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Veranstaltete am Dienstag einen Energiegipfel: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff (CDU) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Peter Gercke

Treffen in MagdeburgNach Energiegipfel: Sachsen-Anhalt ringt mit Gaskrise

17. August 2022, 09:35 Uhr

Zwei Stunden lang haben Kommunen und Unternehmen auf Einladung der Landesregierung dem Bundeswirtschaftsministerium und der Bundesnetzagentur ihre Probleme angesichts der Gaskrise vorgetragen. Ministerpräsident Haseloff (CDU) drängt nun auf spezielle Wirtschaftshilfen. Energieminister Willingmann (SPD) sprach sich für eine spezielle Mehrwertsteuersenkung aus. Ein eigener Energiesparplan des Landes blieb unfertig.

In der Magdeburger Staatskanzlei sind am Dienstag Vertreter von Landesregierung, Kommunen und Wirtschaft zusammengekommen, um über die Auswirkungen derzeitigen Gaskrise auf Sachsen-Anhalt zu diskutieren. Konkrete Beschlüsse wurden auf dem sogenannten Energiegipfel nicht getroffen.

Aus dem Kreis der 80 Teilnehmenden wurde das etwas mehr als zwei Stunden lange Treffen als kurzatmig beschrieben. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gab das Prozedere selbst im Anschluss so wieder: "ein bis zwei Minuten Problembenennung" pro Teilnehmer, "dann Lösungsvorschlag". Wohin der Lösungsvorschlag adressiert werden sollte, sagte Haseloff auch – "Richtung Bund".

Das Bundeswirtschaftsministerium war mit mehreren Fachvertretern zugeschaltet. Auch Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, nahm teil. Von ihm soll die Runde erfahren haben, dass im äußersten Notfall – einer Rationierung von Gas – einzelne Bereiche oder Unternehmen 24 Stunden vorher vorgewarnt würden, bevor ihnen das Gas abgestellt wird.

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Vielfältige Probleme für Wirtschaft, Kommunen und Verbraucher

Dass es tatsächlich zum Gas-Notfall kommt, damit rechnet die Landesregierung nicht. Dennoch war schon im Vorfeld des Gipfels klar, wie angespannt die Lage ist. Ein Überblick zur aktuellen Situation:

  • Die Gaspreise steigen enorm: Wer mit Erdgas heizt und jetzt in die Grundversorgung fällt, zahlt einen Arbeitspreis von bis zu 23 Cent pro Kilowattstunde. So viel veranschlagen derzeit die Stadtwerke Zeitz. Neun weitere kommunale Versorger verlangen bereits mehr als 15 Cent, darunter die von Magdeburg, Dessau und Bitterfeld. Obendrauf kommt ab Spätherbst eine bundesweite Gasumlage von rund 2,4 Cent. Die müssen auch Unternehmen zahlen. AfD und Linke im Land fordern die Abschaffung der Umlage.
  • Geld könnte knapp werden: Aufgrund der steigenden Preise treibt Versorger und Wohnungsunternehmen die Sorge um, dass es zu erheblichen Zahlungsausfällen bei Kunden bzw. Mietern kommt.
  • Energieintensive Unternehmen bilden eigene Krisenstäbe: In der Chemie-, Papier- und Glasindustrie laufen erste Anlagen nur noch in eingeschränktem Betrieb. Die Gewerkschaften sorgen sich um Kurzarbeit.
  • Wirtschaftshilfen kommen nur bedingt an: Die Bundesregierung hat zwar ein Energiekostendämpfungsprogramm aufgelegt. Unternehmen der Chemie- und Glasindustrie können bis zu 70 Prozent ihrer zusätzlichen Energiekosten bzw. bis zu 50 Millionen Euro beantragen. Das Programm sei allerdings so konzipiert, dass gerade die in Sachsen-Anhalt vorherrschenden Chemie-Parks durchs Raster fallen würden, klagen Industrievertreter. Der bisherige Emissionsschutz verhindere auch einen schnellen Umstieg auf andere Energieträger in der Produktion.

Gespaltene Meinungen zum Format des Treffens

Antworten auf die vorgetragenen Probleme und Vorschläge konnten Bund und Land nur bedingt geben. Nicht alle Teilnehmer zeigten sich deshalb im Anschluss glücklich mit dem Format.

Zufrieden war hingegen Nora Schmidt-Kesseler, Vertreterin des Arbeitgeberverbands "Nordost Chemie". "Es ist heute klar geworden, dass man beim Emissionsschutzgesetz und beim Energiedämpfungskostenprogramm nochmal ran muss", sagte Schmidt-Kesseler dem MDR. In der aktuellen Lage brauche es einen "Schulterschluss zwischen Politik und Wirtschaft". Sie hoffe, dass der Dialog fortgesetzt werde. Selbiges kündigte auch die Landesregierung im Anschluss an. Der groß angelegte Gipfel habe lediglich dazu gedient, "in einen Dialog einzusteigen", sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).

Haseloff will gesonderte Wirtschaftshilfen

Die Löcher in den bisherigen Wirtschaftsprogrammen des Bundes erklärte Haseloff mit einer "westdeutsch geprägte Administrationsebene" in den dortigen Ministerien. Diesen seien die Gegebenheiten in den ostdeutschen Ländern weniger bekannt. Die Landesregierung dränge zudem beim Bundeswirtschaftsministerium auf eigene Wirtschaftshilfen für die Stickstoffwerke Piesteritz. Dort ruhe aktuell der Betrieb. Mit Geld vom Bund könnte zumindest die Anlage für den Diesel-Zusatzstoff AdBlue wieder anlaufen, so Haseloff.

Ein Unternehmenssprecher sagte dem MDR, dass die Anlagen derzeit aus technischen und wirtschaftlichen Gründen ruhten. Es sei richtig, dass man ohne Hilfen im Oktober den Betrieb einstellen müsste. Ab dann soll die neue Gasumlage gelten. Als Großproduzent von AdBlue und Dünger für die Landwirtschaft verstünden sich die SKW Stickstoffwerke als "systemkritisches Unternehmen", so der Sprecher weiter.

Willingmann bringt Mehrwertsteuerreduzierung für alle Energieträger ins Spiel

Neben der Wirtschaft stand auch die Situation der Menschen im Fokus. Haseloff wiederholte Forderungen nach einer Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und Vereinfachung von Wohngeldanträgen. Sachsen-Anhalts Energieminister Armin Willingmann (SPD) sagte, aktuell sei "die Bezahlbarkeit von Gas das drängendste Problem". Es brauche in jedem Fall ein weiteres Entlastungspaket des Bundes.

Schlägt 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Gas und Strom vor: Energieminister Willingmann (SPD) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Willnow

Angesichts der Diskussion um einen möglichen Wegfall der Mehrwertsteuer auf die Gasumlage, machte Willingmann einen neuen Vorschlag: Vielleicht müsste man "generell den ermäßigten Steuersatz auf Energieprodukte anwenden". Das würde sieben statt bislang 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Gas, Strom und Benzin bedeuten.

Energiespar-Maßnahmen der Landesregierung werden noch geprüft

Gleichzeitig sollen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik gleichermaßen Energie sparen. Ein eigener Energiesparplan für die Landesverwaltung wurde am Dienstag allerdings nur unter Vorbehalt beschlossen. Es liefen noch rechtliche Prüfungen einzelner Maßnahmen, hieß es. Wie die "Mitteldeutsche Zeitung" berichtet hatte, gehören zu diesen Maßnahmen auch die Ideen, Flure in öffentlichen Gebäuden nicht mehr zu heizen, Arbeitsplätze zusammenzuziehen und Landesbediensteten ein "freiwilliges" Tempolimit vorzugeben. Nicht in der Diskussion sei die Schließung von Kitas, betonte Haseloff. Er sagte, dass auch die Schulen zur Daseinsvorsorge gehörten.

Ein angepasstes Maßnahmenpaket will das Kabinett nun Ende August verabschieden. Schon jetzt würden die Ministerien allerdings eigene Einsparungen vornehmen.

Andere Bundesländer sind da weiter. Der Berliner Senat beschloss am Dienstag, die Soll-Temperatur in öffentlichen Gebäuden und Landesunternehmen der Hauptstadt auf 20 Grad zu reduzieren. Mit Ausnahmen wie Kitas, JVA, Pflegeeinrichtungen und Grundschulen soll außerdem bis März das Warmwasser abgestellt werden. Auch die Landesregierungen von Hessen und Rheinland-Pfalz haben Einsparungen auf den Weg gebracht.

Forderung nach Hilfen für Kommunen von Bund und Ländern

So bleibt es vorerst in Sachsen-Anhalt bei den Bemühungen einzelner Kommunen und Ministerien. Bernward Küper, Landesgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, erneuerte am Dienstag zudem die Forderung, dass es Hilfen von Bund und Ländern für Kommunen und kommunale Versorger brauche.

Die Hoffnungen darauf lenkte Ministerpräsident Haseloff allerdings kurze Zeit später wieder auf den Bund. Zwar will die Staatskanzlei einen landesweiten Schutzschirm juristisch geprüft haben. So etwas könnten die Länder aber nicht leisten, sagte Haseloff nun.

Große Proteste bleiben vorerst aus

Ein weiteres Thema sind mögliche Proteste. Zu denen rufen aktuell AfD und Linke im Land auf. Haseloff hatte dem MDR am Dienstagmorgen gesagt, solche Aufrufe erinnerten "an die Weimarer Republik", er appeliere an den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Bislang spiegeln sich die Aufrufe zu Protesten nicht im tatsächlichen Versammlungsgeschehen wider. Wie das Innenministerium dem MDR mitteilte, nahmen am Montag landesweit 1.430 Menschen an Aktionen teil, die sich gegen Inflation und Energiepolitik und/oder die Corona-Maßnahmen und den Umgang im Russland-Ukraine-Konflikt richteten. Zu Hochzeiten der Corona-Proteste waren bis zu 19.000 Teilnehmende gezählt worden.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Passage zu den SKW Stickstoffwerken nach im Nachhinein widersprüchlichen Angaben präzisiert.

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MDR (Thomas Vorreyer, Sabine Falk-Bartz)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. August 2022 | 19:00 Uhr

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