Jagdschein Das Ende der "Männer-Klubs": Warum immer mehr Frauen jagen lernen

07. März 2022, 17:11 Uhr

Die Natur erleben, einen Jagdhund ausbilden oder Wild schießen: Die Jagd wird bei Frauen immer beliebter – und die Jägerinnen werden jünger. Woran das liegt und welche Vorurteile es in der einstigen Männerdomäne manchmal noch gibt, zeigt die Geschichte von Caroline Lichtenstein aus Magdeburg.

Daniel George
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  • Die Jagd wird weiblicher und jünger. Das zeigt eine Befragung des Deutschen Jagdverbandes.
  • Die Motive, einen Jagdschein zu machen, sind vielfältig: Immer wichtiger wird das Schießen von Wildfleisch. Außerdem gibt es bei Frauen eine Besonderheit.
  • Jagen Frauen vielleicht sogar gewissenhafter als Männer? Und was sagen die Jäger zu dem Trend?

Caroline Lichtenstein kennt die Vorurteile. "Natürlich", sagt die 29-Jährige aus Magdeburg. "Frauen und Waffen – können die damit umgehen? Warum machen die das?" So etwas würden sich manche Männer fragen.

"Gerade, wenn du ein schweres Stück erlegst und bergen musst, wirst du schon mal so nach dem Motto angeguckt: Na, schafft sie das jetzt? Mal sehen, wann sie um Hilfe fragt. Damit hat wohl jede Frau, die jagt, schon Erfahrungen gemacht. Aber ganz ehrlich: So etwas prallt an einem ab."

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Denn die Jagd ist längst keine reine Männerdomäne mehr. Die Zahl der Frauen in deutschen Jagdschulen steigt laut Deutschem Jagdverband (DJV) kontinuierlich. Innerhalb eines Jahrzehnts ist der Anteil der Frauen in Jagdschulen von 20 auf 28 Prozent gestiegen. Und sie werden jünger: Das Durchschnittsalter ist im selben Zeitraum von 36 auf 33 Jahre gesunken.

"Früher wollten die ganz alteingesessenen Männer keine Frauen in ihre Männer-Klubs reinlassen. Aber das hat sich inzwischen geändert. Es ist doch super, wenn da jetzt auch die Frauen vermehrt mitmischen", sagt Caroline Lichtenstein und fragt: "Ja, warum denn auch nicht?"

Jagen aus Familientradition

Treffpunkt Dornitz, ein Dorf nahe Könnern. Wer verstehen will, warum Caroline Lichtenstein jagt, findet hier die Antwort. Ihrer Familie gehören mehrere Felder. Sie ist mit der Landwirtschaft groß geworden – und mit der Jagd.

Ihr Urgroßvater hat gejagt, ihr Großvater hat gejagt, ihr Vater jagt noch immer. "Als ich jünger war, vor allem in der Pubertät, fand ich das nicht ganz so cool", erinnert sich die heute 29-Jährige. "Aber irgendwann ist dann das Interesse gewachsen und ich habe mir in den Kopf gesetzt, den Jagdschein zu machen und die Familientradition fortzuführen."

2020 war es dann soweit: Caroline Lichtenstein machte den Jagdschein. Für die regelmäßige Jagd fehlt ihr seitdem die Zeit, die Verkaufsleiterin ist beruflich arg eingespannt. Eine eigene Waffe besitzt sie noch nicht.

Dafür einen Hund. Und schon kommt Yosh angerannt: ein Rauhaardackel, neun Monate alt, noch in der Ausbildung. Er soll sein Frauchen später bei der Jagd begleiten.

Die Motive der Jägerinnen

Die Ausbildung von Jagdhunden steht laut DJV-Befragung auf Platz vier der Motive von Frauen, den Jagdschein zu machen. Eine Besonderheit. Denn bei den Männern steht dieser Grund nur auf Rang sechs.

Für immer mehr Menschen ist demnach Wildfleisch ein Grund, die Jägerausbildung in Angriff zu nehmen. Dieses Motiv ist von Platz vier (2011) auf Platz drei vorgerückt. Schon ein beachtlicher Sprung bei insgesamt acht aufgeführten Gründen.

Nach wie vor auf Platz zwei steht angewandter Naturschutz, gewinnt aber weiter an Bedeutung: Die Nachwuchs-Generation will selbst anpacken und Lebensräume verbessern – etwa durch Blühflächen oder Gehölze in der Kulturlandschaft.

Auf Platz eins steht unverändert das intensive Naturerlebnis. Wer Erfolg bei der Jagd haben will, muss Tiere und Pflanzen genau kennen, Spuren lesen können und bei jeder Witterung draußen sein.

Caroline Lichtenstein sagt: "Natürlich: Einen Hund ausbilden zu können oder nachhaltiger zu leben, indem man sein eigenes Fleisch erlegt, sind mit Sicherheit gute Gründe für den Jagdschein." Aber: "Das dürfen nicht die einzigen Gründe sein. Denn da gehört noch so viel mehr dazu. Dem muss man sich bewusst sein."

"Die Jagd bestimmt irgendwann dein Leben"

Sarah Olitzsch bestätigt das. Seit zehn Jahren jagt die 26-Jährige nun schon, genau wie Caroline Lichtenstein aus der Tradition ihrer Familie heraus. Mittlerweile arbeitet Olitzsch in der Geschäftsstelle des Landesjagdverbandes Sachsen-Anhalt, hat ihr Hobby zum Beruf gemacht.

Sie sagt: "Es ist nicht jeder dafür bestimmt, den Jagdschein zu machen. Du musst dir bewusst sein, dass die Jagd kein Hobby wie Fußball spielen ist. Es ist sehr kostenintensiv." Allein der Jagdschein kostet 1.500 bis 2.000 Euro. "Du brauchst deine Ausrüstung, dein Revier und hast eine große Verantwortung. Die Jagd bestimmt irgendwann dein Leben", sagt Olitzsch. "So ist es zumindest bei mir. Das ist eine Lebenseinstellung."

Und die fußt "eben nicht auf dem Töten von Tieren, wie manche Menschen noch immer glauben", sagt Sarah Olitzsch. Vielmehr gehe es um Hege und Pflege von Wildtieren. "Die etwas benachteiligten Tiere müssen unterstützt werden", sagt Olitzsch. "Zum Beispiel die Rebhühner. Man muss ihre Prädatoren jagen, die Füchse und die Marderhunde, die keine natürlichen Feinde haben. Das ist aktiver Arten- und Naturschutz."

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Und den betreiben eben auch in Sachsen-Anhalt immer mehr Frauen. Zwar wird keine eigene Statistik erfasst, aber der Landesjagdverband bestätigt den deutschlandweiten Trend. Und Olitzsch sagt: "Ich finde es absolut super, dass sich immer mehr Frauen für den Jagdschein anmelden. Früher war das eine Männerdomäne. Die Männer mussten das Fleisch besorgen und die Frauen mussten es am Ende in der Küche zubereiten. Aber Frauen haben da keine Nachteile."

Sondern vielleicht sogar Vorteile? Ja, sagt Sarah Olitzsch, denn: "Es gibt Studien, die belegen, dass Frauen doch gewissenhafter jagen und doch einmal mehr drüber nachdenken, ob sie den Abzug betätigen oder nicht. Sie bauen wahrscheinlich mehr Empathie dem Lebewesen gegenüber auf."

Und was sagen die Männer dazu?

Bleibt die Frage: Was sagen die jagenden Männer denn zum neuen Frauen-Trend? "Ich finde das wunderbar", erklärt Wolf Last, Geschäftsführer des Landesjagdverbandes. "Es ist ein Zeichen dafür, dass ein gesellschaftlicher Wandel alle Bereiche unseres Lebens erfasst. Es zeigt auch, dass die Jagd nicht etwas ist, das nur aus männlichen Motiven heraus betrieben wird, sondern, dass sich alle Personen unabhängig von Geschlecht, Alter oder sonstigen Schubladen für diese vielseitige Aufgabe begeistern können."

Warum mehr Frauen zur Waffe greifen? "Zum einen werden Frauen immer selbstbewusster und begeben sich gezielt in Bereiche, die eigentlich nicht ihrem so lange von der Gesellschaft konstruierten Rollenbild entsprechen", sagt Last. "Zum anderen haben eben diese Pionierinnen der vorwiegend männlichen Jagd gezeigt, dass sie ebenbürtige Jägerinnen sind und ihre Fähigkeiten nicht hinter denen der Kollegen verstecken brauchen."

Mehr noch: Junge Jägerinnen wie Caroline Lichtenstein und Sarah Olitzsch lassen die Menschen auf Instagram an ihren Erfahrungen auf der Jagd teilhaben. Sie wollen die Jagd damit greifbarer machen, auch mit Vorurteilen aufräumen. Denn: "Es ist ärgerlich, wenn die Jagd immer nur als Trophäen-Eroberung dargestellt wird oder als sinnloses Töten", sagt Caroline Lichtenstein. "Das ist sie natürlich gar nicht. Das, was wir tun, hat einen Sinn. Und auf den sozialen Netzwerken lässt sich das sehr gut erklären." Und zwar mit dem Ziel, dass die Vorurteile noch weniger werden.

Daniel George
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Über den Autor Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 06. März 2022 | 17:00 Uhr

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