Deutsche Bank
Die Deutsche Bank ist ein Global Player mit Hauptsitz in Frankfurt am Main – und Tochterfirmen in Lützen im Burgenlandkreis. Bildrechte: picture alliance / Daniel Kalker | Daniel Kalker

Steuervermeidung in Sachsen-Anhalt Mit welchen Tricks die Deutsche Bank in Lützen Steuern spart

10. April 2022, 17:53 Uhr

Lützen im Burgenlandkreis verlangt so geringe Gewerbesteuern wie kaum eine andere Gemeinde bundesweit. Auch die Deutsche Bank unterhält milliardenschwere Tochterfirmen in der Stadt – unter anderem in einem Feuerwehrgerätehaus im Ortsteil Sössen. Bislang wurden solche Praktiken zur Steuervermeidung von den Finanzbehörden toleriert. Nun wollen sie mögliche Scheinansiedlungen von Unternehmen schärfer ins Visier nehmen.

Ein paar alte Höfe, Einfamilienhäuser und Pferdekoppeln: Der Lützener Ortsteil Sössen ist ein idyllisches Dorf wie aus dem Bilderbuch. Am Rande der Ortschaft steht ein kleines Feuerwehrgerätehaus. Davor: eine Bank, ein Fahrradständer – und ein Briefkasten der DB Industrial Holdings GmbH. An der Eingangstür des Feuerwehrhauses stehen außerdem die DB Industrial Holdings Beteiligungs GmbH & Co. KG sowie vier weitere Firmen, die inzwischen nicht mehr aktiv sind – alle Tochterunternehmen der Deutschen Bank.

Laut Geschäftsbericht der Deutschen Bank verfügten die DB Industrial Holdings GmbH und die DB Industrial Holdings Beteiligungs GmbH & Co. KG im Jahr 2021 über ein Eigenkapital von jeweils mehr als 1,5 Milliarden Euro. Nur einen Steinwurf vom Feuerwehrhaus entfernt sitzt im Gemeindehaus von Sössen zudem die Benefit Trust GmbH, ein weiteres Tochterunternehmen der Deutschen Bank mit mehr als 7,7 Milliarden Euro Eigenkapital.

Warum hat die größte deutsche Bank, ein Global Player mit Niederlassungen in London, Singapur und New York, milliardenschwere Tochterfirmen ausgerechnet in einem 200-Seelen-Dorf im Burgenlandkreis?

"Paradebeispiel für aggressive Steuervermeidung"

Kommunen dürfen in Deutschland selbst über die Höhe des Hebesatzes für die Gewerbesteuer entscheiden. Sössen gehört zur Stadt Lützen. Dort liegt der Gewerbesteuerhebesatz bei 240 und damit so niedrig wie nirgendwo sonst in Sachsen-Anhalt. Zum Vergleich: Am Hauptsitz der Deutschen Bank in Frankfurt am Main ist der Hebesatz mit 460 fast doppelt so hoch. Bundesweit lag der durchschnittliche Gewerbesteuerhebesatz nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2020 bei 400.

Die Ansiedlung der Tochterunternehmen der Deutschen Bank in Lützen sei "ein Paradebeispiel für aggressive Steuervermeidung", sagt Sebastian Eichfelder, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Der Blick in die Bilanz zeige zumindest bei der DB Industrial Holdings GmbH ein recht eindeutiges Bild, so Eichfelder: Das Unternehmen vergebe Darlehen an seine Muttergesellschaft, die Deutsche Bank, für die diese entsprechende Zinsen zahle. Die Zinsen seien Einnahmen für die Tochtergesellschaft und gleichzeitig Betriebsausgaben der Deutschen Bank, senkten also deren zu versteuernden Gewinn.

"Weil der Gewerbesteuersatz in Frankfurt deutlich höher ist als der in Lützen, spart die Deutsche Bank so mit jedem Euro, den sie als Zinsen an die Lützener Tochter zahlt, Steuern", erklärt Eichfelder. Er schätzt die Steuerersparnis der Deutschen Bank durch die seit rund 20 Jahren existierenden Tochtergesellschaften in Lützen im Laufe der Zeit mindestens auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag.

Kommune profitiert von zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen

Zunächst wirkt es, als gäbe es bei diesem Modell nur Gewinner: Während die Deutsche Bank Steuern spart, kassiert Lützen Einnahmen in Millionenhöhe. "Wir profitieren als Stadt natürlich davon, so einen großen Gewerbesteuerzahler wie die Deutsche Bank zu haben", sagt Christine Krößmann, die Fraktionsvorsitzende der Linken im Stadtrat von Lützen. "Wir haben für Millionen Euro unser Freibad saniert, gerade bauen wir einen neuen Kindergarten." Bei solchen Investitionen würden die Steuern der Deutschen Bank helfen.

"Gerecht", sagt Krößmann, "ist es aber nicht, wenn eine Stadt so viel kassiert und anderswo sind die Straßen voller Löcher, weil kein Cent übrig ist. Ich würde dafür plädieren, dass man Steuern ganz anders verteilt."

Lützens Bürgermeister Uwe Weiß (SPD) will sich zu alldem nicht äußern. Er lehnte eine Interviewanfrage von MDR SACHSEN-ANHALT ab.

Grundsätzlich entscheidet jede Kommune in Deutschland selbst, wie viel Gewerbesteuer sie verlangt. "Jeder Gewerbesteuerhebesatz über dem gesetzlichen Mindestwert von 200 Prozent ist legal und ein zulässiger Wettbewerb, um Standortvorteile zu erzielen. Das ist politisch im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung ausdrücklich so gewünscht", sagt Ralf Seibicke, der Landesvorsitzende des Bundes der Steuerzahler in Sachsen-Anhalt.

Gesamtgesellschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe

Allerdings entgingen dem deutschen Staat schätzungsweise rund eine Milliarde Euro Steuereinnahmen pro Jahr, weil sich Kommunen gegenseitig im Rennen um die niedrigste Gewerbesteuer unterböten und Unternehmen, die davon profitierten, ihre Gewinne hin- und herschöben. Das sagte Christoph Trauvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit der Tagesschau.

Legal sind diese Steuersparmodelle, sofern Unternehmen ihre Gewerbesteuern dort zahlen, wo tatsächlich ihre Beschäftigten arbeiten oder zumindest wesentliche Entscheidungen getroffen werden. Eine Betriebsstätte, die nur zum Schein in einer "Gewerbesteueroase" angemeldet wird, könnte dagegen gegen das Gesetz verstoßen. So teilt das Magdeburger Finanzministerium auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mit, "dass nicht lediglich die Verlegung (eines Unternehmenssitzes) behauptet werden und nur zum Schein erfolgt sein darf." Das, so heißt es in der Mitteilung, wäre gesetzeswidriges Verhalten, das man nicht tolerieren würde.

Ist das Feuerwehrhaus eine Betriebsstätte?

Ist das Feuerwehrgerätehaus im Lützener Ortsteil Sössen also eine ordnungsgemäße Betriebsstätte und ein "Ort der Geschäftsleitung" der DB Industrial Holdings GmbH und der DB Industrial Holdings Beteiligungs GmbH & Co. KG, wie es das Steuerrecht verlangt? Reporter von MDR SACHSEN-ANHALT waren an zwei verschiedenen Wochentagen im März vor Ort. Beide Male wirkte das Feuerwehrhaus menschenleer, die Eingangstür war verschlossen und niemand reagierte auf das Klingeln an der Tür.

Außerdem bemerkenswert: Aus der Bilanz der DB Industrial Holdings GmbH geht hervor, dass das Unternehmen im Jahr 2020 eine Betriebs- und Geschäftsausstattung im Wert von gerade mal 28 Euro hatte, davon entfiel nur ein Euro auf Lizenzen und Rechte, etwa für Software.

Die Benefit Trust GmbH im benachbarten Gemeindehaus, die im Jahr 2021 laut Jahresabschluss der Deutschen Bank 333,2 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftete, hatte ein Jahr zuvor eine Betriebs- und Geschäftsausstattung im Wert von genau 52,32 Euro. Angaben zur Betriebs- und Geschäftsausstattung im Jahr 2021 liegen nicht vor, ebenso wenig wie Angaben zum dritten Lützener Tochterunternehmen der Deutschen Bank, der DB Industrial Holdings Beteiligungs GmbH & Co. KG.

Die Deutsche Bank wollte mit MDR SACHSEN-ANHALT nicht über ihre Tochterunternehmen in Lützen sprechen. Schriftlich richtet ein Sprecher der Bank aus, dass bei der DB Industrial Holdings GmbH und der DB Industrial Holdings Beteiligungs GmbH & Co. KG. inklusive der Geschäftsführung insgesamt fünf Mitarbeitende beschäftigt seien, zum Teil in Teilzeit. Bei der Benefit Trust GmbH seien es inklusive der Geschäftsführung zwei Mitarbeitende, ebenfalls zum Teil in Teilzeit.

Der Personalstand sei für das Geschäftsmodell der Gesellschaften angemessen. Alle Mitarbeitenden seien regelmäßig vor Ort oder zumindest vor der Corona-bedingten Homeoffice-Pflicht regelmäßig vor Ort gewesen. Die Geschäftsleitung der Gesellschaften erfolge in Lützen.

Weiter schreibt der Sprecher, der Geschäftszweck der DB Industrial Holdings GmbH und der DB Industrial Holdings Beteiligungs GmbH & Co. KG bestehe im Wesentlichen im Halten von Industriebeteiligungen der Deutschen Bank. Auffällig allerdings: In der Bilanz der DB Industrial Holdings GmbH sind für das Jahr 2020 Anteile an Beteiligungen in Höhe von nur 11,20 Euro verzeichnet.

Über die Benefit Trust GmbH würde die Deutsche Bank einen Teil ihrer Altersvorsorgeverpflichtungen für ihre Mitarbeitenden verwalten, richtet der Sprecher aus.

Interessenskonflikt der Finanzbehörden

Die Finanzbehörden, die überprüfen müssten, ob Unternehmen wirklich dort arbeiten, wo sie ihre Gewerbesteuern zahlen, stünden vor einem Dilemma, sagt Sebastian Eichfelder von der Universität Magdeburg.

"Das Problem ist, dass die Finanzbehörden den Ländern zugeordnet sind. Jedes Land möchte seine Steuereinnahmen vermehren. Wenn also zum Beispiel der Stadt Frankfurt in Hessen Steuereinnahmen entgehen, aber dafür die Gemeinde Lützen in Sachsen-Anhalt mehr Steuern kassiert, dann ist das aus Perspektive der Finanzbehörden in Sachsen-Anhalt nicht unbedingt ein Problem." Deswegen würden in der Praxis meist beide Augen zugedrückt.

Künftig wollen die Behörden dem Thema jedoch mehr Aufmerksamkeit schenken. Laut einem Bericht der Tagesschau sollen bundesweit mögliche Scheinansiedlungen von Unternehmen gesucht und "Handlungsoptionen" erörtert werden.

Das Finanzministerium in Magdeburg bestätigt MDR SACHSEN-ANHALT, dass eine entsprechende Abfrage bei den Finanzämtern des Landes derzeit in Vorbereitung sei und "zeitnah durchgeführt" werden soll. Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, ob in der Vergangenheit bereits Scheinansiedlungen von Unternehmen im Land durch die Finanzbehörden unterbunden worden sind, teilt das Finanzministerium mit, dass dazu keine Erhebungen erfolgt seien.

Aufgabe des Gesetzgebers: Steuergerechtigkeit herstellen

Ralf Seibicke vom Bund der Steuerzahler in Sachsen-Anhalt sagt, es sei die Aufgabe des Gesetzgebers, Steuergerechtigkeit herzustellen und dafür zu sorgen, dass Steuern dort gezahlt werden, wo auch Wertschöpfung stattfindet. "Insbesondere mit Blick auf sogenannte Briefkastenfirmen ist das derzeit nicht immer der Fall." An der Freiheit der Kommunen, ihren Gewerbesteuerhebesatz selbst zu bestimmen, will der Steuerzahlerbund jedoch nicht rütteln.

Ähnlich äußern sich die Fraktionen des Magdeburger Landtages. Linke, Grüne, FDP, CDU und AfD antworten auf eine entsprechende Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, dass die Kommunen auch künftig selbst über ihre Gewerbesteuerhebesätze entscheiden sollten.

Grüne wollen Anhebung des Mindesthebesatzes

Die Grünen plädieren für eine bundesweite Anhebung des Mindesthebesatzes, um Steuervermeidungspraktiken einzudämmen. Die FDP will die Gewerbesteuer langfristig abschaffen und durch ein kommunales Heberecht auf die Körperschaftssteuer ersetzen.

Ein verstärktes Vorgehen gegen Briefkastenfirmen fordern Grüne und Linke, die anderen Fraktionen sehen hier keinen Handlungsbedarf. Die Landtagsfraktion der SPD ließ die Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT unbeantwortet.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass die DB Industrial Holdings GmbH im Jahr 2020 28 Euro für Betriebs- und Geschäftsausstattung ausgegeben hat, die Benefit Trust GmbH 52,32 Euro. Richtig ist, dass die Geschäftsausstattung der beiden Unternehmen im Jahr 2020 einen Wert von 28 Euro bzw. 52,32 Euro hatte. Der Text wurde entsprechend korrigiert.

Über den Autor Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über gesellschaftliche und politische Themen aus den Regionen des Landes.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 10. April 2022 | 19:00 Uhr

11 Kommentare

Ralf Richter am 11.04.2022

@Chris R
Dazu fällt mir ein Zitat von Alt-Kanzler H. Schmidt ein:
"Politiker und Journalisten teilen sich das traurige Schicksal, daß sie oft heute schon über Dinge reden, die sie erst morgen ganz verstehen."

MDR-Team am 11.04.2022

Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben das korrigiert und entsprechend gekennzeichnet. Richtig ist, dass die Geschäftsausstattung der beiden Unternehmen im Jahr 2020 einen Wert von 28 Euro bzw. 52,32 Euro hatte.

THOMAS H am 11.04.2022

Sehen Sie, ElBuffo, für Ihrem Kommentar bekommen Sie ein "Gefällt mir", weil Sie etwas suggerieren, was in meinem Kommentar nicht steht.
Aber ich erkläre Ihnen das sehr gerne, damit es nicht weiterhin mißverstanden wird.
Die 52,32 € sind nur als Beispiel für den, die steuerfreie Rente übersteigenden Betrag angegeben, so daß die Rente beziehende Person erstmalig eine Steuererklärung einreichen muß. Mit Betriebs- und Geschäftsausgaben der Rente beziehenden Person hat das nichts zu tun, wobei dennoch die Finanzbehörde gründlicher suchen wird, als in dem Fall von Lützen, da ja irgendwie die wegfallenden Steuereinnahmen hereingeholt werden müssen.

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