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Überzeugende Konzepte gesuchtUnterrichtsausfall in Sachsen-Anhalt: Bildungsgipfel soll Lösungen bringen

19. Januar 2023, 10:00 Uhr

Nur rund 92 Prozent des Unterrichts in Sachsen-Anhalts Schulen sind tatsächlich abgedeckt. Der Grund: Es fehlen, wie in anderen Bundesländern auch, Lehrerinnen und Lehrer. Auf einem Bildungsgipfel mit Ministerpräsident Haseloff sollen Lösungen gefunden werden, den Unterrichtsausfall zumindest abzumildern. Kritiker bemängeln die schlechte Vorbereitung des Treffens.

Der Druck ist zuletzt immer größer geworden: Eltern von Schulkindern haben sich Ende vergangenen Jahres mit offenen Briefen an den Ministerpräsidenten und die Bildungsministerin gewandt. Sie fordern endlich wirksame Maßnahmen gegen Unterrichtsausfall und Lehrermangel in Sachsen-Anhalt. Unterstützung haben sie von Wirtschaft und Politik erhalten. "Was tun wir unseren Kindern an?", fragte damals beispielsweise der Landrat des Landkreises Harz, Thomas Balcerowski (CDU).

Um die Gemüter zu beruhigen, hat Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) die Lehrersuche zur Chefsache erklärt – und für diesen Donnerstag zu einem Schulgipfel in die Staatskanzlei geladen. In großer Runde – geladen sind weitere Mitglieder der Landesregierung, Eltern- und Lehrervertreter, Vertreter der Handwerkskammern, der Kommunen, aus Politik und Wissenschaft sowie Gewerkschaften und Verbände – sollen Wege gesucht werden, den Unterrichtsausfall zumindest etwas abzumildern.

Hohe Erwartungen an den Gipfel

Fakt ist, die Situation an den Schulen ist dramatisch: Zu Beginn des Schuljahres waren in Sachsen-Anhalt nur 93,5 Prozent des Unterrichts abgesichert. Neuen Zahlen von Anfang Dezember zufolge lag die Unterrichtsversorgung an den Grundschulen seinerzeit bei 95 Prozent und an den Gymnasien bei knapp 98 Prozent. Die Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen standen mit rund 88 Prozent deutlich schlechter da.

So viele Lehrer fehlen in Sachsen-Anhalt

Nach Angaben des Bildungsministeriums arbeiteten zum Stichtag am 5. Oktober 14.030 Lehrkräfte im Schuldienst an den allgemeinbildenden Schulen. Davon arbeiteten 2.500 in Teilzeit. Rein rechnerisch: Würden alle in Vollzeit arbeiten, würde das dem Ministerium zufolge etwa 570 zusätzlichen Vollzeitkräften entsprechen. Für eine vollständige Unterrichtsversorgung fehlte zum Stichtag Anfang Oktober das Volumen von 846,6 Vollzeitlehrkräften.

Dazu kommt: Viele Lehrer schieben schon jetzt Überstunden. 2022 haben sich insgesamt rund 3.300 Lehrkräfte Überstunden im Umfang von etwa 150.000 Unterrichtsstunden auszahlen lassen, wie es aus dem Ministerium hieß. Das entspreche rund 150 Vollzeitstellen. Bei einer durchschnittlichen Vergütung von etwa 45 Euro pro Unterrichtsstunde hätten sich Gesamtkosten in Höhe von rund 6,75 Millionen Euro ergeben. Die Summe habe sich in den vergangenen Jahren gesteigert.

Entsprechend groß sind die Erwartungen an das Treffen mit dem Ministerpräsidenten. "Es sind pragmatische und kurzfristige Lösungen nötig", sagt André Rummel im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. Man könne über das Thema nicht noch länger diskutieren, meint der Chef der Industrie- und Handelskammer Magdeburg. Rummel zufolge hat der massive Unterrichtsausfall gravierende Auswirkungen für die Wirtschaft. Er führe zu Defiziten bei der schulischen Ausbildung. So befürchteten die Unternehmen, dass sich durch die Bildungsmisere das Fachkräfteproblem noch weiter verschärfe.

Es sind pragmatische und kurzfristige Lösungen nötig.

André Rummel | Industrie- und Handelskammer

Der IHK-Hauptgeschäftsführer schlägt vor, die Mittel, die wegen der unbesetzten Lehrerstellen derzeit nicht gebraucht werden, den Schulen eigenverantwortlich zu überlassen. Sie könnten sich damit um Honorarkräfte aus der Wirtschaft kümmern, so Rummel. Zudem sollten alle Hochschulen im Land Lehrer ausbilden. An den Schulen selbst sollten Lehrkräfte von nicht-schulischen Aufgaben befreit werden, etwa, wenn sie auch noch IT-Administrator oder Sozialarbeiter seien, schlug er vor.

Kritiker beklagen schlechte Gipfel-Vorbereitung

Auch Matthias Rose betreibt Erwartungsmanagement vor dem Schulgipfel. Der Vorsitzende des Landeselternrates sagt im MDR SACHSEN-ANHALT-Interview, dass das Thema schon oft zur Chefsache erklärt worden ist, das sei nichts Neues. Er hoffe, dass bei dem Treffen "irgendetwas stattfindet, das zukunftsfähig ist." Konkrete Vorschläge seien ja noch nicht auf dem Tisch, es gebe auch keine Agenda. "Das finde ich ein bisschen schade." Daher glaube Rose nicht, dass der Schulgipfel ganz große Früchte trage.

Ähnliche Kritik kommt auch von der Opposition im Landtag. "Der Gipfel kommt zu spät und ist sturzgeburtartig vom Zaun gebrochen worden. Die Signale, die wir bekommen, sind, dass es keine gute Vorbereitung des Gipfels gibt, es liegt nichts auf dem Tisch", sagt Thomas Lippmann auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Der Linken-Politiker ist stellvertretender Vorsitzender des Bildungsausschusses im Landtag.

Auch der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider (AfD) hat wenig Hoffnung auf konkrete Ergebnisse. "Um die Krise des Bildungssystems zu meistern, müsste man grundlegend umdenken. Dafür ist dieser Bildungsgipfel nach seiner Planung und Anlage gar nicht in der Lage", sagt Tilschneider im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

CDU ist optimistischer als die Opposition

Erwartungsgemäß optimistischer ist dagegen Stephen Gerhard Stehli (CDU). Der Vorsitzende des Bildungsausschusses und Parteikollege von Ministerpräsident Haseloff wird selbst an dem Gipfel teilnehmen, erzählt er im Interview. "Ich erwarte, dass wir in einzelnen Punkten Lösungen finden werden", sagt Stehli. Er könne sich zum Beispiel vorstellen, Grundschule und Hort wieder zusammenzulegen und so Personal zu entlasten.

Änderungen bei der Lehrerausbildung fordert der Landtagsabgeordnete Jörg Bernstein (FDP). "Angesichts der hohen Abbrecherquote bei Lehramtsstudenten brauchen wir Änderungen", sagt der Bildungspolitiker. Beispielsweise sei für ihn fraglich, ob die Lehramtsstudenten die gleichen Vorlesungen wie die Fachstudenten besuchen müssten. "Da scheint mir mancher überfordert", sagt Bernstein auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT.

Diese Maßnahmen sollen gegen den Lehrermangel helfenBildungsministerin Feußner versucht mit vielen Maßnahmen, Lehrer nach Sachsen-Anhalt zu holen. Erst kürzlich hat das Bildungsministerium zusammen mit der Agentur für Arbeit versucht, bei einem virtuellen Speeddating potentielle Bewerber für eine Anstellung im Land zu überzeugen.

Daneben werden Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf gesucht. Geplant ist, die Einstellungsvoraussetzungen dafür so zu überarbeiten, dass auch Meister oder Techniker ohne Hochschulabschluss eingestellt werden können. Bewähre sich ein Seiteneinsteiger vor der Klasse über mehrere Jahre und absolviere Fortbildungen, könne er auch einem Angestellten in der Entgeltgruppe gleichgestellt werden. Dafür seien aber noch rechtliche Änderungen nötig, hieß es im Dezember aus dem Bildungsministerium.

Außerdem vergibt das Land Stipendien an angehende Lehrer, wenn sie später an Schulen auf dem Lande arbeiten. Wie das Bildungsministerium mitteilte, gehen in diesem Jahr insgesamt 50 Stipendien an Lehramtsstudenten und ab dem kommenden Jahr 25 Stipendien. Monatlich werden demnach 600 Euro gezahlt. Die Stipendiaten verpflichteten sich im Gegenzug, nach dem Studium in einer sogenannten Bedarfsregion zu unterrichten. Vorrangig sollen Lehrer für Sekundarschulen gefunden werden.

Bildungsministerin Feußner setzt im Kampf gegen den Lehrermangel auf eine Vielzahl von Maßnahmen. "Es gibt kein Patentrezept gegen den derzeitigen Unterrichtsausfall, es gibt nicht die eine Lösung am Horizont, die spontane Heilung verspricht. Im Gegenteil: Wir müssen jeden Stein umdrehen, jede Regelung aus der Vergangenheit auf Sinnhaftigkeit, auf Effizienz überprüfen", sagte Feußner Mitte Dezember im Landtag.

Aus Sicht der Grünen und der SPD ist auch die schon lange diskutierte bessere Bezahlung von Grundschullehrkräften notwendig. SPD-Fraktionschefin Pähle sprach von einem "Gebot der Stunde", damit sich fertige Hochschulabsolventen nicht in andere Länder bewürben, in denen besser bezahlt werde. Sie will zudem Schulen mehr eigenen finanziellen Handlungsspielraum geben, damit sie selbst kurzfristige Vertretungslösungen etwa für erkrankte Lehrer organisieren könnten. Zudem müsse Geld, das wegen nicht besetzter Lehrerstellen nicht ausgegeben werde, in Schulen und Kommunen eingesetzt werden können. So könnten beispielsweise pädagogische Mitarbeiter, Schulverwaltungsassistenten und Honorarkräfte für Entlastung sorgen.

Die Grünen-Fraktion erklärte zudem, sie habe im Landtag Maßnahmen zur Verbesserung der Gehälter von Lehrkräften in besonderen Mangelfächern sowie Schulformen und Regionen beantragt. Auch sollten die Bedingungen für den Seiteneinstieg verbessert werden.

"Die Vorschläge liegen auf dem Tisch, aber sie müssen finanziert werden", sagt die Landtagsabgeordnete Susan Sziborra-Seidlitz (Bündnis 90/Die Grünen) im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Was deshalb so ein bisschen positiv stimmt, ist, dass an diesem Bildungsgipfel auch der Finanzminister teilnimmt", so Sziborra-Seidlitz. Vielleicht lassen sich ja kurzfristige Verbesserungen bei der Lehrerversorgung mit etwas zusätzlichem Geld erreichen. Es wäre nicht das erste Mal, dass mit Geld Probleme gelöst werden konnten.

Vielleicht ja auch diesen Donnerstag in der Staatskanzlei.

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MDR (Norma Düsekow, Hannes Leonard, Georg Hoelting, Jochen Müller), dpa

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. Januar 2023 | 06:00 Uhr

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