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Eurocamp in HaldenslebenWo junge Russen und Ukrainer friedlich zusammenleben

21. August 2022, 18:00 Uhr

Seit 1992 treffen sich junge Menschen aus der ganzen Welt jedes Jahr in Sachsen-Anhalt. Sie kommen unter anderem aus Polen, Russland und der Ukraine. Gerade in diesem Jahr eine heikle Konstellation, könnte man meinen. Doch die 28 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen hier im Kleinen, wie man friedlich miteinander leben kann. Ein Besuch.

Zwei Jahre Pandemie haben das Leben junger Menschen über weite Strecken auf Eis gelegt. Die Europäische Union (EU) hat für 2022 deshalb das Europäische Jahr der Jugend ausgerufen. Die Idee: Junge Menschen sollen neue Chancen und Perspektiven bekommen. Doch kaum scheint Corona überwunden, hält Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Europa schon wieder in Atem. Emotionale Themen, auch für Jugendliche. Und damit auch für Nikita. Er ist 16 Jahre alt, kommt eigentlich aus der Stadt Schytomyr in der Ukraine. Als Russland das Nachbarland im Februar überfällt, muss Nikita flüchten. Heute lebt er in Deutschland.

Hier lernt der junge Ukrainer Daniel Adler kennen. Adler arbeitet für die Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt (AGSA) – einen Verein, der mehrere soziale Organisationen beheimatet und seit 30 Jahren das sogenannte Eurocamp organisiert. Hier kommen jeden Sommer für zwei Wochen junge Menschen aus der ganzen Welt nach Sachsen-Anhalt. In diesen Tagen war es wieder soweit: Für 28 Teilnehmer ging es nach Haldensleben. Sie reisen aus Lettland und Albanien, Tschechien und Griechenland an. Jugendliche aus 17 Ländern sind im Camp vertreten.

Konfliktprävention im Eurocamp

Nikita ist einer von drei Ukrainern, die am Eurocamp teilnehmen. Neben ihnen sind auch junge Erwachsene aus Polen und Russland dabei. Spannungen also vorprogrammiert? Projektleiter Daniel Adler erklärt, dass bei der Anmeldung klargemacht wurde, dass es Teilnehmer aus Russland und der Ukraine geben wird. So hätten vor allem die Ukrainer entscheiden können, ob sie zwei Wochen mit einer Person aus Russland leben können. Doch auch im Camp selbst war man vorbereitet: "Wir haben ein Awareness-Team, an das sich die Teilnehmenden wenden können, wenn es Vorfälle gibt."

Für mich spielt es keine Rolle, wer aus welchem Land kommt. Ich verhalte mich allen gegenüber ganz normal.

Nikita | Jugendlicher aus der Ukraine

Doch Vorfälle innerhalb der Gruppe hat es laut Adler in den zwei Wochen nicht gegeben. Und auch Nikita sagt über sich selbst: "Für mich spielt es keine Rolle, wer aus welchem Land kommt. Ich verhalte mich allen gegenüber ganz normal." Der Krieg spielt aber natürlich trotz allem eine Rolle. Oliwia ist als Polin selbst sehr nah am Thema dran. Sie nimmt Rücksicht auf ihre Mitmenschen: "Wir reden darüber, aber in kleinen Gruppen und nicht zu viel. Denn wir haben auch Ukrainer hier, für die das ein sehr schwieriges Thema ist."

Der Krieg beschäftigt alle

Ein schwieriges Thema, das ist der Krieg für alle. Daria lebt seit neun Monaten in Magdeburg. Sie kommt aus Russland, hat dort Pädagogik, Deutsch und Englisch studiert. Sie ist als Teamerin im Eurocamp dabei – für die 25-Jährige zuerst nicht einfach: "Am Anfang hatte ich Angst zuzugeben, dass ich aus Russland komme. Ich habe für drei Ukrainer übersetzt, aber ich wollte nicht betonen, dass ich aus Russland komme, weil ich nicht wusste, wie sie reagieren würden."

Am Anfang hatte ich Angst zuzugeben, dass ich aus Russland komme.

Daria | Teamerin aus Russland im Eurocamp

Lange geheim blieb Darias Herkunft nicht, doch die Reaktion der Ukrainer war positiv. Mehr noch, inzwischen stehen sie sich sogar ziemlich nah. "Es tut natürlich manchmal weh, weil es für sie und für mich sehr aktuell ist. Es gibt Momente, in denen wir einfach diese Schmerzen miteinander teilen können", erzählt sie und meint zum Beispiel Diskriminierung, die sie alle im Alltag erleben. "Auch wenn es Krieg zwischen unseren Ländern gibt: Wir haben hier keinen Krieg und können uns besser als alle anderen unterstützen und verstehen." Denn während es untereinander im Camp zwar keine Konflikte gab, hat es zwei Vorfälle mit anderen Menschen auf Ausflügen gegeben.

Projekte und Ausflüge sorgen für Ablenkung

Abgelenkt von der Weltpolitik werden die jungen Menschen bei Projekten, Workshops und Ausflügen, die sie tagsüber gemeinsam machen. Im Außenbereich der Jugendherberge haben sie zum Beispiel ein großes Mensch-ärgere-dich-nicht-Feld gebaut. Direkt daneben ist das Mühlespiel noch im Bau. Doch die ausgehobenen Gräben lassen das Mühlefeld bereits erkennen. Nur noch die Steine, die hinterher als Linien dienen, müssen noch gesetzt werden.

Dazu kommen Ausflüge wie auf Schloss Hundisburg oder in den Landtag von Sachsen-Anhalt. Trotz Sommerpause im Parlament wurde die Gruppe von Gunnar Schellenberger (CDU) empfangen. Der Landtagspräsident präsentierte den Eurocamp-Teilnehmern den Sitzungsaal und nahm sich anschließend Zeit für Fragen. Die fielen allerdings eher mau aus. Während das Interesse am Landtag von Sachsen-Anhalt durchaus vorhanden war, konnte Schellenberger die jungen Menschen nur bedingt begeistern.

Haseloff zu Besuch

Hohen Besuch gab es einen Tag vor Schluss auch noch mal in Haldensleben. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) besuchte die Abschlussveranstaltung in der Kulturfabrik. Für ihn ein bedeutendes Thema. Zusammen mit Lotto fördert Sachsen-Anhalt das Eurocamp und möchte das, geht es nach Haseloff, auch so beibehalten. Am Rednerpult richtete der Regierungschef seine Worte vor allem an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt: "Sie als junge Menschen sind diejenigen, die eine friedliche Zukunft gestalten und zusammenhalten müssen. Das kann man am besten bei gemeinsamen Projekten in einem Camp wie hier trainieren."

Das Camp endete am Freitag. Untereinander wurden aber bereits die ersten Pläne für weitere Wiedersehen gemacht. Zwei Wochen lang sind die 28 Teilnehmer und ihre Teamer hier als eine Gruppe zusammengewachsen. Und eines könnten selbst die Staatschefs dieser Welt noch von den jungen Männern und Frauen im Eurocamp lernen, findet Nikita: "Es gibt immer die Möglichkeit, unabhängig von Nationalitäten zusammenzuleben. Da sind Kriege unnötig. Wir sind alle Menschen." Damit auch Nikita bald wieder in der Ukraine und in Frieden leben kann.

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MDR (Engin Haupt, Luca Deutschländer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 21. August 2022 | 18:00 Uhr

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