Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Im Landtag von Sachsen-Anhalt soll eine Enquete-Kommission Maßnahmen wie die Maskenpflicht auswerten. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / ari

Drei Jahre nach erster InfektionAufarbeitung oder Abrechnung: Landtag will Corona-Politik auswerten

19. März 2023, 10:41 Uhr

Die Corona-Pandemie ist vorbei – aber das Virus ist geblieben. Und mit ihm viele Fragen, insbesondere mit Blick auf die politischen Entscheidungen, die in drei Jahren Corona für erhebliche Debatten gesorgt haben. Vorbereitet wurde vieles davon in Krisenstäben, die Parlamente waren kaum beteiligt. Und nun? Sachsen-Anhalts Landtag will die Erfahrungen aus der Pandemie in einer Enquete-Kommission. Das sorgt für gemischte Reaktionen.

Als Sachsen-Anhalts Landesregierung im Frühjahr 2020 mit einer ersten Verordnung die Corona-Maßnahmen in Gang setzte, war Konstantin Pott noch kein Mitglied des Landtages, denn die FDP war zu dieser Zeit noch in der außerparlamentarischen Opposition. Somit könnte man der FDP eine gewisse politische Absicht unterstellen, wenn sie jetzt die Einsetzung einer Enquete-Kommission fordert, um die Corona-Maßnahmen zu überprüfen. Doch die Liberalen wollen nicht nachkarten, so Konstantin Pott: "Gerade zu diesem Zeitpunkt, als man noch nicht viel wusste, hat man recht vernünftige Entscheidungen getroffen. Der Vorteil bei einer Enquete-Kommission ist ja, dass man sich auch mit Fachleuten austauscht."

Im Nachgang sei es wichtig, zu schauen, was gut funktioniert habe – und was eben auch nicht. So kritisieren die Liberalen zum Beispiel die 2G-Regel oder auch Schließungen von Schulen und Kindergärten. Dennoch steht für Pott fest:

Es geht nicht darum, einzelne Personen, Regierungen oder Regierungsfraktionen vorzuführen, sondern sich wirklich zusammenzusetzen und das Ganze transparent aufzuarbeiten.

Konstantin Pott (FDP) | Landtagsabgeordneter

Grüne befürchten Instrumentalisierung

Aus Sicht der Grünen im Landtag wäre die Einsetzung einer solchen Kommission allenfalls eine Art Schaufensterpolitik. Susan Sziborra-Seidlitz, die gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Partei, befürchtet eine parteipolitische Auseinandersetzung, ohne echtes Interesse an Aufklärung.

Ein Teil der Debatten hatte ja das Ziel, die bedrohliche Situation für die eigene politische Agenda zu nutzen. Da haben politische Kräfte in unverantwortlicher Art und Weise die vorhandenen Ängste von Menschen instrumentalisiert.

Susan Sziborra-Seidlitz (Bündnis 90/Die Grünen) | Landtagsabgeordnete

Auch Susan Sziborra-Seidlitz erlebte die Corona-Pandemie nicht im Landtag, sondern als Krankenpflegerin im Harzklinikum Quedlinburg. Sie erinnert sich noch sehr gut an die Diskussion um die einrichtungsbezogene Impfpflicht: "Vor allem junge Kolleginnen waren es, die sich nicht haben impfen lassen, weil sie gehört hatten, dass dies in irgendeiner Form schädlich wäre, für die Fruchtbarkeit oder für spätere Kinder."

Stichwort: Enquete-KommissionEnquete-Kommissionen sollen in Parlamenten im Vorfeld von Entscheidungen dazu dienen, gemeinsame Positionen zu erarbeiten. An ihnen sind Abgeordnete aller Fraktionen beteiligt, außerdem Sachverständige von außerhalb des Landtags. Sie legen anschließend gemeinsam einen Abschlussbericht vor. In Sachsen-Anhalt sitzen 13 Abgeordnete in einer Enquete-Kommission. Zuletzt hatte der Landtag ein solches Gremium eingesetzt, um Reformen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu diskutieren.

Solche Falschmeldungen seien ganz bewusst verbreitet worden, auch mit dem Ziel, das Vertrauen in das staatliche Handeln zu untergraben. Eine Enquete-Kommission im Landtag könnte dazu führen, dass unwissenschaftliche Ansichten erneut in der Öffentlichkeit debattiert würden, befürchtet die Grüne.

AfD fordert Untersuchungsausschuss

Ulrich Siegmund (AfD) wll sich nicht festlegen bei der Frage, ob es sich um eine Pandemie handelte oder nicht. Bildrechte: IMAGO / Christian Schroedter

Ulrich Siegmund, der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag, hält den Vorwurf der Grünen für unberechtigt. Allerdings hatte ja die AfD in Sachsen-Anhalt erheblichen Anteil an den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Und so will sich Ulrich Siegmund auch heute nicht festlegen bei der Frage, ob es sich bei Covid-19 um eine Pandemie handelte oder nicht: "Ich rede rückblickend von einer politischen Entscheidung aufgrund eines Viruserregers, der weltweit viele Fragen aufgeworfen hat. Die Erfahrung einzelner Länder wie Schweden, die einen Kurs des gesunden Menschenverstandes gefolgt sind, hat diesen Ländern recht gegeben."

Auch auf Nachfrage bleibt Siegmund dabei, man könne nicht definieren, ob es sich um eine Pandemie gehandelt habe oder nicht. Deutlich klarer hingegen fällt seine Meinung zur politischen Bewertung der Corona-Politik in Sachsen-Anhalt aus.

Unserer Meinung nach braucht es ganz klar einen Untersuchungsausschuss, weil wir aufdecken müssen: Was ist hier genau passiert? Wer hat welche Fehlentscheidungen getroffen?

Ulrich Siegmund (AfD) | Landtagsabgeordneter

Allerdings fehlen der AfD ein paar Prozentpunkte, um im Landtag aus eigener Kraft einen solchen Untersuchungsausschuss auf den Weg zu bringen. Neben den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kritisiert Ulrich Siegmund auch den Umstand, dass der Landtag bei den Entscheidungen der Landesregierung kaum beteiligt worden sei. Denn die Eindämmungsverordnungen wurden ja von einem Krisenstab vorbereitet und dann per Erlass auf den Weg gebracht.  

Stichwort: UntersuchungsausschussBeantragt mindestens ein Viertel aller Landtagsabgeordneten die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, muss der Landtag dem folgen. Dieses Minderheitenrecht gilt besonders für Oppositionsfraktionen als bedeutend, um Missstände in der Regierungsarbeit aufzudecken. Ein Untersuchungsausschuss darf Zeugen laden und Akten einsehen. In Sachsen-Anhalt war ein Untersuchungsausschuss zum Beispiel eingesetzt worden, um mögliche Versäumnisse der Behörden vor dem antisemitischen und rassistischen Anschlag von Halle aufzuarbeiten.

CDU setzt auf Lerneffekt und neue Debattenkultur

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Tobias Krull, ist politisch ziemlich weit von seinem AfD-Kollegen entfernt. Dennoch teilt er die Ansicht, dass der Landtag in die Entscheidungen zu wenig eingebunden war: "Wir hätten neben der regelmäßigen Berichterstattung im Sozialausschuss auch das Parlament insgesamt mitnehmen müssen. Es blieb ein Thema für die Fachpolitikerinnen und -politiker. Die große Masse des Parlaments war weniger eingebunden."

Und das habe auch dazu geführt, dass die Kommunikation mit den Wählerinnen und Wählern eher eingeschränkt funktionierte. Eine Enquete-Kommission biete die Möglichkeit, genauer zu prüfen, welche der Corona-Maßnahmen richtig waren – welche aber auch nicht. Zudem wirft Tobias Krull auch einen selbstkritischen Blick auf die Debattenkultur der letzten Jahre.

Wir haben verlernt, einander zuzuhören und uns selbst zu hinterfragen. Die Fähigkeit, die eigenen Argumente auch mal zu mit den Argumenten der Gegenseite zu betrachten, das fällt momentan im politischen Geschäft sehr schwer.

Tobias Krull (CDU) | Landtagsabgeordneter

Ob eine Enquete-Kommission die Möglichkeit bietet, eine andere Form der politischen Auseinandersetzung zu finden, ist nach Lage der Dinge im Landtag aber wohl eher unwahrscheinlich.

Linke sieht erheblichen Klärungsbedarf

Die damalige schwarz-rot-grüne Landesregierung habe bewusst das Parlament bei den Entscheidungen zur Eindämmung von Covid-19 außen vor gelassen, kritisiert Eva von Angern, Fraktionschefin der Linken im Landtag. Das habe zu sehr fragwürdigen Entscheidungen geführt, mit weitreichenden Konsequenzen für die Bürgerinnen und Bürger. Es habe zum Beispiel Pandemiestäbe gegeben, so Eva von Angern, in denen keine einzige Frau vertreten war.

Da wurden beim Anspruch auf Notbetreuung viele Berufsgruppen einfach außen vor gelassen, weil der Erfahrungshorizont von Frauen fehlte.

Eva von Angern (Die Linke) | Landtagsabgeordnete

Plötzlich habe es für viele Frauen gehißen: Zurück an den Herd, was insbesondere für Alleinerziehende ein Problem dargestellt habe. Weil die Entscheidungen am Landtag vorbeiliefen, habe zudem die Transparenz gefehlt, so von Angern: "Unser Wissen und unsere Ideen konnten nicht einfließen in die Maßnahmen und zugleich war es schwer für die Menschen, die Entscheidungen nachvollziehen zu können."

Auch deshalb hatte die Linke im Dezember vergangenen Jahres vorgeschlagen, dass sich der Landtag bei den Kindern und Jugendlichen entschuldigen sollte, für die Probleme, die durch die Corona-Politik verursacht wurden. "Das ist abgelehnt worden von allen anderen Fraktionen. Ich bedauere das sehr, weil ich finde, es wäre richtig, einzuräumen: Wir haben hier Fehler gemacht."

SPD will Lehren für Bevölkerungsschutz ziehen

Sachsen-Anhalts SPD-Landtagsfraktion sieht ebenfalls, dass im Umgang mit Kindern und Jugendlichen Fehler gemacht wurden. Dass am Parlament vorbei regiert wurde, sieht SPD-Fraktionschefin Katja Pähle jedoch nicht als großes Problem: "Krisensituationen sind immer Zeiten der Exekutive, weil man schnelle Entscheidungen braucht. Man stelle sich vor, für verschiedene Maßnahmen hätten wir erst lange Anhörungen gemacht." Aus heutiger Sicht sei so manches eben auch mit heißer Nadel gestrickt worden, weil die Zeit für eine genauere Abstimmung in den Pandemiestäben fehlte.

Natürlich sind Fehler passiert, zum Beispiel die Dinge, die dann vom Verfassungsgericht bemängelt wurden. Ich glaube, da darf man die besonderen Herausforderungen der damaligen Zeit nicht außer Acht lassen.

Katja Pähle (SPD) | Fraktionsvorsitzende

Die Einsetzung einer Enquete-Kommission halt Katja Pähle durchaus für sinnvoll, denn vor Corona habe das Thema Bevölkerungsschutz keine große Rolle gespielt. "Wenn wir wieder in eine solche Situation kämen, was haben wir gelernt? Was haben wir seitdem verbessert? Wo haben wir Konsequenzen gezogen? Ich glaube, das ist ein Punkt, den man sich tatsächlich anschauen kann. Besser zu werden, kann nie verkehrt sein."

Andere Debattenkultur wird angemahnt

Dass die Corona-Maßnahmen für erhebliche Diskussionen gesorgt haben, in Familien, Freundeskreisen, oder auch im Arbeitsleben, wird in allen Landtagsparteien als Problem gesehen. Die Spaltung, etwa beim Thema Impfen, wirkt bis heute bei vielen noch nach. Dass nun eine Enquete-Kommission für eine Befriedung sorgen könnte, scheint jedoch eher unwahrscheinlich zu sein. Denn schon im Vorfeld zeigt sich, dass auch im Landtag die Meinungen zur Corona-Politik weiterhin unversöhnlich aufeinanderprallen.

Mehr zum Thema: Drei Jahre Corona in Sachsen-Anhalt

MDR (Uli Wittstock, Lukas Kammer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 16. März 2023 | 07:45 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen