Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

Corona-PandemieFünf Wahrheiten über das Arbeiten im Homeoffice – und Prognosen für die Zukunft

11. Februar 2021, 19:15 Uhr

Tobias Kremkau berät Unternehmen zum Wandel von Arbeit. Bei MDR SACHSEN-ANHALT erklärt der Experte, warum nicht jeder im Homeoffice arbeiten kann und Angestellte trotzdem nie wieder wie vor der Corona-Pandemie in die Büros zurückkehren werden.

Diese eine Anekdote hörte Tobias Kremkau in den vergangenen Jahren immer wieder. "Ja, wir haben einen Laptop für ortsunabhängige Arbeit. Den hat gerade die Mitarbeiterin, die zuletzt schwanger war und jetzt in Teilzeit arbeitet." Das hätten ihm Führungskräfte von Unternehmen ständig erzählt, wenn es um mobiles Arbeiten ging.

Kremkau, gebürtiger Magdeburger und Coworking-Experte, sagt: "Sehr lange hat das Homeoffice in der öffentlichen Wahrnehmung gar keine Rolle gespielt." Doch mittlerweile reicht ein Laptop längst nicht mehr.

Zur Person: Tobias Kremkau

Tobias Kremkau berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Der gebürtige Magdeburger hat Politikwissenschaften in München, Venedig und Berlin studiert.

Er ist Mitgründer der German Coworking Federation (GCF) und Mitorganisator der jährlich stattfindenden COWORK, der größten Konferenz mit Barcamp der deutschsprachigen Coworking-Branche.

Das Arbeiten im Homeoffice prägt die Arbeitswelt während der Corona-Pandemie. Kremkau sagt: "Rückblickend betrachtet werden wir über die aktuelle Zeit einmal sagen, dass wir die ersten kleinen Trippelschritte bei diesem Thema gemacht haben." Und viele Erfahrungen gesammelt haben – denn die Arbeit von zu Hause ist aufgrund der aktuellen Umstände umstritten.

Fünf Wahrheiten über die Arbeit und Homeoffice – und Prognosen für die Zukunft:

1.) Wir erleben gerade nicht das Homeoffice, wie es sein sollte

Und das ist laut Tobias Kremkau eine Gefahr. "Für viele gibt es einen Zwang, von zu Hause zu arbeiten. Das ist auch vernünftig in der pandemischen Situation", sagt er. Doch: "Jetzt können wir zwar technisch und rechtlich von zu Hause arbeiten, aber einige Leute werden feststellen, dass sie das gar nicht gut können."

Kremkau weiter: "Sie können sich nicht gut konzentrieren. Sie würden eher den Abwasch machen oder die Schmutzwäsche. Sie sehen die ganzen anderen Aufgaben des Privaten, die auch erledigt werden müssen. Und sie schaffen es für sich nicht, da eine Grenze zu ziehen. Wer Kinder hat, die gerade zu Hause sind, kann sowieso nicht vollwertig arbeiten. Das ist ganz klar. Dafür kann das Homeoffice-Konzept aber erstmal gar nichts, sondern die Corona-Pandemie."

Der Coworking-Experte sagt deshalb: "Es wird das Bild vom Arbeiten im Homeoffice sehr negativ prägen. Und da muss man in der Debatte auch ansetzen. Dass man aufzeigt, dass das gerade eine Ausnahmesituation ist. Das ist keine Situation, in der man darauf vorbereitet ist, von zu Hause zu arbeiten." Wie es eigentlich aber sein sollte.

2.) Nicht jeder kann und will zu Hause arbeiten – oder von zu Hause arbeiten lassen

In der Corona-Pandemie ist das konzentrierte Arbeiten in den eigenen vier Wänden gerade für Eltern nahezu unmöglich. Doch für manche Menschen ist das Homeoffice grundsätzlich nicht der richtige Ort zum Arbeiten. Viele brauchen eine Trennung von Arbeit und Privatem.

"Das fängt ja alleine beim Wohnraum an", sagt Tobias Kremkau. "Die meisten Wohnungen sind zu klein, als dass es da noch einen Arbeitsraum gibt – besonders, wenn man Familie hat. Man hat vielleicht auch keine passenden Möbel. Keinen Tisch oder auch keinen passenden Stuhl, an dem man über mehrere Stunden bequem und ergonomisch sitzen kann. Manche Menschen haben ja noch so einen alten Sekretär, weil er schön aussieht – darauf kann man vielleicht mal eine Postkarte schreiben, aber sicherlich nicht sechs bis acht Stunden fokussiert arbeiten."

Manche Angestellte wollen auch gar nicht zu Hause arbeiten. Und manche Führungskräfte wollen nicht, dass ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von zu Hause arbeiten: "Es gibt Menschen, die sehen das negativ. Vielleicht fühlen sie sich auch bedroht in ihrem Status. Das Eckbüro ist auf einmal nicht mehr relevant, wenn einen niemand mehr in diesem Eckbüro sieht. Dann ist es nur ein Raum an einem Ort in der Etage – mehr nicht."

Alles anzeigen

3.) Wir müssen ausprobieren, wo wir am besten arbeiten

Tobias Kremkau sagt: "Aufgrund der Pandemie bleibt gerade nichts anderes Vernünftiges übrig als das Homeoffice. Aber wenn wir lernen, mit Corona zu leben und das aus gesundheitlicher Sicht in den Griff bekommen, sollten wir uns fragen, wo wir stattdessen hingehen könnten."

Die Möglichkeiten seien vielfältig: "Einige Leute arbeiten im Lesesaal ihrer regionalen Bibliothek: Tische, Stühle, Ruhe, WLAN, Strom – das ist dort alles vorhanden. Andere gehen in Coworking Spaces, weil sie mehr Fokus auf ein professionelles Umfeld legen. Auch schon seit 15, 20 Jahren arbeiten manche von Cafés aus, diesen lauten, sehr lebendigen Orten. All diese Orte geben uns Struktur, aber erfüllen auch andere Bedürfnisse. Die Bibliothek kann uns Fokus geben. Das Café kann uns Zugang zu Gleichgesinnten geben. All das, was uns zu Hause fehlt, wo man sich auch sehr isoliert fühlen kann von der Arbeit und von anderen Menschen." 

Sein Tipp: Wir sollten ausprobieren, wo wir am besten arbeiten können. "Wir können das jetzt sehr theoretisch besprechen und sagen, dass das Homeoffice sehr vorteilhaft ist: weniger Verkehr, das bedeutet weniger CO2-Emission, weniger Verkehrstote, weniger Abnutzung von Infrastruktur. Das sind alles Argumente. Aber das führt bei den Leuten nicht dazu, dass sie sagen: 'Das mache ich jetzt so!' Sie brauchen dieses Positiverlebnis."

Und: "Dazu müssen sie rausgehen. Sie müssen das für sich austesten. Sie müssen sagen: 'Die Bibliothek ist es nicht, das Coworking Space ist es vielleicht auch nicht. Zu Hause funktioniert bei mir aber ganz gut.' Andere Kollegen werden das für sich aber anders entscheiden und wollen vielleicht lieber ins Büro."

4.) Wir sollten künftig selber entscheiden können, wo wir arbeiten

In Zentrum der Debatte um mobiles Arbeiten sollte laut Kremkau die Frage stehen: "Wann haben Angestellte die Handlungsfreiheit, selber zu entscheiden, wann sie von wo arbeiten?"

Also: "Fahren sie zwei Tage ins Büro, weil sie an Workshops mit Kollegen teilnehmen oder kollaborativ an etwas arbeiten? Sind sie zwei Tage die Woche zu Hause, weil sie sich den Arbeitsweg sparen wollen und vielleicht näher bei den Großeltern sind, die sie pflegen oder bei den Kindern, die sie von der Schule abholen? Und fahren sie einen Tag mal in ein Café, um einen Tapetenwechsel zu haben?"

Das sollte jeder für sich selbst entscheiden können. "Das heißt, wir müssen über Betriebsvereinbarungen reden, über Mitspracherecht in den Unternehmen. Das kann auch über die Gewerkschaften gehen. Wir dürfen nicht nur die Pole 'zu Hause' und 'Büro' sehen, sondern die Leute herausfinden lassen, sie aber auch dazu befähigen und dann selber entscheiden lassen, wann sie von wo arbeiten möchten."

Das ist die Aufgabe der Führungskräfte: Gar nicht Kontrolle und Disziplin durchzusetzen, sondern ihre Angestellten zu befähigen, am besten ihrer Arbeit nachzugehen – und das kann woanders sein.

Tobias Kremkau

Kleinere und mittelgroße Unternehmen seien oft schon weiter als Großunternehmen, was die kulturelle Bereitschaft zum mobilen Arbeiten angeht, sagt Kremkau. "Bei größeren Firmen scheint es mir ein kultureller Aspekt zu sein. Sind denn die Prozesse auch darauf ausgelegt, dass jemand nicht anwesend ist? Fühlt es sich für die Person auch gut an, nicht ins Büro zu müssen oder eher wie im Exil?"

Der Coworking-Experte berichtet: "Ich habe schon von Angestellten, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, die Frage gestellt bekommen: 'Wie macht man denn Karriere, wenn man nicht anwesend ist und nicht vom Vorgesetzten wahrgenommen wird?' Das ist eine berechtigte Frage, die sehr viel über die Kultur in diesem Unternehmen aussagt. Und deshalb kann man auch Leute nicht einfach wegschicken, wenn ein Unternehmen kulturell nicht darauf vorbereitet ist, so zu arbeiten. Man soll sich nicht wie im Exil fühlen. Man soll eingebunden sein. Es muss Möglichkeiten des Austausches geben."

Sein Blick in die Zukunft: "Es geht nicht mehr darum, ob wir das technisch oder rechtlich hinbekommen. Da finden wir Lösungen. Aber: Wie kommen die Unternehmen in sich drin dazu, diese neue Erkenntnis zu entwickeln und ihr Unternehmen danach auszurichten? Da müssen wir hinkommen."

Hintergründe und Aktuelles zum Coronavirus – unser Newsletter

In unserem Newsletter zur Corona-Lage in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen fassen wir für Sie zusammen, was am Tag wichtig war und was für Sie morgen wichtig wird.

Das Corona-Daten-Update – montags bis freitags um 20 Uhr per Mail in Ihrem Postfach. Hier können Sie den Newsletter abonnieren.

5.) Wir werden nie wieder wie vor der Pandemie in die Büros zurückkehren

Das steht für Tobias Kremkau fest. "Es wird weiterhin Büros geben, aber sie werden eine andere Funktion einnehmen", sagt der Coworking-Experte mit Blick auf die Zeit nach der Corona-Pandemie. Seine Prognose: "Die Funktion, mit Kollegen und Kolleginnen zusammenzuarbeiten, wird an Bedeutung gewinnen."

Und das würde auch den Raum verändern. "Wir brauchen weniger, kleinere Büroräume", sagt Kremkau. "Wir werden aber mehr Flächen für Zusammenarbeit haben, um zusammenzukommen. Die Büros können vielleicht auch an Verkehrsknoten liegen, sodass die Leute sie von verschiedenen Richtungen gut erreichen können. Das ist die zukünftige Aufgabe von Büros. Dazu werden wir sie weiterhin brauchen."

Doch ansonsten – da ist sich Tobias Kremkau sicher – wird sich unsere Arbeitswelt durch den Umzug ins Homeoffice während der Corona-Pandemie nachhaltig ändern.

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den AutorDaniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur arbeitet, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

MDR/Daniel George

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 10. Februar 2021 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen