht "Willkür", "das Streben nach Posten", sowie "nicht offen kommunizierte Partikularinteressen". Entmutigen lasse er sich jedoch nicht und kündigte an: "Wir werden uns gegen diese Lähmung der Gemeinde zur Wehr setzen."

Kritische Bürgernachfragen nicht beantwortet

Der Chef der zahlenmäßig größten Fraktion im Gemeinderat („Wir für Muldestausee“) Bodo Werner berichtet MDR SACHSEN-ANHALT auf Nachfrage, dass die beteiligten Fraktionen in der Sitzung keine Begründung für den Schritt geliefert hätten. "Ich habe so etwas in meinen langen Jahren in der Kommunalpolitik noch nicht erlebt." Auf kritische Nachfrage anwesender Bürger, habe AfD-Fraktionschef Volker Olenicak geäußert, dass er darauf nicht antworten müsse, erinnert sich Werner.

AfD: Wollen mehr Kontrolle und Teilhabe

Dazu sagte Olenicak MDR SACHSEN-ANHALT am Dienstag auf Nachfrage, er habe die Sitzung nicht in die Länge ziehen wollen, zudem diene die Einwohnerfragestunde nicht dazu, einzelne Räte ins "Kreuzverhör" zu nehmen. Er sprach außerdem von "Klatschpublikum", das extra "ran geholt" worden sei.

Zu den Gründen des Vorstoßes sagte Olenicak MDR SACHSEN-ANHALT, es gehe ihm um mehr demokratische Teilhabe und Kontrolle. "Wir wollen Giebler nicht aus dem Amt drängen, aber zwingen, mehr Entscheidungen mit uns gemeinsam zu treffen." Seine Fraktion habe sich in der Vergangenheit nicht genug mitgenommen gefühlt. Dass Verwaltungshandeln mit den Neuerungen ausgebremst werden könnte, wies er zurück.

Er betonte zudem, dass es sich nicht um eine Böswilligkeit der AfD handle. Die Änderungen seien mit CDU und Freier Fraktion gemeinsam erarbeitet worden. – Olenicak hatte sich 2023 als Bürgermeister von Muldestausee zur Wahl gestellt, unterlag jedoch deutlich dem Amtsinhaber Giebler, der mit fast 73 Prozent wiedergewählt wurde.

MDR SACHSEN-ANHALT hatte auch CDU-Fraktionschef und Gemeinderatsvorsitzenden Sven Manke zu den Vorgängen und Gründen dafür angefragt. Eine Antwort blieb aus.

Landesverbände von CDU und SPD wiegeln ab

Die sachsen-anhaltischen Landesverbände von CDU und SPD wollten auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT in den Vorgängen keine direkte Zusammenarbeit ihrer Mitglieder mit der AfD erkennen. "Es ist die Position der gewählten Gemeinderäte der CDU in der Gemeinde Muldestausee, dass die Einschränkung der Kompetenzen des Bürgermeisters notwendig war", erklärte CDU-Generalsekretär Mario Karschunke. Man lasse sich nicht vom Abstimmungsverhalten anderer Parteien beeinflusse, sagte er.

Der Landesvorsitzende Andreas Schmidt sagte MDR SACHSEN-ANHALT, der SPD-Gemeinderat Maik Brandt habe schon lange dafür gestritten, dem Rat wieder mehr Kompetenzen zukommen zu lassen – unabhängig von der AfD.

Chef der größten Fraktion sieht keine Verfehlungen bei Giebler

Bodo Werner, der seit vielen Jahren im Gemeinderat sitzt, 2017 noch für die CDU selbst als Bürgermeisterkandidat angetreten war und danach zunächst ebenfalls auf Konfrontationskurs mit dem Wahlsieger Giebler gegangen war, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, dass sich Giebler in seiner Amtszeit nichts hat zuschulden kommen lassen, was dieses Vorgehen rechtfertigen könne. Auch etwaige Verfehlungen bei Auftragsvergaben seien ihm nicht bekannt.

Mit 13 zu 15 Stimmen seien die Änderungen zulasten des Bürgermeisters nur sehr knapp beschlossen worden. Seine Fraktion werde nun ein Widerspruchsverfahren anstrengen, kündigte Werner an.

Sondersitzung von SPD-Mann beantragt

Pikant außerdem: Die Sondersitzung am Freitag ist laut Bürgermeister Giebler von SPD-Mann Maik Brandt beantragt worden. Er soll später auch selbst für die Änderungen der Hauptsatzung gestimmt haben. Dabei hatte seine Landespartei jedwede Zusammenarbeit mit der AfD untersagt und die CDU erst kürzlich wegen gemeinsamer Abstimmungen mit der AfD auf kommunaler Ebene scharf kritisiert.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels war von einem Abstimmungsergebnis von 14 zu 15 Stimmen die Rede. Ein Mitglied der Fraktion "Wir für Muldestausee" fehlte jedoch bei der Sitzung.

MDR (Daniel Salpius) / Zuerst veröffentlicht am 7. August 2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 07. August 2024 | 18:00 Uhr

140 Kommentare

Sharis vor 8 Wochen

Eine "Brandmauer" heißt in diesem Zusammenhang nicht, dass andere Parteien nicht für oder gegen Dinge stimmen dürfen, bei denen die AfD das tut, sondern um konkrete Verabredung eines Abstimmungsverhaltens zwischen den anderen Parteien und der AfD.
Es geht nicht darum, aus Prinzip gegen Vorstellungen der AfD zu sein, schon gar nicht in der kommunalen Tagespolitik, wo Sachfragen zu lösen sind.

pwsksk vor 8 Wochen

@Beobachter, stimmt teilweise. Das BSW ist im Aufstreben, die anderen Altparteien im Sinkflug. Wird interessant, wenn die CDU wirklich mit dem BSW koalieren wollte, egal wo. Für mich die Gegensätze schlecht hin. Ähnlich den Grünen. Schaun wir mal, wie die eigentlichen Interessen der CDU/CSU (an wen) "verraten" werden. Spätestens dann sollten die Schwarz Wähler wach werden.
Aber es lebe die Demokratie.
Es grüßt der "nonsensarrogante Minderheitsosten".

Sharis vor 8 Wochen

Nein, das MÜSSEN sie natürlich nicht im gesetzlichen Sinne.
Aber wenn man Dinge fordert, die man selbst nicht bereit ist zu ermöglichen, bzw. Dinge beklagt, die man selbst genauso tut, ist das (mMn) ganz schlechter Stil.
Gerade SPD & Grüne sind ja derzeit nicht gerade in der Position, das Wahlvolk vor den Kopf zu stoßen - also auch noch strategisch unklug.

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