Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

Projekte für das GemeinwohlSo fördert die EU den ländlichen Raum in Sachsen-Anhalt

02. Juni 2024, 17:00 Uhr

In einer Serie vor der Europawahl am 9. Juni geht MDR SACHSEN-ANHALT der Frage nach, wie Menschen hierzulande von der Europäischen Union profitieren. Im sechsten Teil geht es um die Auswirkungen auf den ländlichen Raum. In Volkstedt wurde die alte Bäckerei dank EU-Mitteln saniert. Sie ist Treffpunkt im Dorf – und nur eines von zahlreichen Beispielen für umgesetzte Projekte mit EU-Förderung. Die bürokratischen Mühlen aber mahlen langsam.

Klaus Rückriem heizt den Ofen an. Nur, um zu zeigen, dass er funktioniert. Und tatsächlich: Es knistert schon bald in der Feuerstelle von 1871. Hier kann noch immer gebacken werden – und zwar dank der Europäischen Union.

"Ohne die Fördermittel der EU", sagt Klaus Rückriem, 77 Jahre alt und eine von vielen guten Seelen im Heimatverein Volkstedt, "hätten wir dieses Projekt so nicht umsetzen können." Im Rahmen des EU-Förderprogrammes Leader wurde der historische Ofen in der alten Bäckerei zu neuem Leben erweckt, später eine Ausstellung über die Geschichte des Bäckerhandwerkes im ersten Obergeschoss aufgebaut.

Heute ist die alte Bäckerei regelmäßig der Treffpunkt in dem Dorf nahe Eisleben, vor allem zum jährlichen Schaubacken. "Wenn wir dann immer sehen, wie voll es hier ist", sagt Klaus Rückriem, "wissen wir, dass sich die ganze Arbeit und das Herzblut, das wir in das Projekt gesteckt haben, gelohnt hat."

"Ohne die EU nicht möglich"

Die Baumaßnahmen in der alten Bäckerei in Volkstedt stehen beispielhaft für zahlreiche regionale Projekte, die in der Vergangenheit auch dank EU-Förderung umgesetzt werden konnten. 16 Jahre ist es mittlerweile her, dass der Heimatverein Volkstedt über die Lokale Aktionsgruppe Mansfeld-Südharz einen Antrag auf Leader-Förderung gestellt hat. Damals hauptsächlich für die Bürokratie verantwortlich: Veronika Schneider und Annett Riedel.

Die Frauen sitzen vor den Unterlagen von damals und erinnern sich. 15.000 Euro kosteten die Maßnahmen. 45 Prozent der Kosten übernahm die EU, 45 Prozent waren Eigenanteil, die restlichen zehn Prozent stellte der Landkreis. Riedel sagt: "Unser Projekt wäre ohne die Mittel der EU nicht möglich gewesen, vor allem nicht das Kernstück, die Backofensanierung. Es ist toll, dass wir diese Unterstützung erhalten haben."

Schneider nickt und sagt: "Oft ist den Leuten gar nicht bewusst, dass solche Projekte ohne EU-Förderung gar nicht möglich wären." Eine Schautafel in der ersten Etage des Museums der Backtradition erzählt deshalb von den Schritten der Leader-Förderung. Was sie nicht darstellt: die unzähligen Stunden der Antragstellung. Riedel und Schneider seufzen. "Das ist alles nicht so einfach gewesen", sagt Veronika Schneider. "Wir mussten beispielsweise immer erst drei Kostenvoranschläge von Firmen einholen, bis wir einen Auftrag vergeben konnten."

Und Annett Riedel ergänzt: "Von der Antragstellung bis zur Bewilligung sollte es nicht so viele Hürden für manche kleinere Vereine geben. Das könnte schneller gehen. Mir ist klar, dass vieles abgeklärt werden muss. Aber ich hätte mir gewünscht, dass wir so manche Stunden, die wir mit den Anträgen verbracht haben, schon im Haus hätten nutzen können."

Was ist Leader?

Leader steht kurz für "Liaison entre actions de développement de l'économie rurale“, zu Deutsch: Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft. Leader ist eine Gemeinschaftsinitiative der Europäischen Union, die Vorhaben und Projekte lokaler Akteurinnen und Akteure im ländlichen Raum fördert. Sogenannte Lokale Aktionsgruppen (LAGs) erarbeiten vor Ort Lokale Entwicklungsstrategien (LES) und entscheiden nach einem "bottom up"-Prinzip (zu Deutsch: von unten) möglichst eigenständig, welche Vorhaben mit den vorhandenen Fördermitteln unterstützt und umgesetzt werden sollen. Seit der jetzigen Förderperiode von 2021-2027 müssen diese LAGs als Verein eingetragen sein.

Leader umfasst drei Fonds:

  • ELER: Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes
  • EFRE: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
  • ESF+: Europäischer Sozialfonds


Insgesamt stehen dem Land Sachsen-Anhalt 315,8 Millionen Euro für LEADER/CLLD zur Verfügung. Davon sind 165,8 Millionen Euro im ELER-Topf, knapp 19 Millionen im EFS+ und im EFRE-Topf sind 140 Millionen Euro, davon 25 Millionen Euro für die LEADER-Managements der 24 LAGs.

In Sachsen-Anhalt gibt es 24 LAG-Regionen, die flächendeckend das ganze Land abdecken. Neu dazu kamen die kreisfreien Städte Magdeburg, Halle und Dessau:

Schulungen im Umgang mit Anträgen

Auch in der aktuellen Förderperiode, die von 2021 bis 2027 läuft, mahlen die bürokratischen Mühlen wieder langsam. In Mansfeld-Südharz wurde noch kein Projekt gefördert. Die Richtlinien der EU ließen wohl lange auf sich warten. Jetzt aber soll es allmählich losgehen.

Seit dem 1. Januar dieses Jahres arbeitet Marcus Politt als Regionalmanager für das Leader-Programm in Mansfeld-Südharz. Auch er weiß, dass "die Antragsstellung und die Formulare oft die größte Herausforderung sind. Das geht nicht mal schnell nebenbei." Gerade für kleine Vereine, in denen ehrenamtlich gearbeitet wird also eine Hürde.

Deshalb hat Politt an diesem Dienstag im Mai auch zahlreiche Vereinsvertreter zu einer Schulung bezüglich der Anträge eingeladen. Kostenpläne müssen aufgestellt werden, das Projekt begründet werden. Und: "Das Gemeinwohl steht an oberster Stelle", sagt Politt. "Die Projekte müssen der Allgemeinheit dienen."

Bildrechte: MDR/Daniel George

Ich sehe in dem Programm eine riesengroße Chance für die Akzeptanz der EU im ländlichen Raum.

Marcus Politt | Regionalmanager der Lokalen Aktionsgruppe Mansfeld-Südharz

Andere Wahrnehmung der EU im ländlichen Raum

Bei allen Kopfschmerzen, die so manche Formulare den Antragsstellern bereiten: "Ohne die EU-Förderung hätten wir sehr wahrscheinlich weniger intakte Kirchen, weniger Vereinshäuser, weniger Freibäder, Sportstätten und ein kleineres kulturelles Angebot", ist sich Marcus Politt sicher. "Die geförderten Projekte bringen den Leuten vor Ort einen Mehrwert, sie bringen die Menschen zusammen. Und es ist eine Möglichkeit, dass die EU anders wahrgenommen wird als sonst oft im ländlichen Raum."

Wie denn? "Oft hört man Stammtischparolen von Leuten, die nicht viel von der EU halten", sagt Politt. "Aber oft gibt es auch Leute, die solche Parolen verbreiten, im nächsten Moment aber positiver eingestellt sind, wenn sie erkennen, dass ein Projekt durch die EU gefördert wurde." Der Regionalmanager sagt: "Ich sehe in dem Programm eine riesengroße Chance für die Akzeptanz der EU im ländlichen Raum."

Trotzdem sagt auch er: "Das Prinzip der EU ist immer auch das Prinzip der Langsamkeit. Aber da wir mit EU-Mitteln arbeiten, ist nachzuweisen, dass diese Mittel auch richtlinienkonform verwendet worden sind. Da gilt eben auch das Prinzip der Sicherheit."

In Sangerhausen wurden Projektvertreter kürzlich bezüglich der Antragstellung für das LEADER-Programm geschult. Bildrechte: MDR/Daniel George

Erneut EU-Förderung beantragt

Zurück nach Volkstedt. Hier steht Reinhard Retzler auf dem Hof der alten Bäckerei. Auch der 74-Jährige engagiert sich im Heimatverein, freut sich bereits auf das diesjährige Schaubacken. Hunderte Menschen aus dem Dorf und der Umgebung finden dann den Weg an den historischen Ort. Es gibt Brote. Es gibt Kuchen. "Damit halten wir die Tradition am Leben", sagt Retzler. Denn: "Früher hatten wir vier Bäcker im Ort, heute gibt es keinen einzigen mehr."

Deshalb sagt er: "Wir wollen gerade den jungen Leuten vermitteln, wie es früher war." Schulklassen sind des Öfteren in der alten Bäckerei zu Gast. Neben der Ausstellung zur Bäckertradition können sie sich dort in mehreren Räumen auch anschauen, wie früher gelebt wurde. Retzler sagt: "Es ist schön, was wir hier in den vergangenen Jahren alles geschafft haben."

Ein Projekt aber gibt es noch: Der alte Pferdestall ist baufällig, soll saniert und als Ausstellungsraum für historische Backgeräte genutzt werden. Doch: Ohne EU-Förderung wird auch dieses Projekt nicht umgesetzt werden können. Der Antrag sei jedenfalls gestellt, erzählt Schatzmeisterin Veronika Schneider. Und: "Wir hoffen", sagt sie, "dass wir noch einmal Unterstützung durch die EU bekommen, um auch diesen letzten Teil fertigstellen zu können."

EU-Check: Ländlicher Raum

  • Das überweist die EU nach Sachsen-Anhalt: Im aktuellen Förderzeitraum, der von 2021 bis 2027 läuft, erhält Sachsen-Anhalt insgesamt 315,8 Millionen Euro von der EU. Das Land beteiligt sich an den LEADER-Förderungen, im Beispiel des Heimatvereins Volkstedt,mit zehn Prozent.
  • Wer profitiert davon: Ohne die EU-Förderung würde es vor allem viele Sanierungen im ländlichen Raum nicht geben. Davon profitieren vor allem lokale Projekte vor Ort: Kitas, Spielplätze, Freibäder oder wie in Volkstedt Heimatvereine. Die Projekte müssen immer zum Gemeinwohl beitragen und für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Das Ziel: nicht von oben herab entscheiden, sondern aus der Bevölkerung heraus. Deshalb gibt es lokale Aktionsgruppen, die entscheiden, wer mit wie viel Geld gefördert wird.
  • Das überrascht: Die aktuelle Förderperiode hat zwar bereits 2021 begonnen. Allerdings wurde bisher noch kein Projekt konkret gefördert, zumindest nicht mit den 315 Millionen Euro aus dem benannten Zeitraum. Die bürokratischen Mühlen mahlen diesbezüglich anscheinend langsam.
Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg, pixabay

Der EU-Check für Sachsen-Anhalt vor der Wahl

Mehr zum Thema Europawahl und EU

MDR (Nicole Franz, Daniel George)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 02. Juni 2024 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen