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Rasen ohne KonsequenzenDienstwagen-Fahrer von Ministern bekommen teilweise keine Bußgelder

05. Februar 2023, 18:45 Uhr

Vor dem Gesetz sind alle gleich? Das stimmt nicht ganz: Als Fahrer einer Minister-Limousine darf der Fuß auf dem Gas schon mal fester sein, im Zweifel drohen kaum Konsequenzen. In manchen Fällen können die Landesministerien selbst entscheiden, ob der Fahrer der Polizei oder dem Ordnungsamt gemeldet wird oder nicht. Grüne und Linke kritisieren das Vorgehen und nennen es "rechtlich fragwürdig".

Sommer 2021: In Sachsen-Anhalt wird ein Fahrer einer Limousine innerorts mit 9 km/h zu viel geblitzt. Die Post vom Amt landet beim Arbeitgeber und dort will ein Mitarbeiter den Fahrer ermitteln und fragt hierzu in der Personalabteilung, um das Fahrtenbuch einzusehen. Ein Vorgang, wie er unzählige Mal in Deutschland jeden Tag passiert. Nur ist der Fahrer in diesem Beispiel im Bildungsministerium angestellt und die Mitarbeiter sind Beamte – eine Auskunft an die Polizei hat es damals nicht gegeben.

Bildungsministerium ist der Vorfall bekannt

Im September 2021 gab es umfangreichen Schriftverkehr zwischen dem Referat für Personal-Angelegenheiten und dem Beamten. Er wollte den Vorgang, der auf seinem Tisch gelandet war, pflichtbewusst abarbeiten. Die Antwort wurde ihm jedoch verweigert. Für das betroffene Fahrzeug lag eine sogenannte "Übermittlungssperre" vor. Eine Besonderheit zum Beispiel für Fahrzeuge einer Landesregierung (siehe Infokasten).

Dazu ein Regierungssprecher: "Nach §41 Abs. 1 StVG ist die Anordnung von "Übermittlungssperren" in den Fahrzeug-Registern zulässig, wenn erhebliche öffentliche Interessen gegen die Offenbarung der Halter-Daten bestehen. Dieses Interesse besteht auch bei den Fahrzeugen der Landesregierung. Nach §41 Abs. 3 StVG ist die Übermittlung trotz bestehender Sperre im Einzelfall zulässig, wenn an der Kenntnis der gesperrten Daten ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere an der Verfolgung von Straftaten besteht. Vor der Übermittlung ist der betroffenen Person, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, es sei denn, die Anhörung würde dem Zweck der Übermittlung zuwiderlaufen."

Dies bedeutet jedoch auch: Das jeweilige Ministerium kann darüber entscheiden, ob bei nicht straftat-relevanten Vergehen überhaupt der Fahrer an die Verkehrsbehörde übermittelt wird. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 9 Kilometer pro Stunde würde damit nicht zwangsläufig zur Meldung des Fahrers führen.

Das sagt das Straßenverkehrsgesetz (StVG)

§41: Übermittlungssperren
(1) Die Anordnung von Übermittlungssperren in den Fahrzeugregistern ist zulässig, wenn erhebliche öffentliche Interessen gegen die Offenbarung der Halterdaten bestehen.
(2) Außerdem sind Übermittlungssperren auf Antrag der betroffenen Person anzuordnen, wenn sie glaubhaft macht, dass durch die Übermittlung ihre schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt würden.
(3) Die Übermittlung trotz bestehender Sperre ist im Einzelfall zulässig, wenn an der Kenntnis der gesperrten Daten ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere an der Verfolgung von Straftaten besteht. Vor der Übermittlung ist der betroffenen Person Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, es sei denn, die Anhörung würde dem Zweck der Übermittlung zuwiderlaufen.
(4) Die Übermittlung trotz bestehender Sperre ist im Einzelfall außerdem zulässig, wenn die Geltendmachung, Sicherung oder Vollstreckung oder die Befriedigung oder Abwehr von Rechtsansprüchen im Sinne des §39 Abs. 1 und 2 sonst nicht möglich wäre. Vor der Übermittlung ist der betroffenen Person Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(5) Über die Aufhebung im Einzelfall nach den Absätzen 3 und 4 entscheidet die für die Anordnung der Sperre zuständige Behörde (sperrende Behörde). Will diese an der Sperre festhalten, weil sie das die Sperre begründende öffentliche Interesse im Sinne des Absatzes 1 für überwiegend hält oder weil sie die Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person im Sinne des Absatzes 2 als vorrangig ansieht, führt sie die Entscheidung der nach Landesrecht hierfür zuständigen Behörde oder, wenn eine solche Regelung nicht getroffen ist, der obersten Landesbehörde herbei. Im Fall der Aufhebung im Einzelfall wird die Übermittlung der für das Ersuchen erforderlichen Fahrzeug- und Halterdaten durch die sperrende Behörde vorgenommen. Hierfür dürfen der sperrenden Behörde bei von ihr festgestellter Erforderlichkeit auf ihr Verlangen die Fahrzeug- und Halterdaten von den Registerbehörden übermittelt werden. Die sperrende Behörde hat diese übermittelten Daten nach Abschluss des Verfahrens unverzüglich zu löschen.

Diese Regelung gilt für jeweils drei Jahre und das entsprechende Fahrzeug muss vom Ministerium beantragt werden.

Wiederholungstäter ohne Konsequenzen

Die "Übermittlungssperre" könnte auch positive Folgen für die betroffenen Fahrer haben: Eine Anhörung erfolgt zunächst über das Ministerium und nicht über die Polizei. Der Name des Fahrers bleibt damit auch nur innerhalb der Behörde bekannt. Sollte der Fahrer mehrfach im Jahr nicht straf-relevante Vergehen im Straßenverkehr begehen, würde ihm daraus auch kein Nachteil entstehen.

Anders für "normale" Autofahrer: Werden diese über einen gewissen Zeitraum im Jahr auch mit geringen Übertretungen registriert, kann Polizei oder Ordnungsamt die Bußgelder erhöhen und im schlimmsten Fall auch Fahrverbote oder den Entzug der Fahrerlaubnis anordnen. Dazu muss jedoch der Fahrer bekannt sein.

Kein Einzelfall in der Landesregierung

Eine Abfrage von MDR SACHSEN-ANHALT ergab: Die Nicht-Weitergabe von Fahrer-Daten an Ordnungsbehörden wird auch in anderen Landesministerien so gehandhabt. Einige Ministerien schreiben auf Nachfrage: "Bei Fahrzeugen mit Kennzeichen zur besonderen Verwendung bzw. zivile Zweit-Kennzeichen ist die Halter-Ermittlung möglich, somit können u. a. Mitteilungen zu Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung auch bei diesen Fahrzeugen jederzeit zugeordnet, bearbeitet und verfolgt werden." Ob und wie oft Fahrer und Fahrerinnen im Anschluss übermittelt wurden, wollen einige Ministerien jedoch nicht offen legen.

Aus dem Umweltministerium heißt es: "Im Jahr 2022 gab es insgesamt vier dieser Halter-Anfragen. Diese Anfragen und die zugrunde liegenden Verkehrsverstöße werden innerhalb des MWU genau ausgewertet, mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen der hauptberuflichen Fahrer, aber in weniger schwerwiegenden Fällen bislang nicht weiter geahndet."

Warum die Fahrer schutzwürdige Interessen haben (siehe Infokasten), lässt das Ministerium offen. Schutzwürdige Interessen nach §41 Abs. 2 StVG können vor allem Leben oder Gesundheit, aber unter Umständen auch persönliche Freiheitsrechte sein. Sofern diese beeinträchtigt sein können, kann eine Sperre für die Weitergabe von Halter-Daten an die zuständigen Behörden angeordnet werden. Außerdem angeordnet werden kann eine solche "Übermittlungssperre", wenn "erhebliche öffentliche Interessen gegen die Offenbarung der Halter-Daten bestehen" – dies kann beispielsweise der Fall sein bei bestimmten Dienstfahrten von Mitgliedern einer Landesregierung.

Innenministerium beantwortet alle Halter-Anfragen

Und auch im Bildungsministerium liegen weitere Fälle vor: "Aus dem Jahr 2022 befinden sich drei Verstöße derzeit in der Überprüfung," so ein Sprecher, der zum Geschwindigkeits-Verstoß sagt: "Nach §41 Abs. 3 StVO ist die Übermittlung trotz bestehender Sperre im Einzelfall zulässig, wenn an der Kenntnis der gesperrten Daten ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere an der Verfolgung von Straftaten, besteht. Dies war nicht der Fall. Daher wurde auf eine Übermittlung verzichtet."

Anders handhabt es das Innenministerium: "Anhand des Fahr-Kalenders/Fahrtenbuchs wird der Fahrzeugführer festgestellt und der anfragenden Behörde die notwendigen Daten mitgeteilt. Im Falle eines Verstoßes trägt der Fahrzeugführer die Kosten. Alle Halter-Anfragen wurden bisher beantwortet. Im Jahr 2022 gab es keine Verkehrsverstöße."

Kritik von Linken und Grünen

Die Landtagsfraktion der Linken kritisiert das derzeitige Vorgehen der Ministerien. Sie fordert, dass es "keine Doppel-Standards für Fahrten der Ministerien" geben dürfe und Verkehrsverstöße auch dort geahndet werden müssten. Es gehe dabei um das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat und das Handeln der Landesregierung. Das derzeitige Vorgehen sei rechtsstaatlich extrem bedenklich. Die Linke gab an, nun eine Kleine Anfrage an die Landesregierung stellen zu wollen. Damit soll offengelegt werden, wie viele Verstöße bekannt sind und warum die Ahndung der Verstöße durch die Landesregierung blockiert wurde.

Auch die Landtagsfraktion Bündnis 90/die Grünen übt Kritik an dem Vorgehen. "Wir erwarten, dass gleiches Recht für alle gilt, auch im Straßenverkehr." Die Straßenverkehrsordnung sehe für Ministerinnen und Minister keine Sonderrechte vor. Sie forderten deshalb die Landesministerien zur Weitergabe von Fahrer-Daten bei Verkehrsverstößen auf. Zudem wolle man wissen, ob die "rechtlich fragwürdige Praxis auch in nachgeordneten Behörden stattfindet".

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MDR (Lars Frohmüller, Alisa Sonntag)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 06. Februar 0023 | 08:46 Uhr

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